laut.de-Kritik

Den Kugelblitz gezähmt.

Review von

Fetischsymbol? Visualisierte Angst vorm Gesichtsverlust? Selbstironische Lederhautmaskerade eines mittlerweile 35-Jährigen? Mögen die Autobiografen dereinst das jüngste Coverbild des Wahlberliners interpretieren. Nichts zu rütteln gibt's am Berlineinfluss auf Chris Clarks Sound. Nie zuvor hat der aktuelle Lieblingsfurioso der Berghain-Booker auch im Albumformat so stark nach dem sagenumwobenen Hedonismustempel geklungen.

Während fanatischer Kugelblitztechno auf dem 2008er Mutstück "Turning Dragon" die Hauptrolle spielte, gestaltet sich Clarks aktualisierter Technobegriff 2014 etwas konventioneller. Wo die rasenden Richtungswechsel seinerzeit für Schweiß, Schwindel und im Krampf geballte Fäuste sorgten, verläuft die Trackdramaturgie diesmal überwiegend geradeaus von A nach B.

Clarks idiosynkratische Klaviatur des IDM bediente seit jeher mehr die Post-Rave-Euphorie denn die Peaktime-4-to-the-floor. Es ist also ein relatives Novum, wenn der Produzent auf seinem siebten Album über weite Strecken Tanzbarkeit überhaupt zulässt. Er gibt sich zahmer, aber lange nicht gezähmt.

Die behäbigen industriellen Dampfmaschinen von "Winter Linn", die unbeirrbare Bassdrum von "Sodium Trimmers", der hektische Elektro-Techno aus der EBM-Disco "Banjo" sind nur einige Indikatoren für den Berlin-Einzug ins Soundbild nach dem Berlin-Zuzug des Briten. Über jene unmittelbaren Genrebezüge hinaus bewahrt sich Clark aber die sentimentale Essenz, die ihn seit 2001 unverwechselbar macht.

Erneut nutzt er, dessen Musik verlebte Trends wie Ambient Techno, Chillwave oder Postrock sowohl entscheidend mitgeprägt als auch überdauert hat, dabei die ganze Palette der Klangraumgestaltung aus. Clark weiß wie kaum sonst jemand vom erzählerischen Gewicht von reminiszierendem Synthesizer-Nachhall und Field Recordings als impressionistischer Kulisse. Schneestiefelstapfen und verrückte Holzstühle verpassen den Stücken wieder einmal den entscheidenden Dreh.

Die Welt der analogen Töne ist hier eben gerade nicht ein Ort, der durch digitale Produktionsmechanismen überwunden werden muss. Sie dient dem Warp-Künstler im Gegenteil als Projektionsfläche, an der er das Innere nach außen kehrt. Der Fokus auf das menschliche Element hinter jeder noch so abstrakten elektronischen Musik gibt ihm eine emotionale Nahbarkeit, die anderen, funktionaler orientierten Dancefloor-Produzenten abgeht. Dass das Album dem Clarkschen Anspruch des ewig Neuen erstmals nicht vollends gerecht wird, ist darüber leicht zu verschmerzen.

Trackliste

  1. 1. Ship Is Flooding
  2. 2. Winter Linn
  3. 3. Unfurla
  4. 4. Strength Through Fragility
  5. 5. Sodium Trimmers
  6. 6. Banjo
  7. 7. Snowbird
  8. 8. The Grit In The Pearl
  9. 9. Beacon
  10. 10. Petroleum Tinged
  11. 11. Silvered Iris
  12. 12. There's A Distance In You
  13. 13. Everlane

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1 Kommentar

  • Vor 10 Jahren

    Sehr gutes Album nach dem desaströsen Vorgänger. Ich würde Turning Dragon noch immer als sein bestes Werk wählen, aber auf Clark treffen alle Stile - IDM, der harte Techno und Ambient - in perfekter Symbiose aufeinander.