laut.de-Kritik

Der Beginn eines Hollywood-Dramas der besseren Sorte.

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Vieles an der Geschichte dieser Band erinnert an ein Hollywood-Drama der besseren Sorte: galaktische Höhen, abgründige Tiefen, großartige Musik, unvergessliche Augenblicke. Sogar der Ort, an dem die Musiker zum ersten Mal zusammen spielten, hat etwas mit der Traumfabrik zu tun.

Darüber, ob sie sich zum ersten Mal im Haus von Mama Cass Elliott (The Mamas & The Papas) oder Joni Mitchell trafen, sind sich David Crosby, Stephen Stills und Graham Nash nicht einig. Fest steht, dass es im Frühjahr 1968 im Laurel Canyon war, ein bewaldeter Vorort von Los Angeles am Hügel, der auch das Wohnviertel Hollywood beherbergt.

Laut Crosby dauerte es 40 Sekunden, bis der Sound der Band ausgearbeitet war. Was nicht weiter verwundert, denn alle drei waren bereits erfolgreiche Musiker, Sänger und Songwriter, die nach neuen Erfahrungen suchten. Crosby war wenige Monate zuvor bei den Byrds rausgeflogen, Stills bei Buffalo Springfield und Nash, der aus Großbritannien stammt, war unzufrieden mit seiner Band The Hollies.

Der Name war ebenso schnell gefunden. Da sie die Band eher als Zusammenschluss betrachteten, um parallel weitere Projekte zu betreiben und wohl auch, um die Gleichstellung der Mitglieder zu betonen, nahmen sie einfach ihre Nachnamen. Eine eher unübliche Entscheidung im Musikbusiness, da der Name dadurch lang und schwer zu merken war. Deshalb lautet die gängige Abkürzung CSN.

Alle hatten Songs auf Lager, das Material für ein Album war also rasch zusammengetragen und aufgenommen. Sie waren im Business gut vernetzt und fanden schnell ein Label. Nachdem sie bei den Beatles und deren Label Apple in London vorgesprochen hatten, entschieden sie sich für Ahmet Ertegün und dessen Firma Atlantic. Das ursprünglich eher im Jazz und Rhythm And Blues angesiedelt war, parallel mit Led Zeppelin aber einen weiteren Act unter Vertrag genommen hatte, der sich in den folgenden Jahren als Goldgrube erwies, sowohl musikalisch als auch wirtschaftlich.

Denn "Crosby, Stills & Nash", wie das Debüt wenig einfallsreich hieß, war mit Platz sechs in den US-Charts gleich ein Riesenerfolg. Und das, obwohl die drei Mitglieder alles andere als eine Rockstar-Aura ausstrahlten und keine wirklich chart-orientierte Stücke präsentierten. Dafür ist nicht nur der Opener mit 7:18 Minuten viel zu lang.

Aber was für ein Lied! Die Judy im Titel war die Singer/Songwriterin Judy Collins, deren stechend blaue Augen nicht nur Stills beeindruckten. 1967 kamen sie zusammen, bis sie ihn für den Schauspieler Stacey Keach verließ. Stills verarbeitete die anstehende Trennung zu diesem vierteiligen Stück (deshalb der Titelzusatz "Suite"), der fröhlich poppig beginnt, zu einen nachdenklichen Teil übergeht und schließlich mit fröhlichem "Dudududu" und pseudospanischem Gebrabbel endet. Die Verantwortlichen bei Atlantic schafften es dann tatsächlich, die Suite auf 4:35 Minuten zusammen zu schneiden. Selbst diese Version war noch gut genug, um als Single Platz 11 der US-Charts zu erreichen.

In einer gewissen Hinsicht diente der Opener als Blaupause für den Laurel-Canyon-Sound, der in den nächsten Jahren immens erfolgreich wurde. Etwa mit Joni Mitchell, Jackson Browne, Eagles oder auch Carole King. Folk-rockige Musik, in der die Interpreten ihr Inneres herauskehren, dabei öffentlich ihre Liebschaften zelebrieren und Trennungen betrauern.

Nash führte die Truppe im zweiten Stück aber zunächst nach Marokko. Das gut gelaunte "Marrakesh Express" war ein Überbleibsel aus seiner Zeit bei den Hollies, die das Stück verworfen hatten. Der dritte im Bunde steuerte das dritte Stück bei. Dazu eines der besten, das David Crosby je geschrieben hat. In "Guinnevere" besang er gleich drei Frauen, die er geliebt hatte. Die erste war Christine Hinton, die 1969 bei einem Autounfall ums Leben kam, die zweite Mitchell, deren Debütalbum er produziert hatte, die dritte bleibt unbekannt. Seine unübliche Gitarrenstimmung und Rhythmen wurden zu seinem Markenzeichen.

Die A-Seite endet mit zwei Stücken, die nicht an die ersten drei herankommen und eher wie Füllmaterial anmuten, wobei die Stimmen des Trios nach wie vor sensationell klingen. Dafür beginnt die B-Seite mit einem weiteren Klassiker. Nach dem Rauschschmiss bei den Byrds kaufte sich Crosby ein Segelschiff und entdeckte seine Liebe zum Meer (das Schiff war 1977 auf dem Cover zu "CSN" zu sehen). Mit Paul Kantner von Jefferson Airplane, die das Lied auch aufnahmen, stellte er sich vor, einer der wenigen Überlebenden einer nuklearen Katastrophe und auf dem Weg zur Gründung einer neuen Zivilisation zu sein. Passend dazu arrangierten CSN das Stück rockiger als die anderen.

Das zarte "Lady Of The Island" schrieb Nash für seine damalige Freundin - Joni Mitchell. Nachdem es vor sich hinplätschert, ohne einen großen Eindruck zu hinterlassen, folgt mit "Helplessy Hoping" so etwas wie das Bewerbungsstück der Band - Stills schrieb die perfekte Schmachtballade, um alle Stimmen ideal zur Geltung zu bringen.

Das Album endet rockig mit "Long Time Gone", in dem Crosby den gewalttätigen Tod von US-Präsident John F. Kennedy verarbeitet, und Stills "49 Goodbyes", eher ein weiterer Lückenfüller.

Dennoch ist "Crosby, Stills & Nash" ein Album, das 50 Jahre später immer noch frisch und hörenswert klingt. Das ist vor allem ein Verdienst von Stills, der praktisch alle Instrumente selbst aufnahm, unterstützt von Schlagzeuger Dallas Taylor. Dieser Umstand führte zur Weiterentwicklung der Band, oder eher zu deren Erweiterung: Um sie auf der Bühne zu unterstützen, nahmen sie Neil Young auf, der mit Stills bei Buffalo Springfield gespielt hatte. Sein Einfluss erwies sich bald als so stark, dass er mit in den Namen aufgenommen wurde - und Crosby, Stills, Nash And Young zum endgültigen Durchbruch verhalf: Das gemeinsame Album "Déjà Vu" erreichte 1970 die Spitze der Charts, wie auch der Livemitschnitt "4 Way Street" ein Jahr später.

Deutlich rockiger als zu dritt, führte der erst zweite gemeinsame Auftritt von CSNY in Woodstock zu einem Triumph. Auf ihrer Tour 1974 füllten sie Stadien, in den USA und auch in der Londoner Wembley-Arena. Doch da war es mit der Harmonie längst vorbei - Crosby hatte massive Drogenprobleme, dazu kamen vier starke Persönlichkeiten, die auf Dauer nicht miteinander auskommen konnten. Auf die Flitterwochen, die "Crosby, Stills And Nash" darstellte, folgte ein langes Besäufnis mit gelegentlichen Monsterkatern, mit und ohne Young. 1977 spielten CSN mit "Cathedral" einen weiteren Klassiker ein, danach begaben sie sich immer wieder auf Tour, 2006 auch mal wieder mit Young, um dessen Album "Living With War" zu promoten und Stellung gegen den Irak-Krieg und den damaligen US-Präsidenten George W. Bush zu beziehen.

Das Alter hat CSN(Y) leider nicht milder gestimmt, sondern zum endgültigen Zerwürfnis geführt. 2015 verunglimpfte Crosby Youngs neue Lebensgefährtin Daryl Hannah, der daraufhin den Kontakt abbrach. Nash, der Crosby auch in seinen finstersten Drogenphasen unterstützt hatte, stritt sich mit ihm in aller Öffentlichkeit auf der Bühne. Der letzte Sargnagel war ein selten schief gelaufener Auftritt im weißen Haus vor erlauchtem Publikum: Vor Präsident Barack Obama gelang es CSN nicht mal mehr, vernünftig "Stille Nacht, heilige Nacht" zu singen. Eine Hollywood-Traumkarriere war zu Ende gegangen - ohne Happy End.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Suite: Judy Blue Eyes
  2. 2. Marrakesh Express
  3. 3. Guinnevere
  4. 4. You Don't Have To Cry
  5. 5. Pre-Road Downs
  6. 6. Wooden Ships
  7. 7. Lady Of The Island
  8. 8. Helplessly Hoping
  9. 9. Long Time Gone
  10. 10. 49 Bye-Byes

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