laut.de-Kritik
Als Ziggy Stardust 1973 nach Amerika ging ...
Review von Ulf Kubanke"Nennen wir es doch: Ziggy goes to America!", meinte Bowie damals halb scherzhaft. "The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars" machte David Robert Jones 1972 zum Superstar. Weg von Elvis, Artrock und Blues, hin zu unwiderstehlich dekadentem Rock'n'Roll mit Lipstick und Sex. Mit "Aladdin Sane" treibt er die Party im Folgejahr auf die Spitze.
Hieß es zuvor noch "making love to his ego", mutiert Bowies Alter Ego hier über Nacht zum Herrscher einer unersättlichen, erotischen Orgie. Let's Spend The Night Together! Nun erscheint analog zu "Ziggy Stardust" 2012 auch die Kajalplatte mit frisch aufgelegtem Make Up zu ihrem 40. Geburtstag. Ihre Strahlkraft bleibt unvermindert.
Neue Bowieaner wachsen in jeder Dekade nach. Langjährige Freunde können die alte Liebe wiederentdecken und vertiefen. Die Ausstattung macht alles richtig. Keine unsinnige Bonbonfütterung mit überflüssigem Bonusquatsch wie Demos, Remixes oder Neuaufnahmen. Stattdessen: Das Kunstwerk ganz essentiell, sich selbst genügend. Dafür kredenzt der Thin White Duke ein Remastering, so klar und elegant im Sound, wie es die Beatles mit ihrem 2009er Boxset nur versprachen. Besonders mit Kopfhörern ein Genuss und Fortschritt zu älteren Editionen.
Auch das Coverartwork bringt alles zurück, was man an Kunst der Plattenhülle liebt. Eine Bonsai-Variante des Originals. Schönes Klappdigi im CD-Format samt legendärem Ganzkörperbild und blaurotem Innersleeve und allen Texten.
Die Musik der Platte transportiert allen Sex, alle Drogen, alle Maßlosigkeit. Selbst wenn man es schlussendlich mit dem eigenen Leben bezahlt. "Vergiss, dass ich 50 bin, du wurdest gerade bezahlt / Also blas mir einen, vor dem Geständnis, dass du mich hinterher totschlagen wirst", rotzt Bowie in seiner Rolle als "Cracked Actor" zu den dreckigsten Gitarren, die er je zur Schau stellte. On Stage dazu angedeuteter Oralsex zwischen Bowies Zunge und Mick Ronsons gitarrengeschütztem Schritt. Doch draußen ist der Sommer der Liebe lange verklungen. Der Kater nach den Swingin' Sixties längst vor der Tür.
Nicht so bei Bowie. Auf der damaligen '73er Tour fielen alle Grenzen zum Größenwahn. Wie ein altägyptischer Gott haust er samt Band im luxuriösen Beverly Hills Plaza. Alle schniefen kiloweise Kokain, trinken Hektoliter Rotwein und schlucken hunderte Quaaludes. Sogar die Roadies nehmen 24 Stunden am Tag den kompletten Zimmerservice in Beschlag, wie es die Historie weiß.
Wer dermaßen residiert, kommt anscheinend auf geniale Merkwürdigkeiten. Das wundervoll dramatische Doo-Woop-Stück "Drive In Saturday" handelt von einer postapokalyptischen Menschheit im Jahre 2033, die im Gegensatz zu den britischen Rockstars komplett verlernt hat, was Sex und Erotik ist. Deshalb müssen die Armen alte Pornos aus unseren Tagen zum Nachhilfeunterricht auftragen. Gekrönt von Davids grandios dilettierendem Saxophon und der großen Zeile: "Sie ist sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt mag / Aber sie weiß ganz genau, dass sie ihn wirklich liebt."
Diese aufreizende, im Jahre 1973 geradezu subversive Unverblümtheit zeigt sich auch in den knurrigen Rockarrangements, die für damalige Härteverhältnisse trotz all der Schminke einen echten Faustschlag ins Gesicht darstellten. Man höre nur die fetten Hooks von Spider-Gitarrero Ronson im groovy Revoluzzer-Track "Panic In Detroit" oder dem sexy Höllenblues "The Jean Genie". Jener Titel ist zwar eine Jean Genet-Hommage, doch die beschriebene Figur trägt unverkennbar Züge und Eigenschaften von Alltime-Kumpel Iggy Pop, für dessen aktuelle Stooges-Platte er gerade das Mixing erledigt hat: "Sits like a man but he smiles like a Reptile."
Die künstlerischen Höhepunkte, die das Album - Bowies erste Nummer eins in den UK-Charts - in musikalischer Hinsicht vor das Ziggy-Album schiebt, sind indes zwei Balladen und das Titelstück. Lieder, die keine Halbwertszeit kennen, auch nicht nach 40 Jahren. "Time - he flexes like a whore / Falls wanking to the floor / His trick is you and me, Boy.", singt Bowie sich mit herausfordernd nuttigem Gesang durch das gleichnamige, nahezu Bukowski-hafte Chanson. Dazu der hochdramatische Tastenanschlag von Jazzpianist Mike Garson. Zeitlupen-Ragtime goes Porno! Weder vorher noch nachher war Bowie so sehr Jacques Brel und Scott Walker wie hier.
Der großartige Garson ist es auch, der fast im Alleingang mit dem Titeltrack "Aladdin Sane" die qualitative Weiterentwicklung zu allen vorhergehenden Bowiealben verkörpert. "Als Bowie mir den Song gab, war es ein sehr simples, typisch englisches Rockstück, bestehend aus einem A- und einem G-Akkord. Ich spielte zuerst ein Bluessolo, dann ein Latinsolo. Doch Bowie wollte beides nicht und sagte mir nur: Du sagtest doch, du spielst sonst Avantgarde-Jazz. Spiel das Zeug!" Als Resultat improvisiert Garson komplett spontan und in einem einzigen Take das Pianothema und stellt so die Weichen für den Stil vieler zukünftiger Kompositionen Bowies.
Das titelgebende Wortspiel "A Lad Insane" (Ein Verrückter Kerl) bezieht sich hierbei auf Davids Bruder, dem man in jenen Tagen Schizophrenie diagnostizierte. Bowie selbst hatte - gesteigert durch die Drogencocktails - eine panische Angst davor, es könne ihm ebenso ergehen. Deutlich harmonischer klingt die LP mit der ebenso schillernden wie oft übersehenen Monsterballade "Lady Grinning Soul" aus. Ein erstmals in souligen Vocals agierender Bowie schmachtet sich durch diese Lied gewordene Anbetung der schwarzen Sängerin Claudia Lennear. Die Begegnung mit der charismatischen Schönheit verzauberte seinerzeit nicht nur den androgynen Rotschopf. Auch Kumpel Jagger zeigte sich mehr als beeindruckt und schrieb ihr "Brown Sugar" auf den viel umworbenen Leib.
Mick Garson greift hierzu noch einmal in die Trickkiste. Nach einem Hochspannung transportierenden Intro perlt er sich mit viel französischem Schmelz und einem Touch Franz Liszt durch die beste James Bond-Ballade, die nie für diese Reihe gemacht wurde. "Don't be afraid of the room / Touch the fullness of her breast / Feel the love of her caress." Am Ende des Reigens wird man sich bittersüß bewusst, wie zeitlos und staubresistent "Aladdin Sane" auch nach vier langen Jahrzehnten klingt.
5 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
da gibt es onkel david bereits, hier der bowie-stein:
http://www.laut.de/David-Bowie/Low-(Album)
@dein_boeser_Anwalt (« da gibt es onkel david bereits, hier der bowie-stein »):
Bei Bowie ist halt ein Meilenstein viel zu wenig.
Na soo ein Knalleralbum ist A Sane nicht.
Da sind ein paar Füller zu viel drauf, auch das Stones Cover - was sollte das?
ich kann dem laut urteil nur voll und ganz zustimmen..eines der besten alben von david bowie..allein schon wegen der beiden titewl aladdin sane und time verdient das album 5 sterne..und auch die restlichen lieder sind allesamt auf gleich hohem niveau