laut.de-Kritik

Sei selbst die Veränderung, die du sehen willst.

Review von

Kanye West ist ein grandioser Geschäftsmann. Muss er sein, wer sonst kann ein einfaches weißes Shirt für 130 Dollar verkaufen. Das ist auf seine Art und in irgendeiner Meta-Ebene schon wieder eine bemerkenswerte Kunstaktion.

Ausgerechnet dieser Mensch, der so kapitalistisch und bigger than life denkt, war am Deaz Prez-Album "Let's Get Free" beteiligt. Einem radikalen Rap-Album, das sich gegen Vereinnahmung und für Idealismus einsetzte. Als Teil des "Peoples Army"-Kollektiv beschränkt sich sein Anteil an "Let's Get Free" auf einen gechillten Remix des harten Songs "Hip Hop", aber dass sein Stern vor 20 Jahren ausgerechnet in diesem Umfeld aufging, entbehrt sicherlich nicht einer gewissen Ironie.

Dabei ist "Let's Get Free" ganz sicher eines überhaupt nicht gemeint: Ironisch. Wie Mos Def, der kurz zuvor schon sein Ausnahme-Album "Black On Both Sides" veröffentlichte, wuchsen die Mcs stic.man und M-1 in Think Tanks auf, die sich mit pan-afrikanischer Kultur und Sozialismus beschäftigten. Bling-Bling und Pelzmäntel waren jedenfalls nicht der Anstoß für die beiden, sich Hip Hop zuzuwenden. M1 sagt später in einem Interview, dass er eigentlich nur MC wurde, um Aufrufe zum Aufstand zu verbreiten. Doch was bringt alles, wenn die Message kaum gehört wird und sich nicht genügend Menschen finden, um eine Änderung des Systems voran zu treiben.

So gründet Rapper M1 bereits in seiner Zeit an der Universität die "Black Survival Movement"-Gruppe, die ihn auch schnell mit anderen politischen Organisationen verbindet. Vor dem ersten Beat entsteht also schon früh eine Idee von Revolution. Die Initialzündung zu dem hochexplosiven Mindset entwickelt sich aber erst nach einem Umzug von dem Kalifornien nach New York, wo sich Mitte der 90er ein rauer Eastcoast-Sound um den Wu Tang Clan und Mobb Deep entwickelt.

Gerade die Zusammenarbeit mit den Produzenten hedrush und Brand Nubian erweist sich als fruchtbare Zeit, in der trotz der geballten Faust ein smoother und entspannter Song wie "Mind Sex" entsteht. Die ruhige R'n'B-Nummer preist nicht wie sonst in diesem Genre die schnelle männliche Bedürfnisbefriedigung an, sondern appelliert daran den Verstand zu nutzen. "Before we make love let's have a good conversation". Die Idee steht über den Begierden nach schnellem Casual-Sex und einfacher Ablenkung.

Eines Tages probiert stic.man wieder Ideen an seinem Sampling-Keyboard aus. Auch wenn ihm der Sexismus der 2 Live Crew fremd ist, der sehr basslastige Sound aus seiner Jugendzeit dient ihm als Inspiration für den wichtigsten Song in der Karriere von Dead Prez. Irgendwann entsteht aus einer Spielerei mit den Einstellungen des Keyboards die Mörder-Bassline, die "Hip Hop" immer noch zu einem absoluten Signature-Song des Duos macht. Allen ist in dem Moment klar, dass hier aus dem Nichts etwas Magisches entsteht und alles verändert.

"Es ist größer als Hip Hop", stammelt stic.man in diesem Moment und hat damit schon den Leitgedanken für die Lyrics entworfen. Eine Hymne für eine junge schwarze Generation, die sich nicht mehr mit der ständigen Unterdrückung abfindet.

Komplett der Zeit voraus und damals noch subkulturell ist die Botschaft von "Be Healthy". Während zeitgenössische Rap-Videos gerne das BBQ in der Hood oder teuren Edel-Wodka abfeiern, wird hier ein vegane Ernährung propagiert. Wo heute Stars und Sternchen die fleischlose Ernährung als Lifestyle-Trend aufnehmen, gab es zumindest zur Jahrtausendwende fragende Gesichter, als stic.man und M1 Obst an das Publikum verteilten.

Ballere dir deine wichtigste Waffe nicht mit Weed und Alkohol voll, häng' nicht ab und sei proaktiv. Klingt etwas nach Straight Edge-Dogma, aber der ruhige Spanish Guitar-Song möchte nur zum Nachdenken anregen. "They say you are what you eat, so I strive to be healthy / My goal in life is not to be rich or wealthy / Cause true wealth comes from good health, and wise ways/We got to start taking better care of ourselves." Am Ende von "Be Healthy" übernimmt sogar noch das Idol Prodigy das Mic und parodiert sein bekifftes "Infamous Prelude" aus "The Infamous Mobb Deep". Etwas Humor durfte es dann auch im Klassenkampf sein.

Der Gegner bleibt trotzdem der "Police State". Über einen massiven und bedrückenden Beat, der den roughen Eastcoast-Vibe aus NY komplett in sich aufnimmt, spricht Uhuru-Gründer über die Polizei als Beschützer der herrschenden Klasse und Werkzeug zur Unterdrückung der unterprivilegierten Bevölkerung. "This is America" von Childish Gambino machte vor zwei Jahren noch einmal klar, wie klein die Fortschritte seit der Entstehung von "Police State" sind. Das ähnliche "Behind Enemy Lines" erinnert an das Schicksal von Black Panther-Aktivist Fred Hampton Jr., dessen Vater von Polizisten erschossen wurde.

Ähnlich wie ein Kultfilm war "Let's Get Free" trotz der populären Single "Hip Hop" kein kommerzieller Erfolg. Die für den Mainstream zu radikalen Botschaften verfingen kaum in der von Puff Daddy und Master P dominierten Pop-Rap-Welt. Deren chartsoptimierte Party-Anheizer verloren schnell an Relevanz und trieben einzig das eigene Business an. stic.man und M-1 wollten etwas erschaffen, was das bisheriger Mindset des Hip Hop erweitert. "Let's Get Free" fand sicherlich wenig Käufer, aber änderte die Gedanken bei diesen Wenigen radikaler als jedes Album zu diesem Zeitpunkt. Sei selbst die Veränderung, die du sehen willst.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Wolves
  2. 2. I'm a African
  3. 3. They' Schools
  4. 4. Hip-Hop
  5. 5. Police State
  6. 6. Behind Enemy Lines
  7. 7. Assassination
  8. 8. Mind Sex
  9. 9. We Want Freedom
  10. 10. Be Healthy
  11. 11. Discipline
  12. 12. Psychology
  13. 13. Happiness
  14. 14. Animal in Man
  15. 15. You'll Find a Way
  16. 16. It's Bigger Than Hip-Hop
  17. 17. Propaganda
  18. 18. The Pistol

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3 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Boah, Let´s Get Free und RBG hab ich damals gefeiert wie blöd. Verdienter Meilenstein, einer der absoluten Highlights der 2000er. Hab gerade gesehen, dass die 2012 nich was gemacht haben. Das is komplett an mir vorbeigegangen. Lohnt das, oder wird das eher deprimierend?

    • Vor 4 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 4 Jahren

      Volle Zustimmung. Höre let's get free - auch heute noch - immer mal wieder.
      Information Age habe ich bei Release gehört, aber konnte damals meine (hohen) Erwartungen nicht ganz erfüllen. Werde es mir wieder anhören.

  • Vor 4 Jahren

    Ich hörte kürzlich The Cure - Night like this in der grandiosen Live 40years Version. Eigentlich singt er ja im Orignal I want to "Change ist all"- bei der Live Version habe ich aber "I want to change the World" verstanden. Und dachte bei mir, dieser Mindset ist mit ganz viel Eitelkeit und Einbildung verbunden. So von wegen an meinem Wesen soll die Welt genesen.... Ihr wisst sicher was ich meine.

  • Vor 4 Jahren

    "wer sonst kann ein einfaches weißes Shirt für 130 Dollar verkaufen."
    Scheiß auf die Metaebene. Wer so etwas kauft gehört geteert und gefedert durch Stadt und Dorf gejagt. Und anschließend in die Geschlossene gesteckt.

    • Vor 4 Jahren

      ich kann da im Zeitalter des Bullshits, des Dauerkommerzes und des gegenseitigen Abziehens keine Metaebene entdecken. Es ist einfach die Matrix von der wir allle mittlerweile genug haben.