laut.de-Kritik

Ein romantisch-kalter Trip in die Unendlichkeit.

Review von

Bei einer Rezension über meine Hardrock-Helden Deep Purple kann ich unmöglich journalistisch sachlich, souverän und distanziert bleiben. Immerhin hat mich diese überlebensgroß in den Mount Rushmore gemeißelte Signature-Band (siehe das Cover von "In Rock") zusammen mit Black Sabbath, Uriah Heep oder Led Zeppelin zum unverbesserlichen Rock-Fan gemacht und mich den größten Teil meines Lebens begleitet. Bis zum heutigen Tag, selbstverständlich.

Mittlerweile sind etwa fünfzig Jahre vergangen, in denen auch diese große Band viele Wechsel, Veränderungen, Stationen durchlaufen hat. Vom naturgemäßen biologischen Alterungsprozess brauchen wir gar nicht zu reden. Der endgültige Weggang des schon immer schwierigen Über-Gitarristen Ritchie Blackmore hin zu seiner von Elfen betanzten Märchen-Spielwiese Blackmore's Night bedeutete sicher eine tiefe Zäsur.

Das Dahinscheiden des zauberhaften Menschen und höchst kreativen Keyboarders und Klassik-Fans Jon Lord schien für Deep Purple aber noch viel schwerer zu wiegen. "Now What?!", das im Jahr 2013 auf Vinyl verewigte Requiem für den ehrenwerten Verblichenen, gilt vielen Fans dann auch als durchaus würdiger, immer wieder von Zartheit und Nachdenklichkeit geprägter Schlusspunkt für das ehemalige Rock-Monster.

Aber so schnell geben die alten Recken nicht auf. Das nächste Werk der Veteranen entpuppt sich als nicht von schlechten Eltern. Als erstes fällt das hellblaue, eisig kalte Artwork auf, dann die darauf detailreich ausgetüftelte Bekleidung und Inszenierung der ganzen Band im Stil alter Polarforscher wie Robert Scott oder Roald Amundsen. Das wirkt lustig und doch auch distanziert, als ob die alten Herren mit einer guten Portion Selbstironie einen gewissen Grad von Entrücktheit illustrieren wollten, auf den sie als lebende Legenden unweigerlich zusteuern. Zumindest ich bin von dieser Covergestaltung ein bisschen befremdet und irritiert, als liege ein kalter Hauch von Abschied in der Luft.

Mit dem geradezu sakral eingeleiteten, apokalyptische Stimmung verbreitenden "Time For Bedlam" gelingt ein Start nach Maß. Neben der kryptischen Lyrik faszinieren wabernde Keyboard-Eruptionen, die Gitarre von Steve Morse trifft in diesem Stück den Sound von Ritchie Blackmore wirklich haargenau. Nach diesem bedrohlichen, teils technisch-kalten Monstrum von einem Song wirkt "Hip Boots" mit seiner ersten Textzeile, "You can bury me up to my knees in shit ...", fast schon als Stimmungs-Aufheller: rein musikalisch ein straighter Rocker, der auch gut auf ein Album wie "Who Do We Think We Are" gepasst hätte.

Die sachte beginnende Single-Auskopplung "All I Got Is You" lebt vom vielfältig wirbelnden Schlagzeug von Drummer-As Ian Paice, von den wunderbaren Gesangslinien von Sänger Ian Gillan und einer unwahrscheinlichen Dynamik, die das Stück von Minute zu Minute immer drängender und dräuender macht, bis hin zu einem radikalen, kurz angebundenen Schluss. Fast übergangslos startet der bluesig angehauchte Midtempo-Rocker "One Night In Vegas", der klimperndes Piano über mächtige Hammond Orgel-Salven legt und zum ebenso kraftvollen Slow-Track "Get Me Outta Here" führt, in dem Keyboarder Don Airey den Klangfarben von John Lord verdammt nahe kommt. Steve Morse setzt eindrucksvolle Gitarren-Attacken dagegen.

Das alles ist schon grandios genug, aber das folgende "The Surprising" muss man geradezu als Meisterstück betrachten. Synthesizer, Mellotron und perlende Gitarrenklänge führen zu einer zuckersüßen Gesangsmelodie in romantischer Stimmung und plötzlich zu Heavy Flamenco-Ausbrüchen voller Leidenschaft, dazu in versonnene Klavier-Einschübe, bis ein krachendes Ende folgt. Schon bis dahin ist diese Platte eine faszinierende Reise durch den souveränen Deep Purple-Kosmos. Das ändert sich auch mit den drei folgenden Klasse-Songs "Johnny's Band", "On Top Of The World" und dem traumhaft-träumerischen "Birds Of Prey" nicht, das mit schwelgerischer Gitarre (leider) ausgeblendet wird. Großartig!

Doch man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Warum die alten Herren als Rausschmeißer den sattsam bekannten "Roadhouse Blues" von den Doors covern, ist schwer zu erklären. Der kommt so wenig innovativ und geradezu leicht senil rüber, dass man gut darauf verzichten könnte. Völlig unklar, wo da Bezug oder Anknüpfungspunkt liegen: ein Rätsel.

Trotzdem: Sollte dies die allerletzte Platte von Deep Purple sein, sie wäre ein glänzender Abgang. Diese Kombination von alten Tugenden mit einer gewissen neuzeitlichen Härte und einem Hauch ungreifbarer Schwermut: sehr beeindruckend. Bei all der Ideenvielfalt und kompositorischen Frische auf diesem Album fällt es aber schwer, an einen endgültigen Schlussstrich der Großmeister des Hardrock zu glauben.

Trackliste

  1. 1. Time For Bedlam
  2. 2. Hi Boots
  3. 3. All I Got Is You
  4. 4. One Night In Vegas
  5. 5. Get Me Outta Here
  6. 6. The Surprising
  7. 7. Johnny's Band
  8. 8. On Top Of The World
  9. 9. Birds Of Prey
  10. 10. Roadhouse Blues

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9 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 7 Jahren

    Sensationelles Album für die alten Herrn.Möchte die LP fast auf das Niveau von In Rock stellen.Kreativität,Spass und Können findet man bei keiner aktuellen Band,die ebenfalls so lange existiert.Well done und der gute alte Roadhouse Blues soll uns vielleicht auf das Alter der Herrn "anstubsen",sicherlich ironisch gemeint.

  • Vor 7 Jahren

    Großartig - für mich DAS Album des Jahres. Und "Birds Of Prey" DER Song des Jahres, das Steve-Morse-Solo ist überragend! Und den "Roadhouse Blues" am Ende kann ich gut verkraften, wenn denn mein daraus interpretierter Wunsch Wirklichkeit werden könnte: NIEMALS werden Deep Purple ihre Karriere mit einem Cover beenden!

  • Vor 3 Jahren

    I don`t get it. Ein paar Fluchtrentner schustern ein Album zusammen welches auf ewig im Schatten der vergangenen Taten steht und dort immer bleiben wird, kein Hook bleibt hängen, kaum eine Idee zündet und man hat nach 5 Minuten wieder alles vergessen... bis auf das Cover von "Roadhouse Blues" vielleicht - denn das ist richtig übler GrandpaRock-Cringe der seinesgleichen sucht!

    Senilwerk welches nur existiert um bei ein paar treuen Fans abzukassieren.