laut.de-Kritik
Abschied oder Neuanfang?
Review von Anastasia HartleibDegenhardt wühlt ein bisschen in der Erinnerungs-Kiste und bringt aus dem Berg schmuddeliger Vergangenheiten ein paar seiner Lieblingsstücke zum Vorschein. Heraus kommt "Disko Im Dunkeln", ein dezent chaotisches Potpourri aus bisher noch nicht analog erhältlichen Tracks. Damit lässt er tief in die Anfänge seiner zerstörerischen Reise blicken.
Der Zeitpunkt für einen solchen Rückblick ergibt Sinn, weiß man selbst als Hörer gar nicht, ob und wie es nach dem letzten, fast schon selbstmörderischen musikalischen Akt überhaupt weitergehen kann. Degenhardt hat sich, von Disko zu Destroy, von Album zu Album die Brust immer weiter aufgerissen, hat wie im Wahn seine Eingeweide rausgeholt und sie jedem Willigen präsentiert, hat sich die Haare mitsamt der Haut vom Kopf gerissen und sich immer wieder selbst verstümmelt. Hass, Wut, Gleichgültigkeit und Warmherzigkeit für jeden, der ganz unten angekommen ist, spielen sich seit Jahren die Verszeilen in Deges Texten zu. Das wird auf "Disko Im Dunkeln" mehr als deutlich.
Die Tracks, die es von "Donna Klara" auf die 24 Song starke Compilation geschafft haben, wären der älteste Output, hätte sich nicht ein kleiner Ausrutscher auf die Doppel-LP geschlichen: "Billy Idol" war bereits mit dem "Harmonie Hurensohn"-Album erhältlich, das 2010, und somit ein Jahr früher als "Donna Klara" das Licht dieser dreckigen Welt erblickte. Aber das nur am Rande. Die sechs Songs machen den rauesten Eindruck. "Freund" zelebriert eine Verbindung, die eigentlich nur noch existiert, weil es sie schon verdammt lang gibt. "Zuhause" besticht mit klassischem DDR-Rock-Flair von Panta Rhei und spuckt Galle: "Die Menschenhassveranlagung merkt man an der Betonung".
"Kleine Narben" zeigt den härteren Sound von "Harmonie Hurensohn 2". In den Beats finden sich jede Menge Techno und Trance-Anleihen, während der Protagonist merkt, wie ihn die kleinen Schnitte des Alltags langsam aber sicher zu Grunde richten: "Kleine Narben ficken dich ohne Lernprozess". Mit einem dezenten Rempler weist Dege den längst im Mainstream angekommenen Casper darauf hin, dass der Boden des Realität weitaus dreckiger, asozialer und hoffnungsloser ist, als der ehemalige Bielefelder meint: "Das wird keine Revolution, denn die Parolen sind vom Grafik-Designer". "Ausser Mir" zeugt vom mitreißenden Sample-Einsatz, den Degenhardt auf jedem seiner Alben beweist.
"Stammheim" aus der "Destroy"-EP zeugt noch einmal davon, warum man NMZS immer noch schmerzlich vermisst. Die stärksten Songs von "Disko Im Dunkeln" kommen jedoch vom letzten Teil der "Harmonie Hurensohn"-Trilogie. Das unglaublich starke "Lovers Weepers", dessen tiefer Blick in die Abgründe des eigenen Seins bereits einen ersten Vorgeschmack auf das folgende "Terror 22" gibt. Das tief berührende "Nackt Mit Einem Bier", das dem Ausdruck der Verzweiflung eine neue Ebene verleiht: " Ich kann den Alltag nicht verstehen, mir ist nur diese Nacht geblieben / Schwachsinn dich zu lieben / Terror es zu probieren / Der Krieg im Magen, Blut im Gehirn". Das düstere Kamikazes-Feature auf "Letzte Lover ".
Dass die Auswahl der Lieblinge für "Disko Im Dunkeln" schwer gefallen ist, merkt man der Compilation an. Eine abgespecktere Version hätte dem Rückblicks-Charakter der Doppel-LP mit Wendecover ganz gut getan. Die Aneinanderreihung der Songs wirkt ebenfalls etwas willkürlich, was im Gesamtkonzept allerdings überhaupt keine Rolle spielt. Der Eindruck, der entsteht, bleibt nämlich derselbe: Degenhardt zelebriert den Weg, den er bisher gegangen ist. Alte Wegbegleiter erzählen gemeinsame Geschichten, er selbst durchlebt noch einmal alle Wegmarken, die ihn dorthin gebracht haben, wo er jetzt steht. Der Pfad war kräftezehrend, auslaugend aber nicht alles war schlecht. Er kann es sehen. Ob Degenhardt mit seiner "Disko Im Dunkeln" nun einen Abschied oder einen Neuanfang feiert, bleibt offen. Es wird sich zeigen, wenn das Licht angeht.
3 Kommentare mit 17 Antworten
Vieles bereits bekannt, trotzdem ich liebe diesen Kerl!
ich erst.
Ham wir alle in dem dollen Interview nicht bemerkt. Er hätte nur noch sagen müssen zu dir: Mach dich nackig Baby und der Drop wäre gelutscht!
der Drop......?
Hüpf in die Kiste
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Alles gut, natürlich war das ein Rechtschreibfehler von mir, war nur fix in der Antwort, da ich an Computerspiele oder Sifi dachte, Dropship du verstehst?
Gabs mal eine fürchterliche ps2 Version aus der Zeit in der massive Treppchenbildung und grobkörnige Texturen noch als next gen sony-feature gewertet wurden
Corvo bleib beim Thema! Teil(t)en Degenhardt und Freddy das Bett? lautet es.
Sie teilten die Coach. Barfuß.
Ich möchte die Fragestellung etwas erweitern. "Ist er den tatsächlich so gut?"
Ja
Woher weißt du das? Nun ergiebt sich eine neue Frage: Hat der Scientologe dem Degenhardt und der Freddy die Socken geklaut?
mit der musikalischen umsetzung kann ich nicht so viel anfangen. aber textlich halte ich den kerl echt für einen der interessantesten wortkünstler des deutschsprachigen raums. in manch anderem genre wünschte man sich mehr musiker, die so viel zu sagen haben wie er.
Ohne die Terror 22 Rezi wäre mir dieses Kleinod unter der sonst lurchigen Deutschrapszene auch entgangen. Zwei Zeilen haben ausgereicht um sich innerhalb von gefühlten 20 sek das Gesamtwerk einzuverleiben! Gut, war keine große Sache wenn 80% umsonst und legal aus dem Netz zu beziehen ist.
Auf der einen Seite würde ich mir wünschen das sowas einfach mal durch die Decke geht auf der anderen Seite hätte das wohl jede Menge Trittbrettfahrer zur Folge und das hätte ganz sicher grausige Auswirkungen.
So geht es mir aber schon immer mit mir liebgewordenen Künstlern.
Feiert es plötzlich jeder fühle ich mich in meiner (vermeintlichen) Exklusivarroganz (Wort gibts nicht, mir egal) angegriffen und es verliert an Reiz. Aber machen die vernünftig Kohle mit ihrer Musik freut es mich durchaus für sie. Dann aber ist der „jetztbinichsatt Effekt“ auch nicht mehr weit.
Ach es ist ein zweischneidiges Schwert mit hungrigen Nischenkönnern und dem Erfolg der alles versauen kann!
In diesem Fall würde ich sagen ist es wohl besser es kommt nie im Mainstream an.
Das war jetzt ein seltsamer Monolog bin überarbeitet und sowieso meurifiziert....
mir ist der auch lange zeit nicht aufgefallen. bin ja meist in anderen ecken unterwegs. tatsächlich war es der molti, der mal ein paar höchst aussagekräftige links rüberschob, die mich dann angefixt haben. besonders der "silke bisschoff"-text.
Schön geschrieben, L.Ron.
Mir geht es bzgl Degenhardt übrigens eher andersrum als dem Anwalt. Also haben schon was, die Texte, aber so vom Gefühl her habe ich da halt lieber Wut nach außen als Trauer nach innen. Musik finde ich (gerade auch dazu) allerdings überwiegend super.
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