laut.de-Kritik

Es gab mal einen Gott - BelaFarinRod.

Review von

Ein Meisterwerk! Ein Meilenstein! Nicht mehr und nicht weniger gelingt den Ärzten mit "Auch". Im gelieferten Pappkarton befindet sich ein wahrlich unterhaltsames Gesellschaftsspiel. Mit einer Drehscheibe, die in der Mitte der Spielfläche befestigt ist, wird gewürfelt. Die maximal drei Spieler zwischen sechs und 66 Jahren erleben ausgetüftelte Abenteuer auf dem spannenden Weg zum Ziel.

Doch was muss ich erschreckt nach dem dritten Spieldurchgang feststellen? Die Drehscheibe bricht heraus, das Ding ist kaputt und zu meinem Entsetzen ließen es sich die Ärzte nicht nehmen, die Rückseite mit Musik zu bespielen. 16 Hidden Tracks. Mist.

Mit der Musik ist es bei den Ärzten schließlich so eine Sache. Spätestens seit "Geräusch" zeigt die Kurve bedrohlich nach unten, "Jazz Ist Anders" kratzte schon an der Belanglosigkeit. Nun folgt nach der EP "zeiDverschwÄndung" mit "Auch" der erste Longplayer nach fünf Jahren Pause.

Gab es vor vielen Jahren noch zaghafte Versuche, vorsichtig zu altern, haben es die drei Berufsjugendlichen spätestens seit "Junge" komplett aufgegeben. So verweilen sie nun, zur Salzsäule erstarrt, als dreiköpfige männliche Version von Madonnas Jugendwahn. Dabei wäre ein vernünftiges Altern für den gepflegten Herren um die Fünfzig doch gar nicht so schwer. Die deutsche Punk-Rock-Nachbarschaft in Form der Toten Hosen führt vor, wie man unverkrampft an die Sache herangeht. Gut, musikalisch nähern sich diese auch immer mehr Silbermond an, aber wenigstens machen sie sich nicht mit Texten aus dem Revoluzzer-Handbuch für Sechzehnjährige zum Hannebambel.

Aber nicht alles misslingt im dreißigsten Jahr der Ärzte. Die Zopfigkeit des Vorgängers ist verschwunden, "Auch" geht straight und frisch nach vorne und verfügt über ordentlichen Druck. Ein Album das mit den Worten "Fick Dich und Deine Schwester" beginnt, kann gar nicht von Grund auf schlecht sein. Vordergründig kommt die Platte fast einer kleinen Frischzellenkur gleich.

Leider ist das Schema unter der Gurkenmaske über die letzten Jahrzehnte doch sehr angekrustet. Einem Song von Urlaub, folgt ein Song von Felsenheimer, folgt ein Song von González. So geht es dann im Groben die ganze CD lang. So weit, so vorhersehbar. Wichtig! Den Anfang markiert natürlich ein Lied, in dem irgendwie das Wort "Punk" vorkommt. Da kommt es schon einer Revolution gleich, dass Bela auf "Auch" kein Vampir-Stück zum Besten gibt.

Die Schlacht um die besten Songs gewinnt 2012 klar Farin Urlaub. "Ist das noch Punkrock?", "TCR", "M&F" und vor allem "Fiasko" und "Cpt. Metal" sorgen dafür, dass die Platte nicht vollkommen in musikalischer Einfallslosigkeit untergeht. "Cpt. Metal" bringt gezielt und ironisch jeden noch so doofen Posermetalbreak unter und schüttelt mal eben das beste Metal-Gitarrensolo seit 1989 aus dem Ärmel. Vielleicht der beste Ärzte-Track seit "Unrockbar". Dagegen steht die schnörkellose Einfachheit von "Fiasko". Schön auf die Zwölf.

Schwieriger gestaltet sich die Sache da schon bei Herrn Felsenheimer. Ohne Vampir scheint dem Grafen das Blut zu fehlen. Ein lustloser Song über Fernsehen im Bett ("Bettmagnet"), "Das Darfst Du" und die sackdumme Vorabsingle "zeiDverschwÄndung" lassen den Verdacht aufkommen, dass er seine besseren Lieder schon heimlich für den Nachfolger von "Code B" bunkert. Nur "Freundschaft Ist Kunst", eine schöne Breitseite auf rollkragentragende depressive Künstler, macht Laune.

Als Totalausfall, als wahrer "Sohn Der Leere", erweist sich diesmal Rod González. Seine Titel schwanken zwischen Schlaftablette ("Angekumpelt"), Peinlichkeit ("Tamagotchi") und Super-GAU ("Das Finde Ich Gut"). "Die Hard" schreckt im Text nicht einmal vor der Zeile "Ich bewerf Dich mit Wattebällchen" zurück. Ja, der Spruch war mal lustig. Drei Wochen, in der vierten Klasse. Wer so etwas von sich lässt, verabschiedet sich auch mit "Tschüssikowski" und lässt Phrasen wie "zum Bleistift" von sich. Eishockey. Kanu fahren. Wirsing. Guten Tacho!

Einen Reiz der Ärzte machte immer das Gegenüber der einzelnen Charaktere aus. Mal war Farin besser, mal Bela, selten Rod, einmal sogar Ihr-braucht-mein-Gesicht-Sahnie ("Wie Ein Kind"). Diesmal überwiegt aber mehr als zuvor das Gefühl, die zusammengeworfenen EPs dreier Solokünstler vorliegen zu haben. Kurz überkommt mich sogar die Frage, ob die drei überhaupt einmal gemeinsam im Studio waren? Ob sie sich bei den Aufnahmen mal gesehen haben?

Die Ärzte besitzen 2012 den Charme eines alten Haustieres. Süß waren sie, als ich sie damals mit "Das Ist Nicht Die Ganze Wahrheit…" das erste Mal mit nach Hause nahm. Ich bin mit ihnen groß geworden und sie haben einen großen Teil zum Soundtrack meines Lebens beigetragen. Sie waren immer für mich da, doch jetzt ist dieser Sechsbeiner alt und wunderlich geworden und nässt gelegentlich die Bude voll. Lieb hab' ich ihn trotzdem irgendwie. Doch die besten Zeiten liegen lange zurück. In stillen Momenten kommt der Gedanke, ob ein baldiges Ende nicht für alle Beteiligten einer Erlösung gleich kommen würde. Es gab mal einen Gott - BelaFarinRod.

Trackliste

  1. 1. Ist Das Noch Punkrock?
  2. 2. Bettmagnet
  3. 3. Sohn Der Leere
  4. 4. TCR
  5. 5. Das Darfst Du
  6. 6. Tamagotchi
  7. 7. M&F
  8. 8. Freundschaft Ist Kunst
  9. 9. Angekumpelt
  10. 10. Waldspaziergang Mit Folgen
  11. 11. Fiasko
  12. 12. Miststück
  13. 13. Das Finde Ich Gut
  14. 14. Cpt. Metal
  15. 15. Die Hard
  16. 16. zeiDverschwÄndung

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