laut.de-Kritik

Rap-Gott, er ist.

Review von

Es hat immer einen faden Beigeschmack, wenn einer sein neues Album ungeniert als Fortsetzung des eigenen größten Erfolgs anpreist. Es riecht nach der verzweifelten Hoffnung, das Feuer könne noch einmal hell auflodern, das Licht von einst auf das aktuelle Werk abstrahlen. Die Erwartungen wucherten demnach munter in den Orbit, kaum dass Eminem den Titel seiner neuen Platte bekannt gab: "The Marshall Mathers LP 2". Uffz!

Der alte Fuchs ist sich natürlich in vollem Umfang bewusst, was er damit anrichtet: "Mir geht es mehr um den Vibe - und um die Nostalgie", präzisierte er unlängst im Interview mit dem Rolling Stone Magazin. "Es wird nicht so sein, dass jeder alte Song jetzt eine Fortsetzung bekommt, oder so." Gleich der Opener straft diese Worte Lügen - mit epischer Produktion und noch epischerem Storytelling.

Gute sieben Minuten lang breitet Eminem, zunächst zu fisseligen Elektrosounds über dumpf drückenden Bässen, am Ende mit bedeutungsschwangerem Abdriften in pompösen Bombast, die Geschichte Matthew Mitchells aus. Der kleine Bruder von "Stan", zum "Bad Guy" herangewachsen, lechzt nach Genugtuung: "Ain't here for your empathy / I don't need your apology or your friendship or sympathy / It's revenge that I seek." Brrrr.

"Diggin' up old hurt", genau so geht das. In alten, schwärenden Wunden bohren, sich in der Folge (damit die Trauer bloß nicht überhand nimmt) in grenzenlosen Zorn hineinsteigern und sich den dann hemmungs-, haltlos und ohne jede Rücksicht auf Verluste von der Seele zu spucken, darin bestand schon immer Marshall Mathers' Paradedisziplin, der er auch hier wieder ausgiebig frönt. "After all that's said and done I'm still angry, yeah, I maybe, I may never trust someone."

"The Marshall Mathers LP 2" schont niemanden, am wenigsten den Hauptdarsteller selbst. Eminem liefert zwar - mit der rockenden, angemessen ironischen Beastie Boys-Hommage "Berzerk" - auch einmal die Mitgröl-Nummer zur nächsten Party oder mit "The Monster" mit einer belanglosen Hookline der durch und durch unangenehmen Rihanna eine mainstreamradiotaugliche Single ab. Mit dem Kern dieses Albums haben beide Tracks aber wenig zu tun. Zum Glück.

An anderer Stelle tritt das zentrale Thema viel deutlicher zutage. Die zusammengeschnittenen News-Schnipsel am Anfang von "Brainless" fassen es ganz gut zusammen: Es geht um "Eminem. Eminem. Eminem, Eminem, Eminem", außerdem um dessen bösen Zwilling Slim Shady, "'cause we are the same, bitch." Beide Seiten der gespaltenen Persönlichkeit spiegeln, gemeinsam beleuchtet, ein geradezu grausam intimes Porträt des Menschen dahinter. Ein treffenderer Titel als "The Marshall Mathers LP 2" hätte sich folglich wohl eher schwer finden lassen.

Eminem erzählt, wahrhaftig nicht zum ersten Mal, von seinem unfrohen Aufwachsen in zerrütteten Familienverhältnissen. Das Geld war knapp, die Mutter krank und überfordert, der Vater über alle Berge, die Mitschüler hänseln den stillen Jungen: Kein Wunder, dass auf diesem Nährboden nicht gerade in sich ruhende, gefestigte Charaktere mit einem Händchen für zwischenmenschliche Beziehungen gedeihen.

Man muss die Umstände um seinetwillen bedauern. Als Rap-Fan möchte man trotzdem jedem, der diesem Mann jemals Leid zugefügt hat, beinahe die Hände küssen. Ohne die kaputte Mutter, den desinteressierten Vater, die mitleidlosen Mobber in der Schule, ohne die zerstörerische Hassliebe zu Ex-, Wieder- und Wieder-Ex-Ehefrau Kim hätte er das Ventil nicht so dringend gebraucht. Ohne all das wäre aus Marshall Mathers vermutlich nie der "Rap God" geworden, der er heute ist. Die Quintessenz des Blues schlägt auch hier wieder durch: Nicht Glück und Freude gebären Kunst, sondern Höllenqualen.

Dass Eminem diese bis ins Comichafte überzeichnet und mit einer Portion schwarzem Humor serviert, bewahrt seine Tracks grundsätzlich davor, in wehleidiger Weinerlichkeit zu ersaufen. Darüber, dass hinter ihr noch immer Einsamkeit, Pein und Kummer wohnen, täuscht die harte, stellenweise garstig gemeine Fassade nicht hinweg - und soll das ja auch gar nicht. Eminem schlägt zwar ungebrochen um sich, zeigt aber auch her, was ihn zum veritablen "Asshole" mutieren ließ.

So marschieren in "Rhyme Or Reason" Marshall Mathers, Eminem und Slim Shady zum Vater-Sohn-Gespräch mit dem abwesenden Erzeuger auf. "So Much Better" oder "Brainless" rollen traumatische Kindheitserlebnisse wieder auf und präsentieren die Rettung, den Hip Hop, dem Eminem zusammen mit dem anderen großen Lyricist-Spitter unserer Zeit, Kendrick Lamar, in "Love Game" einen Altar errichtet.

Der eine oder andere Beat - allen voran die Dirty South-infizierte Synthie-Produktion von "Rap God", das übel Rockgitarren-lastige "Survival" oder der geradezu absurde Hillbilly-Einschlag in "So Far ..." - mögen Puristen verschrecken. "Back with the Yoda of rap ... follow you must Rick Rubin, my little padawan", darin mag mancher nicht die schlaueste Entscheidung sehen. Auf mehr als ein Hookline-Mäuschen hätte ich außerdem mühelos verzichten können.

Im Grunde bleiben aber gar keine Kapazitäten mehr übrig, um an Beats oder Featuregäste auch nur den leisesten Gedanken zu verschwenden, sobald man sein Augenmerk auf Flow und Lyrics richtet. Die Rhyme-Skills dieses Mannes sprengen jedes irdische Maß und ficken entsprechend komplett den Verstand. Was Eminem erzählt, welche Worte er dafür wählt, zu welchen mit Doppeldeutigkeiten gespickten Bildern er diese arrangiert und wie er die dann am Ende ausspuckt: schlicht nicht von dieser Welt. Immer noch nicht.

Eminem knüpft an so vielen Stellen an frühere Tracks an, nimmt hier einen Faden wieder auf, lässt da einen anderen fallen ... länger, als alle Berührungspunkte zu "The Marshall Mathers LP" - oder zur "Slim Shady LP" - aufzulisten, würde es wohl nur dauern, sämtliche Zitate und Seitenhiebe auf Kollegen, Film, Funk und Fernsehen zu katalogisieren. Einen würdigeren Nachfolger hätte sein Klassiker kaum bekommen können.

"So Much Better" bedient sich des modifizierten Beats von "Criminal", nur in viel, viel düsterer Farbe gestrichen. Das Klavier verströmt noch immer Stummfilm-Atmosphäre, bekommt aber eine monströse, wuchtige Präsenz. Musikalisch, neben dem aus einem souligen The Zombies-Sample gestrickten "Rhyme Or Reason", mein Lieblingstrack.

Dazu taugen, was die Beats betrifft, weder "Stronger Than I Was" noch "Headlights". Beide Nummern ziehen einem aber final die Socken aus, achtet man auf den Text: Ersteres geht als das nächste Kapitel von "Kim", zweiteres als eine Art Nachtrag zu "Cleaning Out My Closet" durch. Bloß hat Eminem inzwischen genug Abstand und die nötige Größe gewonnen, die Frauen, die ihm das Herz gebrochen haben, nicht mehr gnadenlos niederzumetzeln. Er kann sich inzwischen in sie hinein versetzen, aus ihrer Perspektive erzählen. Ehrlich? Das hätte ich ihm niemals zugetraut. Nicht so einfühlsam, nicht so berührend. Nie im Leben. Das nennt man wohl, so gruselig das klingen mag, "erwachsen werden".

Die neue Reife schützt aber, Rapgottlob, nicht vor der Wut. Genau deswegen gilt auch immer noch: "Fuck top five, bitch / I'm top four / And that includes Biggie and Pac, whore / And I got an evil twin / So who do you think that third and that fourth spot's for?" Ja. Denkt da mal drüber nach.

Trackliste

  1. 1. Bad Guy
  2. 2. Parking Lot (Skit)
  3. 3. Rhyme Or Reason
  4. 4. So Much Better
  5. 5. Survival
  6. 6. Legacy
  7. 7. Asshole ft, Skylar Grey
  8. 8. Berzerk
  9. 9. Rap God
  10. 10. Brainless
  11. 11. Stronger Than I Was
  12. 12. The Monster ft. Rihanna
  13. 13. So Far ...
  14. 14. Love Game ft. Kendrick Lamar
  15. 15. Headlights ft. Nate Ruess
  16. 16. Evil Twin

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