laut.de-Kritik
Wie ein Wimmelbild zwischen den Ohren.
Review von Robin SchmidtSelten prophezeiten die Zeilen im Intro so deutlich, was in den kommenden Minuten in Langspielzeit passieren wird: "Wenn Ihnen unterwegs schwindelig wird, machen Sie die Augen zu" resümiert eine Stimme auf einem hypnotischen Arrangement. Über die Protagonisten erfährt man lediglich: "Dieses Mädchen heißt Gerda". Und dass ein Schloss eine gewisse Rolle spielt.
Vom Pressetext zum Album "Believe In Gerda" erfährt man, dass ein Schloss in Brandenburg gemeint ist, in dem Gerda ihr Unwesen treibt. Hier klimpert sie mit einer Inbrunst auf MPCs, Synthesizern, Posaunen, Gitarren, Bässen und weiteren Instrumenten herum, dass einem die Ohren wackeln.
Kein Wunder: Hinter dem Projekt stecken drei Musiker von Seeed und ein Teil des Produzententeams The Krauts, das unter anderem für Hits von Marteria und eben Seeed verantwortlich zeichnet. In jenem Schloss haben sie sich zum Musikmachen zusammengefunden und erkennbar vom Boom-Bap-Sound der letzten Griselda-Releases oder The Alchemist inspirieren lassen.
Mit Gerda haben sie eine imaginäre Künstlerin erschaffen, die Beats im psychedelischen, dreckigen Gewand auf Deutschraphausen loslässt. Die Instrumentals klingen hochwertig und langweilen nie.
Nahezu jeder Song beginnt mit einem Intro und schließt mit einem Outro, die jeweils das musikalische Werk von Gerda in den Mittelpunkt rücken. Die Instrumentals entwickeln sich häufig innerhalb des Stücks, enden fast nie so, wie sie angefangen haben ("Tag Wird Zur Nacht"). In "Hundejahre" beispielsweise mutet der Beat zunächst mit einer gewissen Melancholie an, die sich später in Heiterkeit auflöst.
Gerda konstruiert eine Atmosphäre, bei der man hin- und hergerissen ist zwischen Kopfnicken und sich entspannt in den Sitz lehnen. Wilde Gitarren-Solos ("Up Im Smoke"), Vocal-Scratches von Haftbefehl bis Redman oder versteckte Geräusche: Diese Instrumentals kreieren ein Wimmelbild zwischen den Ohren. Die einzigen Wiedererkennungsmerkmale sind die Beat-Tags "Gerda bringt ihn rein" und "Believe in Gerda".
Wenn Gerda ihn reinbringt, stehen Rapperinnen und Rapper dieses Landes Schlange. Auf der Platte versammelt sich das Who's Who der deutschen Hip-Hop-Szene, darunter OG Keemo, Marteria, Audio88, Yassin, Tom Hengst, Wa22ermann, Kryptik Joe, She-Raw, Hanybal, Apsilon um hier nur einige zu nennen. Nicht auf der Tracklist angegeben ist Xatar. Dennoch ist er auf "Tag Wird Zur Nacht" zu hören und sorgt mit Tom Hengst und Wa22ermann für eine erfrischende Kombination.
Bis ins kleinste Detail ausgefeilt sind indes nicht nur die Instrumentals. Auch aus den Lyrics hört man heraus, wie viel Liebe in dieses Projekt geflossen ist. Mal wird bitterbös gespittet wie in "Grayskull" von Yassin: "Ficke diesen Gossen-Loop im Boss-Anzug / Bleibe unerreicht, drücke weg, wenn Gott anruft / Das kein Hip-Hop, was wir machen, das ist Hassrede auf Bass / Zahlen Champagner mit dem, was man heute nicht mehr sagen darf".
Dann jonglieren She-Raw und addeN auf "King" wild hin und her: "Ich spring auf Rap wie auf ein Trampolin / In einer Männerwelt bleibt auch eine adden weiter Maskulin" und: "Ich bin der King / Wenn ich hitte ist finish / Bitches brauchen ein Image / Ich scheiße drauf, was grade in ist".
"Mir steht's bis hier ob der Wasseroberflächlichkeit / Wo sie reden mit Filterfressen, der letzte Schrei / Die Tiefsee ruft, alle wollen mit ihr surfen / klingt für mich nach Deepfake, doch ich hör nicht hin" rappt Nepomuk an der Seite von Kryptik Joe in "Geist". Letzterer ist außerdem an der Seite von She-Raw und Porky in "Tschakk Tschakk" mit einem belebenden Rap-Part zu hören: "Rapper:innen hängen Spartenzwang / Kryptik Joe kloppt auf Anhieb 16 Bars zusammen".
"Believe in Gerda" ist kein Album für die breite Masse. "Believe in Gerda" ist ein Projekt aus der puren Freude an der Musik heraus. Keine hastig für TikTok zusammengeschusterten Beats mit Sampling-Anleihen aus den 80ern oder 90ern, sondern Instrumentals, die handwerklich herausragend komponiert sind. Solch ein Album hat Deutschrap gefehlt. Lange hat ihn keiner mehr so gut reingebracht wie Gerda. Believe in her.
4 Kommentare mit 3 Antworten
Seeed und The Krauts lösen bei mir immer das Gegenteil einer Hörempfehlung aus.
kann ich ungehört zustimmen
Kryptik Joe ist doch der von Deichkind
Kannte bisher nur den Track mit Keemo, ist dope!
Nettes Release. Einige starke Tracks. Einige schwache. Sehr abhängig von den Rapenden. So ne She-Rawr halt bisher auch nur auf dem KIZ-Leak gut.
Der Titel "Gerda" ist dann aber doch ähnlich wie die Beats etwas sehr den Kollegen aus Buffalo nachempfunden.
welcher KIZ-Leak?
Der Fake-Leak von Urlaub fürs Gehirn
https://www.youtube.com/playlist?list=PL40…
Ein Ohrenschmaus für meine Ohren