laut.de-Kritik

Zwischen dekadenter Poolparty und Moshpit.

Review von

Nach einem kurzen, durchaus positiv aufgenommenen Ausflug in die deutsche Sprache geht das schwäbische Trio Itchy wieder back to the roots. "Dive" beinhaltet englische Texte und die sprudelnde Experimentierfreude mit dem Hang zu beinahe progressiven Riffs von "Ja Als Ob". Gleich beim Opener "Prison Light" fallen die stellenweise an Billy Talent erinnernden Gitarren positiv auf, ergänzt um einen recht rauen, aber durchaus pumpenden Bass.

Zwar ist das recht klassischer, midtempolastiger, sehr poppiger Punkrock, aber man hat nicht den Eindruck, als hätte man das Riff bereits unzählige Male gehört. Der Mittelteil groovt angenehm, der melodiöse Chorus bläst sich zu hymnischer Größe auf. Mehr Pop in Form von leicht kreischenden Vocodersounds und zuckersüßen Melodien liefert "Thoughts & Prayers", behandelt allerdings inhaltlich eher weltpolitische Sorgen. Begriffe wie "lunatic fascist" oder "fucked up masses" sprechen eine deutliche Sprache, obwohl die Mucke eher nach dekadenter Poolparty klingt. Etwas mehr Geschwindigkeit hätte dem Stück gut getan.

Das gilt ebenso für "Burn The Whole Thing Down": Ein rappender Justin Sane von Anti-Flag gibt sich in der gitarrenpoppigen, eher positiv gehaltenen Strophe die Ehre, bis ein recht schroffer Wechsel in eine völlig andere Richtung prescht. Kaum hat man sich auf das kernige, deutlich fettere Gewand eingelassen, reißt der Popsound das Ruder erneut herum. Irgendwie will das alles nicht zusammenpassen. Schade.

Zwar immer noch gelinde schleppend, aber wieder erheblich besser gelaunt klingt "You". Die gänzlich unbedarfte, luftige Melodie erinnert in ihrer Unbeschwertheit an alles, was Rivers Cuomo in die Welt entlassen hat und die Stimme von Sänger Panzer könnte das Stück kaum runder machen. Ein schräges Solo, ein nicht minder schräger Basslauf, zwanglose Coolness. Das macht Laune! Endlich kommt mit "Dive" Wallung in das gleichnamige Werk, indem die Itchys die Schlagzahl merklich erhöhen.

Catchy, mit geil rauem Bass und obwohl etwas seicht und minimal plastisch, fühlt man sich, als sei man genau jetzt im Albumkosmos angekommen. Die Melodie pfeifen bald die Spatzen von den Dächern, das gibt einiges an Pluspunkten. Es geht sogar schneller, auch aggressiver, lebendiger, punkiger! Textlich ein saftiger Schlag gegen die Kirche und alles war dort so getrieben (pun intended) wird, unterlegt mit geilen Galoppdrums und gelegentlichen Stadion-Shouts. Das hat früher schon die Menschen von der Couch geholt und erzielt heute den gleichen Effekt. Ich spüre erstmals den Drang, mich zu bewegen.

Auch die sonnige Brit-Pop- und Beat-Hommage "I'm Alright" steht den drei Berufsjugendlichen richtig gut zu Gesicht. Kurz, bündig und fröhlich. Die typische Pop-Punk-Blaupause "Hospital" wirkt etwas ernster und beschäftigt sich wohl mit unserem Gesundheitssystem. Schöne Stakkatos, mehrstimmige, klage Gesänge und vor allem richtig coole, sauber akzentuierte Riffs. Wieder einmal bleibt der Chorus sofort hängen. Das können sie.

"Afterglow" klingt dann leider wie der halbgare Mist, den einige Billigskatebands in den späten 90ern verbrochen haben, strotzt vor unnötigen Effekten und wirkt wie das Cover eines Eiffel 65-Songs. Spätestens mit "Broke Forever" sind wir wieder halbwegs auf Kurs und freuen uns über eine ironische Erwachsenenversion poppiger Punkmusik. Ein Klagelied auf alles, was sich unerwünschterweise im Sog der Neubausiedlungen abspielt. Auf eine angenehm alberne Art und Weise spielen sie hier mit Klischees und liefern lyrische Perlen wie "My buddy just turned his game up a notch, when he payed 20K for a watch / Mine has no name, but the time is the same".

Das eigentliche Highlight kommt zum Schluss: "Come Join Us" ist zweifelsfrei der beste, weil druckvollste und vielschichtigste Song von "Dive". Emotionen kochen über, Chöre, geile Drums, Melancholie und musikalische Twists. Einen derart fetten Punkbanger ans Ende zu setzen, grenzt beinahe an Unverschämtheit. "Dive" mag also anfangs ein wenig langsam aus dem Quark kommen, insgesamt gefällt die Scheibe aber wirklich gut.

Trackliste

  1. 1. Prison Light
  2. 2. Thoughts & Prayers
  3. 3. Burn The Whole Thing Down
  4. 4. You
  5. 5. Dive
  6. 6. No One's Listning
  7. 7. I'm Alright
  8. 8. Hospital
  9. 9. Afterglow
  10. 10. Broke Forever
  11. 11. Lie
  12. 12. Come Join Us

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