laut.de-Kritik

Fernseh-Abend mit Schlager statt Rave.

Review von

Blümchen geht nicht mehr hart. Das ist vielleicht nicht die Frage, die das neue Album von Jasmin Wagner an sich selbst stellt, aber die Frage, die die Außenwelt stellen wird. Dieses Album trägt die Spuren der Neunziger-Ikone noch am Revers - und die soliden Elektro-Einschläge stechen auf "Von Herzen" im Geröll der abgestandenen Schlager-Klischees noch am positivsten heraus. Vielleicht muss man mit vierzig nicht mehr Blümchen heißen und Rummelbumsdisco für Sternenschanzen-Ecstasy machen. Aber so harmlos wie dieses Album muss man doch trotzdem nicht werden, oder?

Das Hauptproblem sind die Texte. Man wird einfach nicht schlau daraus, ob die jetzt gut sein wollen oder nicht. An ihnen kracht "Von Herzen" in regelmäßigen Abständen ins Bodenlose. Sonst würde hier manchmal eigentlich alles solide funktionieren. Die Produktion hat für Schlager-Verhältnisse ganz schön Leben in der Brust, Wagner bleibt weiterhin sympathisch und charismatisch am Mikrophon, alles sieht gut und schön aus – und dann singt sie "Nein, nеin, nein, nein, nein / Du bist nicht allein, Lein-lein-lein-lein-lein".

Malle-Refrains treffen Deutschpop-Gefühlsduselei, das ist wirklich nicht die goldene Kombo. Schon der Opener "Gold" geizt nicht mit Klischees, die wie große Erkenntnis vorgetragen werden: "Weil mit dir mein Herz immer lacht", "weil sich Liebe immer lohnt", "reden ist Silber, Lieben ist Gold". Uff. Das ist alles so banal, was will man dem hinzufügen? Es klingt eben alles wie generisches Schlager-Gedudel. Das Problem ist dabei nur: Früher konnte sich Wagner hinter diesen unwiderstehlichen, bescheuerten Techno-Produktionen einreihen und es war egal bis irgendwie witzig, wie sehr sie in Phrasen gesprochen hat.

Heute macht sie Schlager und nimmt die schlechtesten Elemente beider Welten an. Denn während da zwar immer noch elektronische Kirmes durch die Back-Up-Tracks blödelt, ist es auch nicht so, als würde da die Lust zum Tanzen durchschlagen. Oft klingen die Songs durch die Elektronik nur holpriger und seelenloser, während wir alle Attitüde und Steifheit des Schlagers mitnehmen. Wagner steht so penetrant im Mittelpunkt, dass man ihr sogar zutraut, dass das, was sie da vorträgt, in ihren Augen richtig geile Lyrics sind. Das Problem sind also nicht die Lyrics, sondern dass die ab und zu soliden Elektro-Grooves nicht hart genug gehen, um die Texte aus dem Fokus zu nehmen.

Deswegen klingt alles ein bisschen, als hätte man einem Algorithmus die Profile von 10.000 Facebook-Müttern zu fressen gegeben. Das würde zumindest die Kein-Bock-auf-Arbeit-Jam "Konfetti Raketen", der Sofa-Gammel-Song "Hauptsache Du" und den rührselige Schmachter "Sterne" erklären. Es ist nicht ganz auf senilem Minion-Meme-Level, sondern ästhetisch eher auf der Stufe von Leuten, die jeden Tag darüber posten, dass sie gerne Kaffee trinken oder Seiten mit Gefällt mir markieren, auf denen schwarzer Humor gepriesen wird, nur um dann gebeten zu werden, die Person zu markieren, die dir jetzt eine Urlaubsreise schuldet.

Ein bisschen Licht bekommen wir am Ende trotzdem: "Hamburg Im Sinn" ist ein eingängiges Stück Lokalpatriotismus, auf dem die Lebenserfahrung und der an sich einfach coole Charakter von Wagner spürbar durchschlägt. Sie zeigt ein bisschen mehr von sich, redet ein bisschen weniger Schlagerphrasenchinesisch, man erinnert sich daran, dass man mit dieser Frau durchaus gerne raven gehen würde. Eine weitere Erinnerung daran ist "Blümchensong": Da kickt der spaßigste Beat der Platte und zeugt von einer produktiven Vergangenheitsbewältigung.

Generell sollte man froh sein, dass Wagner Blümchen nicht wirklich verstoßen hat. Denn was ihre Musik damals geil gemacht hat, ist heute immer noch der stärkste Faktor daran. Sie hat die Ausstrahlung, sie hatte die Stimme, sie kann genuin euphorisch klingen. Und in den Krypten der leblosen Schlager-Schießbudenfiguren macht sie das schon zu einem Performer der höheren Güteklasse. Aber trotzdem: Die Schlager-Gefühlsduselei zerrt den Hörer vehement auf die inhaltliche Ebene von "Von Herzen". Es ist eben schwer wegzuhören, wenn sie Mumpitz wie "Denn immer wenn ich traurig bin / Schließt du mit Konfetti Raketen ein Licht in mein Leben" singt. Ab und zu sind die Beats im Hintergrund nostalgisch für Raves der Vergangenheit. Nur bewegen muss man sich halt dazu nicht. Aus dem Sternenschanzen-Ecstasy wurde ein gemütlicher Fernsehabend. Und wenn man genau das will, ist das schön und gut - aber wenn man schon nicht ganz untot im Schlager-Kosmos existiert, könnte man doch eigentlich sogar ein bisschen mehr wollen.

Trackliste

  1. 1. Gold
  2. 2. Du Bist Nicht Allein
  3. 3. Hauptsache Du
  4. 4. Mehr Brauche Ich Nicht
  5. 5. Lass Los
  6. 6. Spring In Mein Herz
  7. 7. Regentropfen
  8. 8. Konfetti Raketen
  9. 9. Sterne
  10. 10. Blümchensong
  11. 11. Hamburg Im Sinn
  12. 12. Sonne In Mir

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11 Kommentare mit 19 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    "Chris Was Gebacken Vor 17 Stunden
    Ach Fuck. Aber ehrlicherweise hättest du das wirklich so ähnlich formulieren können und ich stimme dem ja sogar zu. Hab nur reflektiert "warum zur Hölle eigentlich" ;)"

    Ja, gehe inhaltlich auch mit. ;)

  • Vor 3 Jahren

    Hier wäre weder inhaltlich noch stilistisch zu keinem Zeitpunkt irgendwas wirklich nennenswertes für die Musikwelt verloren gegangen, hätte Mama Wagner in den 90ern drauf bestanden, dass ihre Tochter eben nicht im Teenageralter schon im bauchfreien Top und nem Mikro in der Hand sowie Buffalo-Plateaus an den Füßen vor ner Horde MDMA-geschwängerter Happy Hardcore-Schwitzis rumhoppst, sondern lieber bissl konzentrierter für's Abi lernt und danach ne höhere Handelsschule als Vorbereitung für die lebenslange Karriere im Sozialversicherungsfachwesen absolviert.

    • Vor 3 Jahren

      Bist ganz schön gehässig in letzter Zeit. Alles in Ordnung?

    • Vor 3 Jahren

      Abgesehen vom vielleicht etwas elaboriert-blumigeren Stil: Finde den Unterschied zu "Ich stehe zwar überhaupt nicht auf ihre Musik, aber als Person ist/(wirkt) sie ganz sympathisch."

      Darüber hinaus? Urlaub in Zeiten der Pandemie ist auch nur ein ranziger Blumentopf. Was mensch liebt, ist öfters mal auf Reisen zu gehen. Was mensch hasst, ist überall die gleiche Scheise (hör auf die Betonung im Original, Punk!) zu sehen.

    • Vor 3 Jahren

      @Pseudologe:
      Ich fand Urlaub in Zeiten der Pandemie eigentlich ziemlich entspannt ... längere Spaziergänge, während die Leute auf Arbeit oder im Homeoffice brüten ... mal bei Tageslicht ein paar längere Alben durchhören ... Plattenregal und Musikdatenbank aufräumen ... gemütlich auf Balkon im Liegestuhl ein paar Bücher schmökern ... den Leuten, die morgens zur Bushaltestelle unterwegs sind, den sterbenden Schwan vorhusten und dann dem Rettungsdienst sagen, daß alles in Ordnung sei, man habe sich nur verschluckt ...
      Gruß
      Skywise

    • Vor 3 Jahren

      @Skywise
      Danke für den Zuspruch, dass ist derjenige Teil dieser U-Reihe, der nach ein klein wenig handwerklicher Vorarbeit durch Installation meines neuen Dachterassendachs noch vor mir liegen sollte... wenn es mal 5 MINUTEN IN DIESEM SOMMER AUFHÖREN KÖNNTE AUF DIE FREILIEGENDEN BALKEN DRAUFZUREGNEN.... AAAAAARGHHHH!

    • Vor 3 Jahren

      -s
      EDITIERFUNKTION HIER JETZT UND FÜR ALLE ZEIT UND CAPSLOCKFTW!

    • Vor 3 Jahren

      Richtig!
      Dann hätte sie einen akademischen Grad mit dem sie jahrelang 24/7 Scheisse in die Kommentarspalten (ua.) eines ehemaligen Eurodanceacts rotzen könnte!
      Wie kann man so etwas nicht anstreben?

    • Vor 3 Jahren

      Es soll ja sogar INGENIEURE geben, die Sowas für erstrebenswert halten. :)

    • Vor 3 Jahren

      Hab einen gefunden. :lol:

  • Vor 3 Jahren

    ich will ein Kollabo-Album mit Finch!