Porträt

laut.de-Biographie

Jeff Rosenstock

Er habe schon immer gewusst, so Jeff Rosenstock, dass er bis zum Sterbebett Musik machen wolle. Damit erfolgreich zu sein, war jedoch nie zwingend Teil des Plans. Ein früheres Bandmitglieder sagte einmal über ihn, dass er das größte musikalische Genie sei, das sie je kennengelernt habe. Allerdings habe er sich nie ernst genug genommen, um sich um die Meinung der Kritiker*innen oder finanziellen Erfolg zu kümmern. Stattdessen folgte Rosenstock seinem eigenen Credo: Alle Macht den Musiker*innen und den Fans, DIY bis zum Tod.

Der am 7. September 1982 in New York geborene Musiker findet seine Berufung inmitten der aufblühenden Punk-Szene der 90er. Mit Madonna auf einem Ohr und Metallica auf dem anderen ergreift ihn die schlagartig neu aufkeimende Ska-Welle und spült ihn inmitten der dutzenden Liveshows, die es zu dieser Zeit in seinem Heimatstaat zuhauf gibt. Für den Saxofonisten Rosenstock ist es Liebe auf den ersten Blick. Endlich findet auch sein geliebtes Instrument statt, ohne, dass es nach der langweiligen Musik seiner Eltern klingt. In einem Interview mit dem Village Voice-Magazin schildert er 2014 seinen Kontakt mit dem Genre: "Whoa, this is like metal but with horns. This is great!"

Es dauert in der Folge nicht lange, bis der musikalisch begabte Rosenstock anfängt, diesen Sound selbst zu reproduzieren. Gemeinsam mit Kindheitsfreund Joe Werfelmann gründet er 1995 seine erste Band (The Arrogant Sons Of Bitches) und schreibt sich von Tag eins auf die Fahne, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die Band findet schnell Anklang in der florierenden Szene der amerikanischen Ostküste, doch erreicht auch zunehmend ein Level an Stagnation, das den jungen Rosenstock desillusioniert: "Wir verkauften T-Shirts, um für T-Shirts zu bezahlen. Wir waren auf Tour alle arm, wir machten keine Musik, weil wir zu beschäftigt damit waren, uns einen Namen zu machen. Ich hatte eines Tages einfach genug. Ich wollte nicht länger Zeugs verkaufen", erklärt er dem Vice-Magazin.

So kommt es, dass er für seine nächste Band einen etwas anderen, für die Zeit geradezu revolutionären Ansatz, wählt. Aus der Schnapsidee einen seiner Solosongs für umme ins Netz zu stellen, geht das Projekt namens Bomb The Music Industry! hervor. Eine Band, die nur auf dem Papier existiert, und vielmehr ein Outlet für all die verrückten musikalischen Ideen darstellt, die in Rosenstocks Hirn kreisen. Noch mehr als bei seiner ersten Band versetzt er den Ska-Punk mit neuen Elementen aus Synthpop, Power-Pop, Folk oder Hardcore.

Damit einhergehend, hievt der Amerikaner auch seinen DIY-Ansatz auf ein völlig neues Level: Sämtliche Musik der Band steht auf der Seite des von Rosenstock gegründeten Labels Quote Unquote Records kostenlos zur Verfügung. Keine Show soll mehr als zehn Dollar Eintritt kosten, Merch bemalt man per Hand - und auch das nur, weil die Fans um eine Möglichkeit, sie finanziell zu unterstützen, geradezu betteln.

In wechselnder Besetzung - teils mit über zehn Leuten auf der Bühne, teils solo, teils mit ein paar Fans, die Rosenstock auf die Bühne holt, um mit ihm zu spielen - avanciert Bomb The Music Industry in den späten 2000ern im landesweiten Untergrund zur absoluten Kultband. Die Band bleibt ihrer Unabhängigkeit allerdings nicht nur aus reiner Selbstüberzeugung treu, wie Rosenstock später in einem Interview verrät, gibtb es schlichtweg auch kein Angebot eines größeren Labels.

Auch, wenn dieser euphorische Mittelfinger an die Musikindustrie über die Jahre nach außen kein bisschen Potenz verliert, zieht dieser fast schon nomadische Lifestyle an allen Teilnehmenden nicht ohne Spuren vorbei. Nach sieben Alben und dutzenden EPs in gerade einmal sieben Jahren kündigen Bomb The Music Industry! 2012 eine unbefristete Pause an. Auf Social Media teilt die Band ein Statement in dem es heißt, dass ihre Leben die neun, zehn Monate im Jahr, die sie nicht touren, nicht gerade grandios seien, und sie für den Moment eher etwas suchen würden, dass ihnen Vollzeit Freude bereiten könne.

Für Rosenstock bedeutet das allerdings weiterhin Musik zu machen, daran besteht kein Zweifel. So verstreichen nur wenige Monate, bis er 2012 sein erstes Soloprojekt unter eigenem Namen mit der Welt teilt. "I Look Like Shit" darf als Kater nach über einer halben Dekade lang Sau rauslassen verstanden werden. Der Ska verschwindet ebenso wie der Punk, was bleibt ist müder, aber nicht weniger catchy Indierock, in dem eher Pavement oder Neutral Milk Hotel nachhallen als die Ramones.

Bis Jeffs Solokarriere so richtig ins Rollen kommt, verstreichen allerdings nochmals Jahre, in denen er auf einer ausufernden Tour gemeinsam mit Freunden und Wegbegleitern auf Wiedersehen zu seiner alten Geliebten "Bomb The Music Industry!" sagt. Als er sich das nächste Mal wieder mit neuer Musik zurückmeldet, grüßt das Jahr 2015 vom Kalenderblatt. "We Cool?" fragt sein Debütalbum, das einen immer noch ziemlich mitgenommenen Rosenstock präsentiert, der seinen Weltschmerz, seine Ängste und auch seine Hoffnungen auf zwölf Pop-Punk Songs in die Welt schreit, die rein gar nichts mit dem oft etwas befleckten Image dieses Genres zu tun haben.

"We Cool?" klingt nicht nach "Warped Tour" oder Axe-Deo, sondern nach alten Pizzakartons, nach Schweiß, der von der Decke tropft, nach Bröselgras im Handschuhfach. Rosenstocks Musik wohnt nicht nur eine tief sitzende, echte Unzufriedenheit inne, sondern auch der unerschütterliche Wille, diese durch das Spielen von ein paar Akkorden zu exorzieren. Dem Follow-Up "Worry" gelingt dies nahe der Perfektion. Rosenstocks lange Karriere hat ihn genau für diesen Moment vorbereitet. Ein Mischmasch aus Punk, Rock und Pop, der nie aufhört, Haken zu schlagen, seine lyrische Uppercuts hinter musikalischen Zuckerbomben versteckt, und dessen Hooks sofort einen Nerv treffen.

Doch auch, wenn Rosenstock diesen Sound im Laufe seiner Solokarriere zu einer absoluten Kernkompetenz macht, hält ihn das keineswegs von anderen Experimenten ab.
Auf seinem 2018 erschienen Album "-Post" arbeitet er sozialpolitische Brennpunkte mittels eines deutlich softeren Songwriters-Ansatzes ab, und begleitet die Animations-Serie "Craig's Creek" mit kinderfreundlichem Power-Pop, der ihm sogar eine Emmy-Nominierung beschert.

Nicht nur bleibt er währenddessen weiterhin dem DIY-Ethos treu - seine Musik ist trotz der Verfügbarkeit auf sämtlichen Streaming-Plattformen weiterhin kostenlos erhältlich. Auch seinen musikalischen Wurzeln schwört er nie vollkommen ab. Das zu Beginn der Corona-Pandemie veröffentlichte Album "No Dream" legt er nur ein Jahr später als reines Ska-Album "Ska Dream" neu auf. Womit er wohl einer der wenigen Musiker darstellt, denen mit einem Ska-Album im Jahr 2021 ein Erfolg gelingt. Denn nicht nur seine Popularität wächst mit den Jahren weiter, jedoch nie genug, um ihn vollends in den Mainstream zu spülen, seine Alben machen ihn zum absoluten Kritiker-Liebling. Diese Entwicklung kulminiert 2023, als Rosenstock mit "HELLMODE" sein bis dato am lautstärksten gefeiertes Album vorsetzt und sämtliche Bestenlisten kapert. Auf der Liste des bekanntesten Youtube-Reviewers Anthony Fantano reicht es sogar für die Spitzenposition.

"HELLMODE" markiert zwar eine Abkehr von Rosenstocks bisheriger Arbeitsweise, da es sein erstes Album darstellt, das er in einem professionellen Tonstudio aufnimmt, jedoch subvertiert er die damit einhergehenden Erwartungen und greift nicht zur großen Geste. Stattdessen tut er das, was er immer tut, er schreibt elf Songs, die seinen durch die Pandemie durcheinander gebrachten Gemütszustand spiegeln und schafft es, dass sie trotz der aufpolierten Produktion genauso heimelig klingen, als hätte er sie für jede*n Einzelne*n von uns geschrieben.

Surftipps

  • Instagram

    Fotos und Stories

    https://www.instagram.com/jeffrosenstock/
  • Quote Unquote Records

    Rosenstocks DIY-Label.

    https://quoteunquoterecords.com/albums.htm
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    Infos aus erster Hand.

    https://twitter.com/jeffrosenstock?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Eauthor

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