laut.de-Kritik

Vertrackt, unzugänglich - wahnsinnig spannend.

Review von

John Frusciante hat sich in den 44 Jahren seines Lebens den größtmöglichen Luxus erkämpft. Nach Jahrzehnten, in denen er sich mit Bandkollegen abstimmen musste oder im Heroinsumpf versank, macht er heute, abgesichert von den Red Hot Chili Peppers-Tatiemen, nur noch das, wozu er Lust hat. Was der Rest der Menschheit davon hält, interessiert ihn einen feuchten Kehricht.

Dass er ohne Weiteres Hits aus dem Ärmel schütteln kann, hat er längst bewiesen. Mittlerweile liegt sein Hauptaugenmerk darauf, jede noch so düstere Ecke seines musikalischen Könnens und Nichtkönnens auszuleuchten. An diesem Lernvorgang lässt Frusciante jeden teilhaben.

"Enclosure" stellt für den Gitarristen und Soundtüftler die Erfüllung aller musikalischen Ziele dar, die er sich in den letzten fünf Jahren gestellt hat. Es führt all die losen Schnüre, die überall aus "Letur-Lefr", "PBX Funicular Intaglio Zone" und "Outsides" heraushängen, zu einem dunkelbunten Wollknäuel zusammenzufassen.

Auf seinem elften Album, zeitgleich mit Black Knights' "Medieval Chamber" aufgenommen, kultiviert Frusciante die Konfusion. Klassische Songstrukturen bedeuten dem Freidenker nichts mehr. Das Genie beherrscht das Chaos, und wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen. Während "Enclosure" im Cube-Satelliten Sat-JF14 über uns schwebt, entdecken wir hier unten zwischen den zerlumpten Drum'n'Bass-Loops fragile Melodien, Krautrock, Electronica, Hip Hop, Jazz und ein undeutliches Echo des jungen Frusciante.

Den in tausend kleine Stücke zerbrochenen und an Schlagzeug-Epilepsie leidenden Opener "Shining Desert" hält letztendlich nur Johns markante Fuzz-Gitarre zusammen. Die gewollt dilettantische Produktion und der muffige Sound stellen sich dem Hörer wie ein mies gelaunter Türsteher entgegen und verweigern ihm zunächst den Zugang. Wer jetzt schon aufgibt, hat hier auch nichts zu suchen.

Meist sabotiert Frusicante seine Songs, anstatt sie zu unterstützen. Wo es nur geht, wirft er ihnen Knüppel zwischen die Beine. Innerhalb von wenigen Takten wechseln sie mehrfach vollständig ihre Klangfarbe. "Cinch" führt den ungesicherten Weg von "Shining Desert" fort, fügt aber entrückten Gesang hinzu. Frusciante verläuft sich in jeder Sackgasse seines selbst erschaffenen Labyrinths, purzelt über jeden Stolperstein, nur um den Track mit einem emotionalen Rausch, einem wilden und aufrüttelnden Gitarrensolo, zu krönen.

Aus den Strophen von "Sleep" rieselt vertrockneter Wüstensand, die Snares klappern der Rassel einer Klapperschlange gleich, bis im Refrain entarteter Stadion-Rock die Vorherrschaft übernimmt. In "Run" drückt John auf allen Knöpfen und Tasten herum, die sich zu dem Zeitpunkt im Studio befinden. Erst zur zweiten Strophen hin fügt sich das Wirrwarr nach und nach zusammen. Überhastet folgt ein Bild auf das nächste, bis sich plötzlich und vollkommen unerwartet die Synthesizer hinter Frusicante erheben und sich alles zu seiner deformierten Schönheit zusammenfügt und letztendlich Sinn ergibt.

In all diesem Großstadttumult bildet "Stage" das melancholische Kleinod. Eine OMD-Grimasse voller Gram und Seelenschmerz, in der die Synthesizer vor sich her blubbern und die in anderer Umsetzung tatsächlich auch auf einem Album seiner alten Band-Kollegen seinen Platz finden würde. Für einen fast schon zu braven Moment steht das Songwriting wieder im Mittelpunkt. In den letzten Minuten gesellt sich noch einmal sein unverkennbares Gitarrenspiel hinzu, bis "Stage" zunehmend ausfranst. Das druckvolle "Scratch", vorab als Download verfügbar, findet sich leider nur auf der japanischen Edition.

Seinen Zuhörern verlangt Frusciante mit "Enclosure" viel ab. Etwas zu verkopft setzt er mehr auf Lärm als auf Musik. Nachvollziehbare Elemente, die den Zuhörer an die Hand nehmen, fehlen. Pedantische Frickelei, der hier und da die Substanz wegbröckelt, bestimmt das üppige und lebendige Klangbild. Wie schon bei den letzten verqueren Veröffentlichungen bietet selbst eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Werk keine Garantie, sich in diesem zurechtzufinden.

Für alle Fans, die mit der "Experimentierphase eines reichen Kindes mit 'nem fett equippten Elektrobaukasten" nichts anfangen können, steht Entspannung ins Haus. "Enclosure" gilt als "letztes Wort einer musikalischen Aussage, die mit PBX begann." Eine Äußerung, die direkt zur packendsten Frage des Longplayer führt: Wie geht es nach "Enclosure" weiter? Frusicante bleibt spannend.

Trackliste

  1. 1. Shining Desert
  2. 2. Sleep
  3. 3. Run
  4. 4. Stage
  5. 5. Fanfare
  6. 6. Cinch
  7. 7. Zone
  8. 8. Crowded
  9. 9. Excuses

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12 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Beim ersten Durchgang dachte ich noch, die Platte sei schwächer als PBX. Beim dritten Durchgang hat es aber gezündet. Frusciante möchte, daß man dieses Album in einem ganz bestimmten Zustand anhört und Erwartungen so gut es geht beiseite lässt. Das Bild mit dem mies gelaunten Türsteher passt perfekt zum Klangbild, weil es zunächst sehr abschreckend klingt.

    Der rote Faden sind hier sein mehr in der Vordergrund gerücktes Gitarrenspiel und sein Songwriting, das sich erst spät erschließt. Dafür erzielt es eine umso stärkere Wirkung, da hier keine poppigen Ohrwürmer mehr zu finden sind, die einfach in die Gehörgänge gleiten. Zuhören ist die Devise! Ein absolut aufregendes Experiment, das nach Letur Lefr, PBX Funicular Intaglio Rone und Outsides enorm reifen konnte.

    Jetzt finde ichs fast schon schade, daß er seine elektronischen Spielereien für beendet erklärte.

  • Vor 9 Jahren

    Finde ich sehr viel zugänglicher als PBX muss ich sagen, hatte mich spätestens beim dritten Durchlauf. Seine Experimente sind hier meiner Meinung nach viel stärker ausgereift als bei den vorangegangen Sachen, mir gehts ähnlich wie Ragism: So könnte er gerne weitermachen. Denke aber nicht, dass dieses einmal Erlernte sich jetzt komplett aus seiner Musik verabschieden wird, bin also gespannt was als Nächstes kommt.

  • Vor 9 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.