laut.de-Kritik
Live hinter dem Eisernen Vorhang.
Review von Michael SchuhWie praktisch: Johnny Cash trägt die vordergründige Motivation der Plattenindustrie für alle seit seinem Tod 2003 erschienenen Tonträger schon im Namen. Andererseits: Sind wir nicht auch Fans, die nach Neuem oder zumindest Unveröffentlichtem der erhabenen Country-Stimme dürsten? Prinzipiell schon.
Zwar bleibt das Boxset "Unearthed", in meiner damaligen Review als für die Ewigkeit gefertigtes Cash-Vermächtnis gepriesen, bis heute die wichtigste Anschaffung aus seinem posthumen Katalog. Es ist aber meistens schon mal einen kleinen Blick wert, was die lieben Nachlassverwalter aus den Cash-Archiven noch für veröffentlichungswürdig halten.
"Koncert V Praze - In Prague Live" leidet in gewisser Weise darunter, dass Freunde von Johnny Cashs Live-Qualitäten neben den Must-Haves "At Folsom Prison" und "At San Quentin" von 1968 und 1969 mit der Raritätensammlung "Live Around The World" aus dem Jahr 2011 bereits äußerst gut bedient worden sind.
Erschwerend kommt hinzu, dass mit "Man in Black: Live in Denmark 1971" gerade Anfang dieses Jahres ein 1971er Livealbum erschienen ist. Qualitativ und inhaltlich zieht "Koncert V Praze - In Prague Live" da zwar den Kürzeren, dafür steht man hier natürlich mit beiden Beinen in der Weltgeschichte: Ein Cash-Konzert aus dem Jahr 1978 hinter dem Eisernen Vorhang. Da akzeptiert man auch mal eine eher blechern-eindimensinale Audioqualität.
Am 10. und 11. April 1978 spielte Cash gleich vier ausverkaufte Shows in der Sportovni Hala zu Prag, pro Tag jeweils eine frühe und eine späte Show, was Kraftwerk seinerzeit noch nicht nötig hatten. Vorliegende Aufnahme stammt vom zweiten Abend, mehr Informationen erhalten wir nicht. Das Booklet besteht aus einem Faltblatt, das außer der Tracklist noch die Komponisten zu den Songs mitliefert. Authentisches Feeling sozusagen, Cash-Fans in den damaligen Ostblockstaaten wussten auch nicht mehr. Die Aufnahme lag ja auch schon fünf Jahre später, 1983 nämlich, auf dem landeseigenen Label Supraphon in (einigen) Plattenläden.
Der Man In Black war auf Einladung der tschechoslowakischen Regierung angereist, die als Konzert-Promoter fungierte. Als Symbol des gewaltfreien Widerstandes und der westlichen Demokratie wurde der Musiker von 40.000 Zuschauern denn auch mit offenen Armen empfangen. Wenig verwunderlich, dass er in dieser ihm fremden Umgebung mit den Klassikern "Ring Of Fire", "Folsom Prison Blues", "I Still Miss Someone" und "Big River" erst mal das Wasser testet.
Den damals gerade ein halbes Jahr toten Elvis Presley hebt Cash in einer Anekdote zu seinen Anfangstagen bei Sun Records in Memphis explizit heraus: "Elvis war der King und er wird es immer bleiben. Er war der Größte von uns." Kris Kristoffersons "Sunday Mornin' Comin' Down" kommt genau so zum Zuge wie "mein erfolgreichster Song" "I Walk The Line", das seltenere June Carter-Duett "City Of New Orleans" und ein 10-Minuten-Medley mit den Songs "Hey Porter", "Wreck Of The Old 97", "Casey Jones" und "Orange Blossom Special". Vom damaligen US-Botschafter stammt der Satz, diese Konzerte hätten mehr für die amerikanisch-tschechischen Beziehungen getan als seine eigene Arbeit in vier Jahren Amtszeit.
Noch keine Kommentare