laut.de-Kritik

Wer ihn nie live gesehen hat, sollte hier zugreifen.

Review von

Was für eine Vorstellung: Man steht vor den Toren des berühmten Johnny Cash-Anwesens House Of Cash in Hendersonville, Tennessee, wo einen John Carter Cash in Empfang nimmt und am für Fans offenen Museumsbereich vorbei in die privaten Gemächer des Tonstudios führt. "Dort hinter dem Aufnahmeraum", würde John dann sagen, "liegen noch ein paar Kisten mit Demos, vielleicht magst du dir die mal anhören."

Dieser Traum ging für Steve Berkowitz von Legacy Recordings 2004 in Erfüllung (vermutlich allein des Labelnamens wegen, oder gibt es einen Künstler mit einem epochaleren Vermächtnis als Cash?). Berkowitz schleppte die Kisten jedenfalls nach New York und muss sich inmitten der zahlreichen Outtakes, Sessions und Demos aus den 70er und 80er Jahren gefühlt haben wie Onkel Dagobert in seinem Geldspeicher. Von der finanziellen Analogie, die jede neue Cash-Veröffentlichung für ein Plattenlabel mittlerweile bedeutet, mal abgesehen, ist "Personal File" überraschenderweise keineswegs nur eine weitere müde Resteverwertung.

So lächerlich es auch klingen mag, es stimmt: von Johnny Cash könnte man auch ein gesprochenes Tischgebet auf CD pressen und der Hörer käme aus dem Jubilieren nicht mehr raus. Als Berkowitz schließlich einige Kästchen entdeckte, die mit "Personal File" überschrieben waren, wusste er, dass er auf Gold gestoßen war.

Die auf CD1 enthaltenen Songs stammen größtenteils von einer zehntägigen Session, die im Juli des Jahres 1973 stattfand. Cash war in guter körperlicher Verfassung damals, frischgebackener Vater und nach seinen desaströsen Jahren des Drogenkonsums in den 50er und 60er Jahren wieder tatendurstig.

Zwar spiegelt sich Cashs Kreativitätsdrang beileibe nicht in den damals veröffentlichten Studioalben wider, die rein für private Zwecke eingespielten "personal files" versprühen dagegen bereits jene intime Live-Atmosphäre, die Rick Rubin erst knapp zwanzig Jahre später aus dem alten Südstaatler heraus kitzeln sollte. Cashs Stimme, noch ausnehmend kräftig, surrt hier über der gezupften Akustikgitarre und verbreitet zumeist religiöse Geschichten, die man schon vom Gospelalbum der "Unearthed"-Box oder der "Love God Murder"-Box her kennt.

Die Überschneidungen mit anderen Veröffentlichungen halten sich in Grenzen, nur der Superfan dürfte "What On Earth Will You Do (For Heaven's Sake)", "No Earthly Good" oder natürlich "When It's Springtime In Alaska (It's Forty Below)" in seinem Cash-Schrein wiederfinden.

Das Verdienst an "Personal File" liegt aber nicht allein darin, aufzuzeigen, dass der der Plattenfirmenvorgaben überdrüssige 70er Jahre-Cash einfach für sich selbst Gospellieder auf der Gitarre einspielte. Vielmehr simuliert er (besonders auf den '73er-Songs der ersten CD) eine Konzertsituation, indem er den Songs interessante Geschichten und Anekdoten vorausschickt, wie er es fünf Jahrzehnte lang auf der Bühne und wahrscheinlich auch im Juli 1997 letztmals auf deutschem Boden in Koblenz zelebrierte. Dank "Personal File" hat man nun also eine Art "American Recordings"-Konzert Cashs fürs eigene Wohnzimmer.

Rund vier Jahre nach seinen letzten Drogen-Eskapaden und zwei Jahre nach seinem ersten Israel-Besuch leistet der gläubige Sänger Abbitte mit Sätzen wie "I have found a friend in Jesus / he is everything to me" oder er bittet um irdischen Frieden durch Erlösung, wenn er singt: "I found the greatest joy in my salvation" ("My Children Walk In Truth").

Die Zeile "If Jesus ever loved a woman / It was Marie Magdalene" würde wiederum Dan Brown ganz gut gefallen. Dass trotz der zahlreichen Lobet-den-Herrn-Psalmen dennoch nie CVJM-Stimmung aufkommt wie an manchen Stellen bei U2, war schon immer eine der großen Leistungen des Sängers.

Im Vergleich mit der noch ausstehenden "American V"-Platte aus Rick Rubins Cash-Nachlass stellt "Personal File" beinahe die interessantere Wahl dar. Hier wurde nichts nachvertont, keine Instrumente zu Cashs Stimme hinzugemischt. Hier spielt Johnny aus Zeitvertreib ein paar Lieblingssongs aus seiner Jugend auf der Gitarre. Und wir stehen plötzlich doch hinter der Glasscheibe des Aufnahmeraums in Hendersonville.

Trackliste

CD1

  1. 1. The Letter Edged In Black
  2. 2. There's A Mother Always Waiting At Home
  3. 3. The Engineer's Dying Child
  4. 4. My Mother Was A Lady
  5. 5. The Winding Stream
  6. 6. Far Away Places
  7. 7. Galway Bay
  8. 8. When I Stop Dreaming
  9. 9. Drink To Me Only With Thine Eyes
  10. 10. I'll Take You Home Again Kathleen
  11. 11. Missouri Waltz
  12. 12. Louisiana Man
  13. 13. Paradise
  14. 14. I Don't Believe You Wanted to Leave
  15. 15. Jim, I Wore A Tie Today
  16. 16. Saginaw, Michigan
  17. 17. When It's Springtime In Alaska (It's Forty Below)
  18. 18. Girl In Saskatoon
  19. 19. The Cremation Of Sam McGee
  20. 20. Tiger Whitehead
  21. 21. It's All Over
  22. 22. A Fast Song
  23. 23. Virgie
  24. 24. I Wanted So
  25. 25. It Takes One To Know Me
  1. 1. Seal It In My Heart And Mind
  2. 2. Wildwood In The Pines
  3. 3. Who At My Door Is Standing
  4. 4. Have Thine Own Way Lord
  5. 5. Lights Of Magdala
  6. 6. If Jesus Ever Loved A Woman
  7. 7. The Lily Of The Valley
  8. 8. Have A Drink Of Water
  9. 9. The Way Worn Traveler
  10. 10. Look Unto The East
  11. 11. Matthew 24 (Is Knocking At The Door)
  12. 12. The House Is Falling Down
  13. 13. One Of These Days I'm Gonna Sit Down And Talk To Paul
  14. 14. What On Earth (Will You Do For Heaven's Sake)
  15. 15. My Children Walk In The Truth
  16. 16. No Earthly Good
  17. 17. Sanctified
  18. 18. Lord, Lord, Lord
  19. 19. What Is Man
  20. 20. Over The Next Hill (We'll Be Home)
  21. 21. A Half A Mile A Day
  22. 22. Farther Along Listen
  23. 23. Life's Railway To Heaven
  24. 24. In The Sweet Bye And Bye

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