laut.de-Kritik

Autotune aus der Du & Ich-Perspektive.

Review von

Auf "Gleisdreieck" stellt sich Joy Denalane dem Ort, der ihr Erwachsenwerden geprägt hat. Doch anstelle sich direkt mit dem eigenen Ich auseinanderzusetzen, beschäftigt Denalane sich lieber ihren Beziehungen zu Menschen. Ein passendes Bild für dieses randvoll mit Bildern gefüllte Album.

Gleich zu Beginn wird klar, wo die Reise hingeht. Eine Kinderstimme verliest ein paar schwülstige Wortspiele über das "Gleisdreieck", das sowohl so schön als auch so schmutzig sein kann. Der Pathos zieht sich leider bis zum Schluss durch. "Himmel Berühren" ist dennoch ein passend gewählter Opener. Die leichte, fast fliegende Melodie trägt die poetische Feel-Good-Hymne und macht Lust auf mehr.

Musikalisch lässt sich an "Gleisdreieck" kaum etwas aussetzen. Die Produktionen sind vielseitig, aber immer auf den Punkt gebracht. Es gibt kein unnötiges Geschnörkel, die mal ruhigen, mal treibenden Kompositionen halten sich angenehm im Hintergrund und lassen Denalane genügend Raum, um ihre Stimme treffend in Szene zu setzen. Ihr viertes Album klingt durch und durch modern und klopft den verstaubten deutschen Soul ordentlich sauber. Die Sängerin balanciert virtuos zwischen ihren Wurzeln und aktuellen Trends. Zumindest meistens.

Es sticht nämlich etwas unangenehm ins Ohr, dass die Sängerin Autotune benutzt, in der zweiten Hälfte fast schon inflationär. Die kalten Autotune-Klänge stehen ihrer so warmen und sanften Stimme überhaupt nicht und wirken deplatziert, denn eigentlich wird das Tool ja vor allem benutzt, um unsaubere Tonbrüche und schiefe Gesänge zu verdecken.

Das hat Denalane aber überhaupt nicht nötig, denn sie schafft selbst komplizierteste Tonsprünge mit beängstigender Leichtigkeit, wie sie in "Venus&Mars" demonstriert. Ganz nah erscheint die Sängerin in der gefühlvollen Ballade, die für Gänsehaut sorgt. Die Essenz des Souls ist förmlich greifbar, den hierzulande niemand so transportiert wie sie. Ihre afrikanischen Wurzeln sind stets präsent, und mit den passend gewählten Feature-Gästen Tua, Megaloh und Ahzumjot wird auch Denalanes Rap-Verbundenheit deutlich. Lediglich letzterer sollte darüber nachdenken, seinen Autotune-Konsum zu reduzieren.

"Gleisdreieck" handelt von Beziehungen. Ob zu einer "Stadt", zu einem Mann, wie in "Hologramm" oder "Wieder Gut", oder einer starken Frau zu ihrem Umfeld "Ellie Lou". Problematisch ist, dass Denalane sich nicht direkt mit den angesprochenen Themen auseinandersetzt. Denn aus dem Verhältnis zu ihrer Stieftochter macht sie eine kompliziert verstricktes und entfremdetes Familiengefüge, dem teilweise schwer zu folgen ist ("B.I.N.D.A.W."). Den Tod ihrer Mutter verarbeitet sie in der Geschichte über eigene Unsicherheit und dem "Zuhause", und wenn sie über Rassismus und aktuelles Weltgeschehen spricht, verwandelt sie es in eine schwammige Du-Ich-Beziehung.

Tatsächlich besteht jeder Song aus einer Du-Ich-Beziehung. Denalane versucht sich selbst einzuordnen, das gelingt ihr aber nur über eine andere Person, zu der sie sich ins Verhältnis setzt. Ihr selbst und auch der Platte hätte ein Perspektivwechsel durchaus gut getan.

Trackliste

  1. 1. Gleisdreieck (Intro)
  2. 2. Himmel Berühren
  3. 3. So Sieht Man Sich Wieder
  4. 4. Hologramm
  5. 5. Venus&Mars
  6. 6. Wieder Gut
  7. 7. Alles Leuchtet (G3E Version)
  8. 8. Zwischen Den Zeilen
  9. 9. B.I.N.D.A.W.
  10. 10. Elli Lou
  11. 11. Vorsichtig Sein
  12. 12. Schlaflos
  13. 13. Deshalb
  14. 14. RotSchwarz
  15. 15. Stadt
  16. 16. Gleisdreieck (Outro)
  17. 17. Zuhause
  18. 18. Alle Leuchtet (Single Version)

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3 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Gut zusammengefasst. Die Lyrics wirken insgesamt sehr erwachsen, aber ich muss mich etwas anstrengen, dem Ganzen zu folgen. Musikalisch changiert sie aber dazu wunderbar zwischen klassischem Neo-Soul, moderner Produktion und gelungenen Rapfeatures. "Himmel berühren" gefällt mir auch momentan am Besten. Man merkt auch, dass sie sich über das Gesamtpaket Gedanken gemacht hat. Die etwas raue, aber durchaus offene Berliner Mentalität bringt sie sehr schön rüber. Auch die Verweise auf ihre afrikanischen Wurzeln und zu modernen Afrobeatssounds, wie in "Elly Lou", überzeugen durchaus. Ich bin sehr zufrieden mit der Platte.

  • Vor 7 Jahren

    ...Autotune wird eher verwendet, weil die Hörer inzwichen daran gewöhnt sind, daß alles glattgebügelt klingt- sie erwarten das genauso wie wir damals in den 80ern inflationären Hall auf der Stimme erwartet haben...die meisten Sänger, die AutoTune verwenden, können durchaus singen und bräuchten das garnicht...aber die Produzenten wollen AutoTune verwenden- es ist ja kein Zufall, daß so viele eigentlich gute Sänger damit verschandelt werden.

  • Vor 7 Jahren

    kein schlechtes Album, aber auch kein gutes. Der Nesola-Sound geht mit diesem Album leider verloren..dieses "raue"/"urbane"/authentische...zu viele radiotauglichen Songs, zu viel "0815" im Sound...genau so die Texte...ihr bisher schwächstes Album. PS: Ahzumjot ist ein mega untalentierter, schlechter """Rapper"""...keine Existenzberechtigung meiner Meinung nach.