laut.de-Biographie
Juse Ju
"Hey Baby, ich bin Spiderman, nur ohne die Superkraft. Ein nerdiger Looser-Spast, den keiner kennt, aber kein Problem. Hey Baby, ich bin ein Penner. Ich verpiss' mich, vergiss' mich und versuch' es lieber mit richtigen Männern."
Juse Ju, das ist der muckende Boy aus der Mittelschicht. Der in der babyblauen Collegejacke, der sich irgendwo zwischen selbsternanntem Loosertum und Hurengesohne bewegt und dabei den Zeitgeist in die Nüsse tritt. Sympathisch, humorvoll, intelligent, wohlerzogen: "wirtschaftlich unrentabel".
"Raps goldener Knabe", gold wie blond, nicht wie Geld, der der bosstransformierten Welt erst einmal nicht mehr entgegenzusetzen scheint als seinen jungenhaften Charme, eine Menge Trotz, die Lauchtransformation, als deren Erfinder er sich brüstet, und das oft und noch öfter missbräuchlich genannte Stilmittel der Ironie.
"Gruß an Maskulin, das ist Juse feminin", ein Rapper, der gerade aufgrund seiner ironischen Brechungen und seines Spaßes an der eigenen Inszenierung allerdings oftmals in der Ernsthaftigkeit seiner Sache verkannt wird.
Dabei nimmt Juse Ju Rap ernst: "Das ist nicht locker, ich leg' mich voll ins Zeug, es ist Juse Ju, der sehr flye College Boy." Meint er nicht so? Läge an dieser wie auch an anderer Stelle durchaus im Bereich des Möglichen.
Fakt bleibt aber: Vieles, das Juse Ju so rappt, entpuppt sich als ehrliche, stellenweise brettharte Auseinandersetzung mit der oben genannten Welt und noch viel mehr mit sich selbst. Dafür bedarf es mehr Haare am Sack, als für das testosterongepimpte Breitbein-Gelaber von Cash, Kush und Nutten. "Du rappst von Geld und Karriere, ich von Selbsthass und Ehre."
Juse Ju ist Battle-MC, auf der Bühne wie auf Albumlänge. "Rap ist meine Waffe, weil meine Faust zu schwach ist." Mit der zieht er nicht gerade zimperlich durch die Welt und haut mal derselben und mal sich selbst auf die Nase. Menschen zu beleidigen, die ihm auf den Sack gehen, liefert ihm nämlich seine Hauptmotivation.
Geboren 1982 im Schwabenland, wächst Juse Ju seine gesamte Grundschulzeit sowie die 5. Klasse hindurch in Tokio auf und kehrt erst mit elf Jahren ins Stuttgarter Umland nach Kirchheim unter Teck zurück: "S-Bahn Endhaltestelle der S 1, Endstation."
Über seinen älteren Bruder kommt er schon früh mit Rap in Verbindung und startet dahingehend in seinem Kinderzimmer bald selbst erste Versuche. Mit 17 Jahren zieht er mit seiner Familie nach El Paso in Texas an die mexikanische Grenze, später ein Hotspot im Drogenkrieg. "Da hab ich so richtig klischeemäßig auf dem High School Yard mit den mexikanischstämmigen Jungs aus meiner Schule gefreestylt, auf Deutsch mit ein bisschen Englisch zwischen rein. Das war das erste Mal, dass ich auch andere Leute meinen Rap habe hören lassen. Ich hatte da weniger Hemmungen, weil die ja nicht verstanden haben, was ich gerappt habe.", erzählt er von seinen Anfängen.
Ein Jahr später kehrt er erneut zurück nach Kirchheim an der Teck und lernt dort im Jugendhaus Linde Bonzi Stolle kennen (später Black n Proud). Mit ihrer Popbizenemy Crew, einem losen Verband von Rappern aus Kirchheim und Esslingen, fahren sie zusammen jeden Mittwoch nach Stuttgart, um im Jugendhaus Mitte an den Freestyle-Sessions teilzunehmen. Eine dieser Jams bringt Juse Ju die Qualifikation fürs Royal Rumble in Stuttgart ein, seinerzeit das größte Freestyle-Battle in Baden Württemberg, wo er erst im Viertelfinale gegen Maeckes rausfliegt.
2003 entscheidet er einige der größten Freestyle-Jams in Süddeutschland für sich, gewinnt neben Battles in Karlsruhe und Reutlingen in diesem Jahr auch das Royal Rumble in Stuttgart (diesmal ohne Maeckes) und releast gemeinsam mit seinem Kumpel Bonzi Stolle unter dem Bandnamen Massig Jiggs "Back From The 80's". Ein Jahr später setzt er sich auf dem Royal Rumble in Erlangen gegen 64 MCs durch, was ihm nicht nur einen Song auf der Juice-CD einbringt, sondern auch das Indie Label High Productions aus Nürnberg auf ihn aufmerksam macht.
Im selben Jahr lernt er seinen engen Freund Fatoni und dessen Crew Creme Fresh kennen. Auf den Münchner Rapper trifft Juse Ju, der Ende 2003 für ein Studium der Theaterwissenschaft, Soziologie, Japanologie und Dekadenz nach München gezogen ist, im Viertelfinale des 089 Battles:
"Das Erste, was ich Fatoni in meinem Leben gesagt habe, war, dass er Hühner fickt", erzählt er lachend. "Wir sind am Ende beide ins Halbfinale gekommen, weil David Pe uns so dope fand, dass er einfach zwei schlechtere MCs rausgeworfen hat. Völlig bescheuert sind wir dann aber beide im Halbfinale gegen totale Flaschen ausgeschieden und haben uns anschließend angefreundet."
2005 veröffentlichen High Productions Juse Jus erste Solo EP "Der Ego" sowie 2009 sein Debüt "Yo! HipHop Hat Mein Leben Zerstört", auf dem sich auch Raphael Dwinger, Keno, Stoff und Fatoni die Ehre geben. Mit Letzterem releast er als Schwabing Boys 2007 die gemeinsame EP "Prosecco Piff".
Nach seinem abgeschlossenen Studium beginnt Juse Ju als Drehbuchautor fürs Privatfernsehen zu arbeiten, was ihn allerdings relativ schnell dazu animiert, nach sieben Jahren Münchener Hip Hop-Szene wieder in seine alte Heimat Japan zu flüchten.
Dort arbeitet er für ein Jahr in einem Szene-Restaurant in Shibuya als Kellner und Tellerwäscher ("Kein Scherz!") und haust auf zwölf Quadratmetern am Stadtrand von Tokio. Da er vom Privatfernsehen Abstand nehmen möchte, bewirbt er sich von dort aus an der Journalistenschule in Babelsberg, wird prompt genommen und prescht, frisch nach Berlin gezogen, 2011 bei "Rap am Mittwoch" direkt ins Finale vor.
Zum Rap und der dazugehörigen Szene pflegt er allerdings ein ungefähr ebenso ambivalentes Verhältnis wie zum weiblichen Geschlecht. "Rap ist wie das Netz, es dreht sich nur um Oberflächen." Auf Rap als Business gibt er ebenso einen Fick wie auf Major A&Rs und deren Imagepflege: "Ich bin unprofessionell, ich habe keinerlei Strukturen. Aber mein Weltbild ist sehr simpel: Für mich seid ihr alles Huren."
In Sachen Delivery enorm wandelbar, gibt er mal den "Motherfucking Grinch", mal den "Rappin Rashid", präsentiert sich mal als "Sexy Kartoffel", mal als verletzten Opfertypen, mal als Amokläufer. "Ach, mir egal, ich lease mir 'nen Panzerwagen, lenke das Gefährt dann direkt über Strandanlagen, pseudo-deepe Kampfansagen, Reggaebands und Hanfplantagen", Körperkult, Konformisten, Vorurteile, festgefahrene Genderbilder und BWL-Studenten.
So groß sein Hass aber auf Rap als Business ist, so groß ist auch seine Liebe zum Untergrund und den Battle-Jams. In den Jahren nach seinem Abschluss 2012 arbeitet Juse Ju neben seiner Tätigkeit als Redakteur, Videojournalist und Moderator fürs Radio, unter anderem als Interview-Host der Battle-Liga Don't let the label label you, moderiert die Untergrund-Jam Tapefabrik und macht selbst weiter Musik: "Ich kann doch diesen Spasten das Feld nicht überlassen!"
Sein Promokonzept beschränkt sich hierbei allerdings konsequent aufs Tiefstapeln. Mit seiner Verbindung von bissigem Humor und Battle-Allüren, die sich, wenn überhaupt, nur dann dem direkten Schwanzvergleich hingeben, um diesen ad absurdum zu führen, demontiert er in 8-Mile-Manier nicht nur sich selbst, sondern damit auch alle Gegnaz und deren gängige Wertkonstrukte. "Du trittst nur nach unten, ich spucke nur nach oben. Und treff' mich selbst im hohen Bogen, deshalb nehm' ich so viel Drogen. Okay, das war gelogen."
Mit seinen Homies Fatoni und der Antilopen Gang schmeißt er die Ohrwürmer "Vorurteile Pt.I" und "Voruteile Pt.II" unters Volk und veröffentlicht 2014 sein zweites Soloalbum "Übertreib Nicht Deine Rolle". Der Titeltrack mit Fatoni, Edgar Wasser und Jilet Ayse gibt 2015 bereits mit über 330.00 Klicks an.
In Sachen Selbstinszenierung übertreibt Juse Ju auch gern seine Rolle und verliert sich dann mit den Möglichkeiten, die Rap ihm hierbei bietet, gern auch mal in Albernheiten: "Ich verstricke mich in Unsinn, den ich selber dumm find'. Aber es wird mich schon nicht umbringen."
Zwischen Selbstironie und ernst gemeinten Uppercuts ist dabei immer auch die Sehnsucht nach einem Leben fernab vom schnöden Mittelmaß spürbar, die "Angst davor, dass das Leben gar nicht hart, sondern einfach nur normal ist." Ein Thema, das ihn unter anderem auf seinem dritten Album "Angst & Amor" beschäftigt, das im Oktober 2015 Release feiert.
Unter den Produzenten befinden sich alte Bekannte wie Figub Brazlevic, Bluestaeb, Cap Kendricks und Provo Beatz sowie C.O.W, Shuko und Dramadigs. Auf Features verzichtet Juse Ju diesmal aber ganz und markiert damit noch einmal eindeutig, was Untergrund bedeutet:
"Ich bleib' independent ohne Schläger oder Stars im Rücken."
Ein paar Jahre wird es ruhiger um Juse. Obwohl, so ganz stimmt das auch nicht. Denn in der Zwischenzeit hat der Wahlberliner eine eigene Radioshow bei Fritz ergattern können. Eigene Musik bringt Juse allerdings erst im März 2018 auf den Markt. Nach eigener Aussage ist "Shibuya Crossing" sein erstes richtiges Album. Dafür holt sich Juse auch ein paar alte Bekannte mit ins Boot: Neben Fatoni und Edgar Wasser ist auch Danger Dan von den Antilopen mit am Start. Nach einem kurzen EP-Intermezzo im darauffolgenden Jahr erscheint 2020 "Millennium", eine Art Nachfolger von "Shibuya Crossing", das sich sowohl persönlichen als auch politischen Themen widmet.
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