laut.de-Kritik
Rock'n'Roll, Blues, Reggae und dann noch Norah Jones.
Review von Giuliano BenassiSpätestens nachdem er Anfang September 2015 in einem Interview Metallica disste, wusste (fast) jeder, dass der Gitarrist der Rolling Stones ein neues Soloalbum veröffentlichen würde - das erste seit über 20 Jahren. Eine scheinbar lange Zeit, die dem Umstand zu verdanken ist, dass Platten unter eigenem Namen für Richards schon immer nur ein Nebenjob waren.
Schon interessanter ist, dass die Stammband dieselbe blieb wie bei den Vorgängern "Talk Is Cheap" (1988) und "Main Offender" (1992): Steve Jordan am Schlagzeug, Waddy Wachtel an der Gitarre, Ivan Neville am Keyboard und der 2014 verstorbene Bobby Keys am Saxofon. Nach dem Erfolg der Autobiografie "Life" (2010) habe ihn Jordan kontaktiert, erzählt Richards in einer aktuellen und sehenswerten Dokumentation auf Netflix. Ob es nicht an der Zeit sei, ein neues Album aufzunehmen?
Dass es so lange dauerte, bis die Platte fertig war, liegt einerseits an der Welttour, die die Rolling Stones zum 50. Bandjubiläum absolvierten. Andererseits spielt Richards mittlerweile eher entspannte Arbeitsweise eine Rolle. "Ich bin wie eine Antenne. Es gibt nur ein Lied, das Adam und Eva geschrieben haben. Alles andere sind Variationen desselben Themas", erklärte er einst. Offenbar ist das Empfangsgerät nicht mehr so leistungsfähig wie damals - aber das kann man mit über 70 auch nicht erwarten.
Besagte Variationen, für die sich Richards Zeit seines Lebens interessiert, heißen Rock'n'Roll (vor allem Chuck Berry), Blues (vor allem der aus Chicago mit Muddy Waters oder Howlin' Wolf), Country und, seit den 1970er Jahren, Reggae. Sie bilden auch die Grundlage für das vorliegende Album.
Los gehts mit dem Titeltrack und womöglich besten Stück, eine Hommage an den legendären Bluesmann Robert Johnson. Eine einfach gezupfte Akustikgitarre und seine rauchige Stimme - mehr braucht Richards nicht, um das Gespenst jenes mysteriösen Musikers herbeizurufen, der seine Virtuosität und frühen Tod dem Umstand verdanken soll, dem Teufel seine Seele verkauft zu haben.
"Amnesia" holt einen wieder auf den Boden zurück, hört sich das poprockige Stück eher wie Ausschussware der Rolling Stones an. Und umso bescheidener, da sie es in den letzten zwei Dekaden nicht vermocht haben, ihrem Repertoire neue Glanzlichter hinzuzufügen.
Auch im weiteren Verlauf wechselt sich Durchschnittliches mit durchaus Hörenswertem ab. Das zarte "Robbed Blind" geht in Richtung Country und bietet wirkungsvolle Pedal Steel-Einlagen. Die ersten Takte der Single "Trouble" führen zurück zu den Stones Ende der 60er/Anfang der 70er (im "Brown Sugar"-Style). Das Reggae-Stück "Love Overdue" ist eine der wenigen Coverversionen, besser Hommagen, und stammt ursprünglich von Gregory Isaacs.
Das schönste Cover bleibt allerdings "Goodnight Irene" aus der Feder Lead Bellys. Richards' Version ist viel zärtlicher als die seines Kumpels Tom Waits, der es 2006 auf "Orphans: Brawlers, Bawlers & Bastards" coverte. Überhaupt – Tom Waits.
Dass er nicht auf dem Album zu hören ist, überrascht, harmonierten die zwei in den letzten Jahren doch prächtig, etwa in "Last Leaf" (2011) und "Shenandoah" (2013). Dass sich Richards mit Norah Jones zusammensetzte, um "Illusion" zu schreiben und einzusingen, ist kein Trost, gehört die Kollabo doch zum durchschnittlichen Teil der Platte.
Schade, denn wie gut die Stimmung im Studio war, zeigt sich an zwei Jams, das im Chicago-Style angesiedelte "Blues In The Morning" und das funkige "Substantial Damage". Mehr von diesen improvisierten Einlagen hätten nicht geschadet.
So wie die Zeiger im Musikbusiness stehen, darf sich Richards mit diesem Album wohl über hohe Chartplatzierungen freuen. Seine Absicht war das wahrscheinlich nicht. Sie ist eher dem Umstand zu verdanken, dass er wie Lemmy ein Urgestein ist. Beide verdanken ihren aktuellen Erfolg einerseits konsequentem Durchhalten, andererseits dem schlichten Umstand, dass ihre Körper dem Rock'n'Roll-Leben standgehalten haben. Auch wenn Richards mittlerweile fitter ist als der Frontmann von Motörhead.
Richards Heimat bleiben, neben Kindern und Enkeln, die Rolling Stones. Und die sollen, unglaublich aber wahr, weiter rollen. Denn bei der Veröffentlichung von "Crosseyed Heart" verkündete der Gitarrist, dass man Anfang 2016 wieder ins Studio gehen wolle, um ein neues Album aufzunehmen. Hoffentlich richtet er seine Antenne bis dahin wieder etwas konsistenter aus.
3 Kommentare mit 3 Antworten
Ach so, deshalb das ganze Brimburium um die Beatles und Metallica vor ein paar Wochen... verstehe....
Nun wenn der Rezi mit Keith genau so umgegangen wäre wie er mit seinen Berufskollgen hätte es wohl nur für 1/2 Sterne gereicht. Für mich eine sehr durchschnittliche Scheibe und nur mit Fremdmusiker ertäglich.
Was für ein jämerliches Gezeter,sollte endlich die Bühne gegen einen Altenstift eintauschen.
Ich bin mir sicher, der "Altenstift" von Herrn Richards ist immer noch aktiver, als es bei Ihnen jemals der Fall sein könnte.
Gruß
Oberforstrat
Musik für Althippies,Gutmenschen und sonstige Zivilversager.
Sollte am besten sofort verboten werden!
"Zivilversager" sind mehr so Menschen, die soziale und humanitäre Tätigkeiten als weichlich oder schwach abzuwerten versuchen, indem sie Wörter wie "Gutmenschen" als Beleidigung benutzen, um dabei ungelenk von ihrer eigenen Egozentrik und sozialen Unverträglichkeit abzulenken.
Halt so Leute wie Du. Sicherlich vieles, bestimmt aber kein Hauptgewinn oder gar ein "Leistungsträger" für irgendeine Gesellschaft, auch nicht für unsere.