laut.de-Kritik

Dance, Pop, Techno und Drum'n'Bass feiern eine bombastische Orgie.

Review von

"I don't know what you've been told / But this starts now walk tall, walk tall". Kele Okereke macht keinen Hehl aus seinen Absichten. Direkt im Intro von "The Boxer" presst er uns zu stampfenden Elektrobeats seine Intention auf die Ohren. Der Anbruch einer neuen Ära, auf zu neuen Ufern! Der Sänger mobilisiert mit seiner ersten Soloplatte zum Neuanfang und lässt alte Dinge hinter sich.

Wie ein Phoenix aus der Bloc Party-Asche auferstanden, kämpft sich Kele auf "The Boxer" aus Altbekanntem hin zu neuen Ebenen. Der rote Faden der Scheibe folgt einem klaren Muster: Wiederaufrappeln, nachdem man auf den Boden geschlagen wurde, neue Terrains entdecken, und aus dem unbekannten Vollen schöpfen.

Völliges Neuland betritt Kele auf Solopfaden. Während seine Bandkollegen Pause machen, konnte er die Finger nicht still halten und begann, an den Reglern von Synthesizer und Drumcomputer rumzuspielen.

Dementsprechend elektronisch ist "The Boxer" ausgefallen. Die Erwartungshaltung der Bloc Party-Fans bewusst brechend, knarzen, poltern und schnarren Keles neue Tracks, dass es nur so knallt. In freudig-nervöser Erwartung binden wir uns die Boxbandagen um und steigen in den Ring.

Die erste Faust ins Gesicht platziert er mit "Walk Tall" treffsicher: Die Kompanie Kele Okereke ruft in Marschmanier in eine neue Richtung. Wir folgen im Gleichschritt zu repetitiven Beats und verzerrter Stimme. Der Track steigert sich mit pochendem Wummern und Wabern, dominanten Bass- und Drumlines zu einem Sound, der einschlägt wie eine Bombe ins umkämpfte Gebiet. Elektro? Pop? Wave? Techno? Wer will sich schon festlegen? Schubladen sind langweilig.

Das Magnesiumpulver staubt zwischen den Händen, wir werden heiß auf den Fight. Bevor es richtig losgeht, feuert Kele mit "On The Lam" und "Tenderoni" elektronische Beatsalven auf uns ab, als gäbe es kein morgen. Wer behauptet, "Tenderoni" sei ein Abklatsch von Wileys "Wearing My Rolex", der sollte sich mit schamgesenktem Kopf in die Ecke verziehen.

Watteweich besingt Kele seinen East Londoner Background. Das vibrierende Metropolenleben zittert durch die Boxen. Synkopierte Rhythmen, Breakbeat-Loops und Reminiszenzen an den technoiden Soulwax-Sound - Kele tischt dick auf.

Aus Flicken verschiedenster Genres schneidert er sich sein neues Soundgewand auf den muskelgestählten Boxer-Leib. Mit treibendem Beat und immer wieder aufflackernden kleinen Sample-Überraschungen lockt uns Kele aus der Deckung und tänzelt leichtfüßig über die Matte.

Mit "The Other Side" und "Everything You Wanted" gönnt er uns eine kleine Auszeit. Locker-flockiger Popbeat, enthusiastische Gitarrenriffs und ein bisschen Funk - die Songs könnten fast von Bloc Party sein. Die Finger vom Synthie kann Kele nicht ganz lassen. Immer wieder fließen Drumbeats vom PC, verzerrte Töne und verfälschte Stimme ein.

Wie mit seiner Band stellt Kele auf "The New Rules" und "All The Things I Could Never Say" interessante Dichotomien gegeneinander: Ravebeat zu orgelhaften Klängen und himmlisch-sanften Engelszungen hier, kaum verständliche Stimmensamples und ruhiger Gesang zu klar gezupfter, zügiger Melodie dort. Dualismus à la Kele Okereke. Er spielt mit uns, bis er uns endgültig im Schwitzkasten hat.

Glockenspiel und Xylophon auf "Rise" wirken erst harmlos, doch der Beat kommt langsam ins Spiel. Die Elektronik im Sound entfacht sich nach einem langsam aufbauenden Intro und steigert sich dann sirenenartig in eine wuchtige Nummer, in der sich melodiöser Gesang mit Rave-Gefiepse und Elektro-Geschrammel auf dem Boden wälzt. Kampf? Liebesspiel? Beides.

Mit den Füßen stampft er auf den Ringboden, bevor er zum finalen Kick in die Seite ausholt. Erschöpft und ausgelaugt liegen wir am Boden, mit blauem Auge und bluttriefender Nase. Zahnlos grinsen wir in beseelter Glückseligkeit, bevor die Ohnmacht über uns fällt.

Betörend, hypnotisch und gewaltig bricht "The Boxer" über uns herein. Peitschende Bassline, technoider Gospel, verwegene Beats, scheppernde Drums - das Testosteron sprüht einem nicht nur auf Cover und Booklet entgegen. Gleichzeitig verliert sich Kele mit seiner Soundästhetik und der melancholisch-dunklen Stimme in Höhen und Tiefen wie einst die Altmeister des elegischen Indierock von The Smiths und The Cure.

Mit seinem ersten Solowerk verpasst uns Kele ordentlich eins in die Fresse. Ein Electronica-Feuerwerk prasselt auf uns ein, in dem es Rave, Techno und Pop orgiastisch miteinander treiben. In Indiemanier nerdig zucken oder mit dem Discofinger gen Himmel abspacken - da passt beides. Damit hat der gute Kele es mal wieder geschafft, die Lager zu vereinen, und wagt sich auf neue Terrains der Intelligent Dance Music. Absolute Dancefloor-Feger zum enthemmten gemeinsamen an-die-Decke-Steilgehen.

Trackliste

  1. 1. Walk Tall
  2. 2. On The Lam
  3. 3. Tenderoni
  4. 4. The Other Side
  5. 5. Everything You Wanted
  6. 6. The New Rules
  7. 7. Unholy Thoughts
  8. 8. Rise
  9. 9. All The Things I Could Never Say
  10. 10. Yesterday's Gone

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LAUT.DE-PORTRÄT Kele

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17 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    Das Album polarisiert schon sehr stark. Ich denke, dass alle, die Bloc Party hauptsächlich wegen Silent Alarm mögen, damit nichts anfangen können. Ich mag Intimacy auch sehr gerne und habe mit der Entwicklung gerechnet. Auch wenn mein Geschmack eher in eine andere Richtung geht, finde ich das Album sehr stark.

  • Vor 13 Jahren

    sehr starkes Album. das Konzert in Hamburg gab schon einen sehr guten Vorgeschmack auf die Songs und ich bin nicht enttäuscht worden.

  • Vor 13 Jahren

    @LF (« Ich hab mir bisher nur den Opener angehört, hatte danach auf den Rest schon keine Lust mehr. Blöder Electrobratz, das nervt einfach nur und ist nach den Massen an Veröffentlichungen von Ed Banger und Konsorten weder spannend, noch aktuell. »):

    Da stimm ich dir zu 100 % zu !!