laut.de-Kritik
Im Kampf um die Deutungshoheit.
Review von Dominik Lippe"Rap ist wie Krieg." King Orgasmus One frönt auch im 20. Jahr nach Gründung des Untergrundrap-Ausbildungsbetriebs Bassboxx unverändert seiner Antihaltung. Weder beugte er bislang seinen Stil wie Bushido oder Frauenarzt dahingehend, dass er sich angemessen monetarisieren ließe, noch reifte er wie Basstard durch Talent und einer offenen Haltung zu einem veritablen Künstler. Zwar gehen auch einige ausgereiftere Projekte wie der um die visuelle Komponente reduzierte Exploitationfilm "Folterkeller der Zombienutten" auf sein Konto, doch im Kern bleibt er ungerührt roh. Mit "Welcome To The Hood" beansprucht er nun die Deutungshoheit darüber, wie richtiger Rap zu klingen habe.
"Hantelbank, Schönheitswahn, alle steh'n vorm Spiegel, denn Deutschrap wird schwul und hockt bei der Fußpflege", moniert er in "Schlagstock Sound". Legitime Kritik driftet auch in Interviews immer wieder in erzkonservative Rollenbilder ab, wenn der sonst schon per Definition aufgeschlossen auftretende King Orgasmus One plötzlich seine Sorge vor Leuten äußert, die "die neue Generation ins Schwulsein lenken". Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der seit Jahren unter restriktiven Behörden leidende Rapper nun selbst seinen für die allermeisten als extrem empfundenen Ansatz zur reinen Lehre erhebt, die sich gegen Markenfetisch, Körperkult und Verweichlichung zur Wehr setzt.
"King Orgasmus One, Mann, du kannst mich nicht verbiegen." "Welcome To The Hood" bewegt sich zwischen Koitus und Kokain auf Orgis wohlbekanntem Terrain. Erneut fordert er dazu auf, den Neocortex herunterzufahren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: "Ich hab' die Gun in der Hand und die Bitches unterm Arm." Zum Teil fallen die Texte herrlich stumpf aus: "Ich hab' ein Date mit deiner Mutter bei McDonald's. Ich bestelle ein Menü, und ich geb' ihr nur die Pommes." Auch musikalisch bleibt Orgi fest im Jahr 2001 verankert.
"Der Pornokönig ruft und die Söhne steh'n bereit." Die zugleich freiheitsliebende wie mitunter engstirnige Haltung fand sich im Frühjahr bereits auf MC Bombers "Gebüsch" wieder. Gemeinsam mit Finch Asozial kriegen der Herzog vom Prenzlberg und der I-Luv-Money-Chef "Jacksons": "Ich steh' täglich vor der Wahl zwischen Koka oder Keta. Ist mir eigentlich egal, Koka jetzt und Keta später". Erweitert um einen doppelten Boden führt MC Bomber gelungen das Orgi-Konzept fort: "Vielleicht bin ich verblendet, aber dafür immer fröhlich. Für Menschen ohne Grenzen ist clean sein töricht."
Natürlich finden sich auf dem traditionsbewussten Album vor allem Gäste der alten Garde. Neben B-Tight, Bass Sultan Hengzt und Silla überrascht vor allem der verloren geglaubte Rhymin Simon, der sich seine gesunde "raptechnische Totalverweigerung" erhalten hat. Mit "Geil Für Immer" liefert King Orgasmus One an der Seite von Frauenarzt vorab Einblicke in das erwartungsgemäß basslastige "Porno Mafia 2", das 2019 über die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hereinbrechen soll.
Abseits von einigen Beiträgen an der Seite von Godsilla und der Sido-Kollabo "Kein Gott" scheute King Orgasmus One bislang persönliche Einblicke wie Basstard das Weihwasser. So kommt es einer kleinen Revolution seiner langjährigen Karriere gleich, wenn die ausgehärtete Schale auf "Perfect Day" tiefe Risse bekommt. Hinter der stellenweise zynischen, stellenweise sexistischen Fassade verbirgt sich ein enttäuschter, bisweilen trauriger Mensch, der mit sich selbst ins Reine kommen musste: "Aber ich bin jetzt glücklich mit mir. Weiß, woran ich bin, schreib' mein Herz auf Papier. Es gibt kein Wir, ich bin Einzelkämpfer".
"Verfolge dein Ziel, Mann, du hast nur ein Leben. Mach, was du willst, aber lass dich nicht gehen." Orgi appelliert in "Perfect Day" nicht nur an die Arbeitsmoral der Hörer, sondern weiht sie gleich noch in sein nicht gerade als hedonistisch zu bezeichnendes Privatleben ein: "Und auch ich hab' mein Päckchen zu tragen. Familie ernähren und Kredite bezahlen. Ich bin nicht arm, aber reich bin ich auch nicht. Doch mein Kind zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Und ich weiß wieder, wofür ich das mache, wenn ich Windeln bezahle bei Lidl an der Kasse".
So gesteht sich King Orgasmus One schließlich doch noch ein, nichts gegen die Veränderungen des Lebens ausrichten zu können. Damit negiert er weitgehend die zuvor dargebotenen, mühsam konservierten, selbst auferlegten Regeln. Möglicherweise sollte er nun davon ausgehend voranschreiten und die selbst definierte Genre-DNA umschreiben: "Ich bleib' mir treu, doch die Zeiten ändern sich. Manchmal denk' ich zurück: 'Oh, mein Gott, das war ich!'".
8 Kommentare mit 10 Antworten
Oha, sogar Simon am Start. Da muss ich mal reinhören.
Hör mal bitte auf so zu tun als hättest du in irgend einer Form Plan von Rap du Radiohead hörendes rechtskonservatives Trottelwesen.
Obacht
Musikgeschmack ändert sich über die Zeit auch mal. Für beschränkte wie dich anscheinend unmöglich nachzuvollziehen...
Orgi ist eigentlich immer ein Tipp, egal was er bringt. Hält die Untergrundfahne als einer der wenigen hoch. Schade, dass Kollege Kaisa immernoch schmollt oder sonstwas macht
mmn eines der besten d-rapalben dieses jahr. schön war natürlich schon vorab sein juice interview, wo sich die mate-trinkenden juice-hipster erstmal genötigt sahen eine distanzierung zu schreiben. ansonsten fehlt in dieser review die huldigung für den besten track der letzten zeit...jacksons ist ganz großes tennis...diesen scheiss zu samplen, da muss man erstmal drauf kommen...ansonsten sind anspieltips tracks wie blow, ready to fuck oder cadillac. perfect day rundet das ganze persönlich ab...oldschoolig, unpeinlich und nicht anbiedernd. 4/5 locker. btw. basstard als veritablen künstler zu bezeichnen ist auch schon recht gewagt
Alles gesagt. Volle Zustimmung.
Ja, JUICE schon seit langem absolutes Hurensohnmagazin. Ich moniere immer noch den Verlust von Leuten wie Joe Circar (sp?) und Jan Wehn.
‘Jacksons’ auch der Albumuebertrack, keine Frage. Ueberrascht war ich aber auch von Sillas mehr als stabilem Beitrag. Da ich seit x Jahren keines seiner Soloalben gehoert habe, konnte ich den ganzen hate eh nie verstehen. Generell ausser Schamhaar-inner-Fresse-Bomber alle Featuregaeste gut.
Mal sehen aber, wie oft ich mir das noch geben kann, wenn ich sehe, wer das hier sonst noch hoert.
stichwort features...erst jetzt bemerkt wie mächtig der basstard part eigentlich ist...dieser veritable künstler soll mal ein ganzes album in diesem stil rausbringen
Das Teil läuft und läuft. Basstard Part ist so wie ich einen Basstard hören will.
Von allem was dabei. Sehr geile Mischung und ist eher wie die Mixtapes. Mal lustig, mal abgedreht, mal horrorcore oder einfach in die Fresse. Orgi halt
@baude
Scheiß doch drauf. Einfachen hören
Läuft schon die ganze Woche auf Heavy Rotation. Vielleicht gerade deswegen, weil die ganze Präsentation nicht all zu ernst gemeint ist. Letzten Endes feinste Unterhaltung. Eine neue Imbiss Bronko wäre auch mal wieder ganz witzig.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Kein Hirntot Feature und keines von Kaisa. Sagt alles. Selbst Orgi distanziert sich von denen mittlerweile, so schwul wie ihre Musik geworden ist.
Obwohl ich es auch komisch finde, warum Bogy keinen Part auf dem Album hat.