laut.de-Kritik

Nichts verstehen müssen, nur Vibes.

Review von

Wenn laut.de mich für die Meilenstein-Sektion über jedes semiobskure japanische Album schreiben ließe, zu dem ich über die Jahre eine Beziehung von fragwürdiger Intensität aufgebaut habe, dann säßen wir eine Weile hier. Aber keines läge mir wahrscheinlich so sehr am Herzen wie das 2004 erschienene "For Lovers" der Band Lamp. Die wird gerne einmal als Shibuya-K beschrieben, ein Genre, das sich parallel aus dem City Pop ableitet, aber eigentlich liegen da von Folk über psychedelischer Sechziger-Musik bis hin zu Bossa Nova und Dream Pop nahezu alles drin, was die Musikgeschichte hergibt.

Lamps Meisterwerk "For Lovers" ist eine kaum greifbare, träumerische Summe aller musikalischen Sanftheit. Wollte man snarky sein, könnte man das als Musik für Cafés abtun. Aber wenn das die Musik wäre, die in Cafés liefe, dann würde ich den Rest meines Lebens gern in Cafés verbringen, bitte, danke. "Dusk To Dawn" ist – zwanzig Jahre nach der Gründung – der Abschiedsmoment für Lamp. Das Trio aus Tokyo beendet seinen Lauf mit seinem größten Album bisher. 20 Songs, 75 Minuten; und genau wie "For Lovers" evoziert auch dieses Album ein Gefühl, als würde ich das erste Mal "Sgt. Peppers" oder "Victorialand" hören.

Das Komische dabei ist nur: Für ein Album, das es so leicht macht, jede Sekunde zu genießen, fließt es davon wie Sommer. Man zerfließt regelrecht mit diesem Album. Es ist kein herausforderndes oder experimentelles, kein psychedelisches oder aufsässiges Projekt. Lamp schmiegt sich an, es ist gefällig, selbst, wenn die Stimmung über die meiste Zeit irgendwie wehmütig und verträumt klingt. Die Stimmen der Lead-Sänger helfen mit ihrem schwerelosen, driftenden Ton bestimmt.

Trotzdem ist es überhaupt nicht so, als würde "Dusk To Dawn" musikalisch auch nur einen Augenblick ohne musikalische Ideen dastehen. Eine der größten Fähigkeiten der Band ist die Fähigkeit des subtilen Hebens und Senkens. "As Time Goes By" zum Beispiel nimmt einen Swing, der im Kern recht folky klingt, ein bisschen nach Fleetwood Mac, aber dann immer weiter aufgefächert wird. Ein Akkordeon, Backing-Vocals, ein Synthesizer – nichts davon drängt sich auch nur einen Halbschritt in den Vordergrund. Die Musik segelt vor sich hin; und wie von Geisterhand tut sich in jedem Part ein neuer Wind auf.

Was Lamp schließlich aber von anderen Chill-Out-Acts abhebt, denen es eigentlich nur darum geht, ein paar schöne Klangflächen nebeneinander zu spannen, ist das Gefühl von Exaktheit, das vielen Songs voransteht. Die Rhythmen sind trotz aller Vibes nicht nur messerscharf, sondern auch variantenreich, frisch und den Songs dienlich. Das Piano-Riff für "Misty Town" zum Beispiel wird für den Vocal-Teil aufgefächert, um diegetisch in ein Saxophon, einen Chor und zusätzliche Percussion zu führen.

Das Tracklisting nutzt zum ersten Mal in einem Katalog eher kurzer Alben die Länge zum eigenen Vorteil. Ein dominantes Motiv dieser Platte ist eindeutig Zeit. Sie vergeht mit Beiläufigkeit, der Name des Albums und die Songtitel referenzieren darauf. "Autumn Letter", "Summer Triangle" oder "A Winter's Day" fließen die Jahreszeiten in die Tageszeiten: "Late Night Train", "A Winter's Day", "Moon Ride", "Night Drizzle". Wetter kommen und gehen, Zeit-Marker zerfließen, als säße man an einem Fenster, während sich Jahr nach Jahr um einen herum montiert. Und die Tage sind schön und lang, das Jahr ist schwer und kurz. Alles fließt. Auf "Summer Triangle" klingelt Weihnachts-Percussion, "Night Drizzle" spielt eine der wärmsten, sommerlichsten Gitarren.

Die Zeit ist also gewissermaßen der Protagonist dieses Albums, das spürt man, auch ohne die Texte zu verstehen. Aber diese Fähigkeit zum Schwermut in der Schönheit, das war schon immer, was Lamp so besonders gemacht hat. Und dieses Album, auch, wenn es vielleicht ein weniger direkt erschließbares Projekt ist, weil es sich eben durch die eigene Länge eines einfachen Einsaugens verschließt, gibt doch in seiner Beiläufigkeit eigenes vor, in dem man sich verlieren könnte. Songs wie "Alone In My Room", "Night Drizzle" oder der zehrende, sehnsüchtige Synth auf "Moon Ride", die sind alle erstmal minimal und direkt, aber so, so, so eindringlich.

"Dusk Till Dawn" ist ein Album, das wenig Vorwissen und wenig Kopf braucht. Ich weiß nicht, wie ich es anders erklären sollte, als: Ich liebe, wie dieses Album klingt. Ich liebe, wie viel Emotion aus so schlichtem Songwriting hervorgeht. Ich liebe, wie das Album sich tausend Genres Einfluss nehmen kann und doch nie mit dem Meta-Diskurs von Genre beschäftigt scheint. Wie oft ist Lamp Musik, die gleichzeitig wie geschaffen für Musik-Nerds ist, aber sich doch irgendwie der ganzen Schwere vom Sich-Auskennen und Dinge-Verstehen blind über Bord wirft. Es ist Musik, die man bedenkenlos mit Freund*innen und Familie anmachen könnte, eigentlich egal mit wem. Es ist Musik von fast kindlicher Direktheit. Eine Perle, die ich gar nicht groß diskutieren oder erklären möchte, sondern einfach nur hören. Wieder und wieder.

Trackliste

  1. 1. Dusk
  2. 2. The Last Dance
  3. 3. As Time Goes By
  4. 4. Cold Way Home
  5. 5. Misty Town
  6. 6. Around The Corner
  7. 7. August Calendar
  8. 8. Late Night Train
  9. 9. Her Watch
  10. 10. Weekend
  11. 11. Autumn Letter
  12. 12. Summer Triangle
  13. 13. Bedroom Afternoon
  14. 14. A Winter's Day
  15. 15. Moon Ride
  16. 16. Old Notebook
  17. 17. Amidst The Morning Fog
  18. 18. Alone In My Room
  19. 19. Night Drizzle
  20. 20. Dawn

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6 Kommentare

  • Vor einem Jahr

    Ich könnt ja nicht mal sagen, wie lang die Listen sind/
    mit all mein' deepen, weird tighten Anglizismen drin

    ©Dendemann 2002, Ynk 2023

    Ansonsten finde ich Musik für Cafés oder auch Fahrstuhlmusik keine Beleidigung. Sondern oft einfach Quatsch von Idioten, zb bei gutem Trip Hop oder anderer Instrumentalmusik.

  • Vor einem Jahr

    Ich habe heute rein garnichts zu tun, warum nicht also mal dem musikalischen Film folgen, den Yannik gerade fährt?

  • Vor einem Jahr

    Hab den Full-Album-Stream angemacht und bisschen drin rumgeskippt in der Erwartung, hier "alles hat Vibes während man auf dem Balkon raucht / durch eine Blumenwiese rollt / der Partner des bevorzugten Geschlechts auf einem liegt / ect." reinzutippen und YNK zur Bewahrung seiner jugendlichen Weltfremdheit zu gratulieren.

    Aber dann war da beim vierten rumzappen plötzlich dieses sehr geile Tastensolo bei Minute 23 und ich fürchte jetzt muss ich mir das doch auf komplette Länge geben...

  • Vor einem Jahr

    klingt wie men i trust in japanisch und jazziger. taugt.

  • Vor einem Jahr

    Das ist sehr schön und stilvoll, aber nach 3/4 der Laufzeit war mein Kopf so dermaßen weichgekocht, dass ich abbrechen mußte. Das ist einfach zu viel. Bisschen schade.

  • Vor einem Jahr

    bin beim Durchhören erst beim 5. Stück, aber eins ist klar: die Musik ginge wirklich voll in Ordnung, aber da ist leider dieses Stimmchen Marke "sediert hauchendes Kleinkind"..., sorry, mir wird schlecht, unerträglich. Die gelegentlich auftauchenden erwachsenen Stimmen sind okay, aber so... Musik für Menschen im "frisch gebackene(r) Mama-/Papa"-Delirium...