laut.de-Kritik
Als der Godfather Of Ska das Swinging London aufmischte ...
Review von Michael SchuhGodfather of Ska, High Priest Of Reggae, El Cubano, Boss Skinhead, Pioneer of Jamaican Music: An heldenhaften Ehrentiteln ist Laurel Aitken keineswegs arm gewesen. Und doch: Kaum eine deutsche Webseite hielt die Nachricht im Juli 2005 für berichtenswert, dass der in Jamaika aufgewachsene Kubaner im Alter von 78 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. In Aitkens zweiter Heimat sah es nicht besser aus: Der britische Telegraph veröffentlichte zwar einen Nachruf, allerdings erst stattliche fünf Tage später. Schlimmer noch: Die meisten Medien schwiegen sich aus.
Sicher, Laurel Aitken konnte nie einen weltweiten Monster-Hit wie seine Kollegen Desmond Dekker ("Israelites") oder Toots Hibbert ("54-46 Was My Number") vorweisen. Sein Mini-Hit "Rudi Got Married" bescherte ihm im 2-Tone-Fieber 1980 seine einzige Chartsplatzierung, was leider bis heute gerne als Maßstab für die Größe eines Künstlers angesehen wird. Doch wie so viele Innovatoren reifte auch Aitken nicht zur Ikone eines Genres, wahrscheinlich weil er gerade damit beschäftigt war, Leuten wie Bob Marley die Türe aufzuhalten, die dann zur richtigen Zeit mit den richtigen Songs hindurch spazierten.
Laurel Aitkens Verdienste um die heutige Popularität von Ska und Reggae speziell in Europa bleiben gleichwohl unumstritten. Und wie 13 Jahre später bei Marley sollte es auch in Aitkens Fall der Brite Chris Blackwell sein, der seiner Karriere einen Schub verleiht. Auf Blackwells frisch gegründetem Label Island Records stellt Aitkens Doppelsingle "Little Sheila"/"Boogie In My Bones" 1959 die erste Veröffentlichung. Jamaika-Tourist Blackwell entdeckt damals ein Faible für den neuen Karibiksound, der sich aus amerikanischem R'n'B der Marke Fats Domino und Ray Charles, Boogie-Musik aus New Orleans und jamaikanischen Calypso-Rhythmen speist.
Nachdem Aitken in Jamaika Hit auf Hit landet, hört er von Raubpressungen seiner Songs, die in England dank der dort ansässigen jamaikanischen Exilanten reißenden Absatz erfahren. Aitken fackelt nicht lange: 1960 wagt er den Schritt über den großen Teich und bringt damit den Jamaica Ska ins britische Königreich, noch bevor ihm Kollegen wie Prince Buster und Desmond Dekker nachfolgen.
Die Ankunft gerät jedoch völlig anders, als der Sunnyboy sich das vorgestellt hat: "Als das Flugzeug in Heathrow landete, kamen mir fast die Tränen. Das Wetter war deprimierend, alles sah so grau aus. Und ich hatte es mir so fantastisch vorgestellt", erinnert sich der Sänger später. Doch er beißt die Zähne zusammen und wird belohnt. Die jamaikanische Community im Londoner Stadtteil Brixton empfängt Laurel mit offenen Armen. Der Legende nach wählte er den Ort vor allem, um dem dort ansässigen Chef von Melodisc Records die Leviten zu lesen, welcher ihn bis dato mit Bootleg-Veröffentlichungen um reichlich Tantiemen gebracht hatte. Als die Dinge geklärt sind, veröffentlicht Aitken auf dem frisch für den heißen Sound aus Übersee gegründeten Label Bluebeat Records, dessen Name bald als Synonym für Ska aus Jamaika fungiert.
Die ersten Hits lassen nicht lange auf sich warten, und eigentlich läuft nun alles (bis auf das Wetter) nach Laurels Plänen, als plötzlich 1962 die ferne Heimat jubelt: Jamaika feiert seine Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich – ohne Aitken. Während Prince Buster vor Ort sogleich den "Independence Song" unters tanzende Volk abfeuert, sieht Aitken aus der Ferne zu, wie sich der Stolz seiner Nation im schunkelnden Sound des Ska manifestiert und sich in Windeseile ausbreitet. Der aufkeimende Optimismus im Karibikstaat passt hervorragend zum treibenden Rhythmus der Musik. Aitken verzichtet jedoch auf einen Unabhängigkeitssong, vielleicht weil er wenige Jahre zuvor schon einen für Ghana geschrieben hatte - "Ghana Independence (They Got It)".
"Scandal In A Brixton Market" erscheint 1969 und ist neben "Laurel Aitken Says Fire" (1967) und "High Priest Of Reggae" (1970) Zeugnis seiner großen Rocksteady-Zeit. Es ist der Sound, der als Bindeglied zwischen dem schnellen Original-Ska und dem bald weltberühmten Reggae fungiert. Bass und Orgel stellen die dominanten Sounds der Platte, über denen Aitken seine meist heiteren Texte herausblökt. "Scandal In A Brixton Market" erscheint als Kooperationsarbeit mit einer gewissen Girlie, die aber nur auf einigen Songs in Erscheinung tritt.
Schon damals war Aitken vor allem ein Entertainer und hatte wenig Ambitionen, seine Fans politisch zu erziehen. Stattdessen beklagte er die steigenden Kosten im Prostitutionsgewerbe ("Pussy Price") und besang die Freuden des Testosteronüberschusses ("Bwoy me hav fire in me wire"). Damit griff er Themen auf, die man seinerzeit von den Rude Boys kannte, einer gesetzlosen Jugendgang auf Jamaica, die sich im weit entfernten England aber zum Kultbild cooler, gut gekleideter Ganoven wandelte.
So zählten bald Mods, schwarze und weiße Skinheads und Suedeheads - Kids aus Großbritanniens Arbeiterklasse - zu Aitkens Fans, darunter Paul Weller, Paul Simonon, Judge Dread und Suggs. Das Subgenre Skinhead Reggae war geboren und Anzugträger Aitken wurde sein Anführer.
Nachdem Girlie in "Madame Straggae" einen Soloauftritt hat ("Straggae" ist jamaikanischer Slang für Prostituierte), warnt Laurel in "Stupid Married Man" selbstironisch vor einer lebenslangen Bindung, danach sei nämlich Schluss mit Fun im Leben ("She make you feel like a king / with her face full of smile / until she gets the ring").
Ab und an meldet sich Aitken auch politisch zu Wort. "Run Powell Run" etwa ist die Antwort auf die berühmte "Rivers of Blood"-Rede des konservativen Ministers Enoch Powell von 1968. Der geißelte in harschen Worten die britische Einwanderungspolitik und empfahl einen sofortigen Stopp des anhaltenden Zustroms von Migranten. Laurels Antwort: "Mr. Powell he is afraid / That black man will take him to his grave / We don't want no hostility / We're just begging for equality / I know freedom day will come / And we will buy you a drink a rum / And then we will sing 'We Shall Overcome'."
"Stop The War In Vietnam" trägt das klare Statement schon im Titel, dem Aitken denn auch kaum etwas hinzufügt, schließlich ist Rico Rodriguez' Posaunenspiel wie zuvor in "Babylon" einmal mehr großartig. Mit Elvis Presleys "Teddy Bear" wagt sich Aitken dann wie so oft an einen zeitgenössischen Pop-Hit, der sich dem Kopfnicker-Offbeat der ganzen Platte nahtlos fügt.
Zehn Jahre vor "Guns Of Brixton" könnte "Scandal In A Brixton Market" die erste Platte im Populärbereich sein, in der der Stadtteil Brixton namentlich erwähnt wurde. Zusammen mit dem Nachfolger "High Priest Of Reggae" zeigt sie Aitken auf der Höhe seines Schaffens. Nach einem Rückzug ins Private feiert Aitken, mittlerweile über 50, zur 2-Tone-Ära 1979/80 seinen dritten Frühling. Ein spätes Album-Highlight gelingt ihm sogar noch Mitte der 90er mit erdigen Neueinspielungen seiner alten Hits ("The Story So Far").
Bis kurz vor seinem Tod 2005 steht Laurel Aitken auf der Bühne, obwohl ihm die Ärzte nach Herzproblemen bereits Jahre zuvor davon abrieten. Wie es in "Mr. Soul" eben schon hieß: "My name is Mr. Soul / some people say that I'm too old / what difference does it make whether you're old n cold? ... You know what I am? I'm a midnight mover." Word!
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 2 Antworten
danke.
Yippie
5446 hab ich von sublime immer geliebt, interessant zu wissen, wer dahinter steckt!
SKINHEAD !!!
https://youtu.be/WcEhAIx1OB4
https://youtu.be/hx-XpRCGaFc
RUDE BOYS !!!