laut.de-Kritik

Einzigartig vom ersten bis zum letzten Ton.

Review von

Ach, was liebe ich diesen Augenblick! Du hörst die ersten Töne eines Albums und weißt: Das wird groß!

Mit "The Price" schaffen Leprous diesen Moment. Das typische Stakkato-Riffing eröffnet, Einar Solberg addiert die ersten Vokalmelodien, und dann perlen plötzlich kristallklar perkussive Palm Mute-Cleans aus den Lautsprechern. Diese Strophe sucht ihresgleichen! Schon jetzt gilt: Das muss man (nicht nur) als Prog-Liebhaber gehört haben.

Es wird sogar noch besser, wenn nach dem ersten Refrain statt der Gitarren der Synthesizer das anfängliche Stakkato-Riff aufgreift. All das ist nicht nur große Kunst, sondern auch verdammt eingängig.

Bemerkenswert, dass Leprous ihre im Laufe des Albums präsentierte Vielschichtigkeit nicht über unendliche Lagerung verschiedener Spuren erreichen. Das Gegenteil ist der Fall. Wo es geht, reduzieren sie die aktive Soundbasis auf ein transparentes Minimum. Davon profitieren einerseits die bombastischen Ausnahmen, andererseits offenbart es das exzellente Zusammenspiel der Instrumente.

Den prägendsten Aspekt des Albums liefert die Rhythmik. Das kennt man von früheren Veröffentlichungen der Norweger, doch auf "The Congregation" gelingt alles noch ein bisschen brillanter.

Nicht zuletzt trägt daran Drummer Baard Kolstad die Schuld. Der Neuzugang drückt den Stücken vehement seinen Stempel auf und legt dabei einen schier unglaublichen Facettenreichtum an den Tag. Der Mann zeigt, was er technisch kann, dominiert Songs mit komplexen Patterns ("Slave"), rauscht ausdauernd durch Doublebassgefilde ("Rewind"), läuft in "Within My Fence" als Tomflüsterer zu Höchstform auf, lässt aber trotz allem niemals die Songdienlichkeit vermissen.

Der andere Aufmerksamkeitsmagnet heißt Einar Solberg. Als Hauptsongwriter zeichnet an allererster Stelle er für die grandiosen Kompositionen verantwortlich. Seine Synthies sorgen für Atmosphäre, oft düster brütend ("The Flood"), manchmal nahezu dronig ("Down"), verstörend paranoid ("Red") oder aber im "Final Countdown"-Gewand, mit dem er das Tor zu pulsierender Mindfuck-Dunkelheit aufschließt ("Slave").

Den passenden Gegenpart bietet sein Gesang. Er stellt den klaustrophobischen Grundpfeilern Offenheit gegenüber, versprüht eine paradoxe melancholische Helligkeit. Als über weite Strecken einziges Melodieelement bringt Solbergs Vocalperformance außerdem in besonderem Maße den möglichen Instrumentencharakter einer Stimme zum Ausdruck. In A-Capella-Manier errichtet er demgemäß mehrstimmige Vokalarrangements ("The Flood").

Im Kontrast zu den feingliedrigen Harmonien steht vereinzelt gesetztes Black Metal-Krächzen ("Rewind", "Slave"). Einar scheint seinem Schwager mittlerweile Einiges abgeschaut zu haben. Zumindest habe ich nirgends einen Hinweis darauf gefunden, dass Ihsahn selbst an "The Congregation" beteiligt war. Egal, wer letztendlich dem gefallenen Engel sein Organ geliehen hat: Die entstehende Dualität passt sich perfekt ins Konzept ein.

"The Congregation" ist bestimmt kein Easy Listening. Wer nichts von vertracktem Riffing hält, sollte lieber einen weiten Bogen darum machen. Ebenso mag Einars hohe Stimmlage auf Genrefreunde vom härteren Ufer gewöhnungsbedürftig wirken. Nichtsdestotrotz ist das, was Leprous mit ihrem fünften Album erschaffen haben, vom ersten bis zum letzten Ton genial und absolut einzigartig.

Jeder einzelne Song stellt ein Kunstwerk für sich dar, mit Höhen und Tiefen, eigenständigem Spannungsbogen, klar individueller Note, und doch genauso reibungslos im Albumkonstrukt verankert. Dieses fassen Leprous im abschließenden "Lower" (ausgerechnet einem der kürzesten Songs des Albums) sogar noch vollendet zusammen.

Trackliste

  1. 1. The Price
  2. 2. Third Law
  3. 3. Rewind
  4. 4. The Flood
  5. 5. Triumphant
  6. 6. Within My Fence
  7. 7. Red
  8. 8. Slave
  9. 9. Moon
  10. 10. Down
  11. 11. Lower

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