laut.de-Kritik
Nicht einmal dasselbe in grün.
Review von Yannik GölzWas macht einen Trap-Song zu einem Trap-Hit? Als Lil Babys Mentor Young Thug vor zehn Jahren die erste Welle dieser neuen Trap-Hits anstieß, schienen die quasi von selbst zu kommen. "Best Fried", "Black Beatles", "Bad And Boujee" - es gab diesen magischen Moment in der Geschichte, in der Trap als Genre kommerziell so erfolgreich und kreativ so fruchtbar war, dass zumindest in den Staaten dessen 808-Swing das größte Motiv der Popmusik war.
Lil Baby gehörte zur letzten Kohorte, die in diesem magischen Zeitfenster groß geworden sind. Sein Aufstieg zum nächsten großen Atlanta-Crooner lief schnell und rabiat ab, für einen kurzen Moment 2020 wäre man mit der Aussage davongekommen, Lil Baby sei der beste aktive Rapper der Welt. Und dann? Dann folgte auf sein Mammut-Album "My Turn" das wesentlich banalere "It's Only Me", das keiner so richtig leiden konnte, und jetzt steht er plötzlich da, wo auch Roddy Ricch, Polo G und NBA Youngboy stehen: auf einem Abstellgleis für Typen, die sich nach ihrem initialen Hype nicht die Bohne weiterentwickelt haben, während Trap rabiat wieder aus dem Pop rausrotiert wurde. Kam man vor fünf Jahren mit "das ist der beste Rapper der Welt" davon, könnte man heute ohne Gegenwind "war der überhaupt je gut?" fragen.
Die Antwort darauf sollte aber lauten: Und wie! Lil Baby war besonders 2018 siedend heiß. Wie er in die Triplets im Refrain auf "Southside" überleitet, seine Hook für "Drip Too Hard" mit Gunna, sein Verse auf "Sold Out Dates", "Time" mit Meek Mill und einfach die Gesamtheit von "Freestyle" - das war alles schon objektiv bretthart. Entsprechend wurde er sofort nach ganz oben durchgereicht und hat immerhin in seiner Aufstiegssaison mit dem Hunger eines monströsen Jungstars durchgespielt. Seine Verses auf "Wants And Needs" für Drake und "Hurricane" für Kanye stehen neben der Tatsache, dass er mit "The Bigger Picture" den wichtigsten BLM-Song dieser Ära gemacht hat. Man sollte sich nicht wundern, warum Leute so viel in Baby gesehen haben.
"Wham" zeigt jetzt nur leider in genauer Nachfolge zu "It's Only Me", wo von ihm zu viel erwartet wurde. Lil Baby kann ein großartiger Rapper sein, aber er ist das Gegenteil von einem Album-Artist. In genau dem Moment, in dem sein Underdog-Pathos verbraucht und er nur ein weiterer Mainstream-Rapper war, saß er nur noch gelangweilt und arrogant in der Ecke und droppte halbgare Freestyle-Tracks, die niemand hinter dem Ofen hervorholen. Als Typ scheint er nicht wahnsinnig interessant, und musikalisch innovativ war er nur, solange er die dominierende Atlanta-Szene repräsentieren konnte. Was aber an interessanten Sachen gerade in Atlanta passiert, findet keinen Platz auf "Wham", das dösend gleichschrittig Replikas seiner inzwischen sieben Jahre alten Mixtapes abliefert, nur sinnig angerichtet mit den selben fünf Default-Featuregästen aus dem Tiefkühlregal.
Gibt es solide Songs? Ich würde schon sagen. "Dum, Dumb & Dumber" macht immerhin Freude, einen animierten Young Thug frisch aus dem Knast zu hören. "Redbone" bezieht die meiste kreative Energie von einer GloRilla, die am absoluten Peak ihrer Kräfte agiert. Baby selbst rappt auf einer konstanten sechs von zehn - da ist zwar keine Stelle, an der er schockierend daneben haut, aber wie soll er auch - wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Sollte also jemand im Jahre unseres Herren 2025 denken, "hey, es gibt einfach noch nicht genug generische Lil Baby-Songs", dann sei dieses Album herzlich empfohlen.
Es ist ja interessant, dass Lil Baby seit der Pandemie trotz regelmäßiger Kontroversen gefühlt weit hinter seinem ehemaligen Tag-Team-Partner Gunna zurückgefallen ist. Aber "Wham" zeigt ziemlich genau, wieso: Was Baby ihm theoretisch in Energie und Flow voraushaben könnte, verwirkt er tausendfach im Beatgeschmack. "Wham" ist instrumental ein absoluter Rohrkrepierer.
Gucken wir uns nur mal das Instrumental für "F U 2x" an, einen Song, der mit Startnummer drei immerhin recht prominent in der Tracklist steht. Zu hören bekommen wir hier ein saftloses Synthpad über die 808. Man wäre vielleicht nachsichtig, würde man nichts anderes hören als diese lächerlich laute Snareroll, die sich einbildet, auf einem campy-experimentellen Chief Keef-Beat stattzufinden. Aber da ist nichts, an dem sie sich abarbeiten könnte, der Rest des Instrumentals klingt nach Tütensuppe. Babys erster Trapbeat. Und das zieht sich durch: Hier eine Sirene, da ein trauriges Klavier. Samples? Zu teuer. Ich wette, in einem halben Jahr könnte keiner der beteiligten Producer die Beats hier zwischen den fünf ersten "Lil Baby Type Beats" unterscheiden. Dazu kommt dieser seltsame Effekt, dass viele Beats nicht einmal ein Ende haben, sondern einfach ausfaden. Ein Outro gibt es auch nicht, das Album endet einfach. Soll wohl Rohheit suggerieren, fühlt sich aber nur lieblos an.
Das ist eben das Problem am Mainstream-Status: Wenn man gerade in einem magischen Zeitfenster agiert, wo der reine Sound, in dem man arbeitet, das heißeste der Welt ist, dann reicht das. Aber Lil Baby zeigt nun schon zum zweiten Mal, dass er an der vorderen Front der Rapmusik nichts zu suchen hat. Er ist nicht in der Lage, musikalisch irgendetwas weiterzudenken. Dieses Album ist nicht einmal dasselbe in grün. Es ist einfach nur dasselbe mit abflachendem Hunger, keiner Vision und keiner charakterlichen oder stimmlichen Entwicklung. Wie wird also ein Trap-Song zu einem Trap-Hit? Guckt man in die lange Liste derer, die es noch gibt, auch bis in die Gegenwart: Es sind die, die der Formel einen kleinen Twist hinzufügen. "Wham" hat nicht einen Song, der sich an der dafür nötigen Eigenständigkeit auch nur versuchen würde.
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