laut.de-Kritik
"Ein Märchenbuch, wo der Teufel immer gwinnt."
Review von Giuliano BenassiWien war nach dem Zweiten Weltkrieg eine furchtbare Stadt. Und Österreich ein furchtbares Land. Zumindest aus Sicht eines Schauspielers, der 1946 in der Steiermark auf dem Land geboren und später in Wien aufgewachsen war, bis er als Jugendlicher ausbüchste, um erst dem Hippie-Trail bis Istanbul zu folgen und später an verschiedenen Bühnen der Bundesrepublik Deutschland zu spielen.
Obwohl er in Regensburg und Wuppertal durchaus Erfolg hatte, schlug Ludwig Hirsch ein Engagement am Hamburger Thalia Theater aus und kehrte 1975 nach Wien zurück. Dort musste er sich erst mal wieder hochkämpfen - und bekam den Blues. Er griff zur Gitarre, die er als Jugendlicher zu spielen gelernt hatte, und begann, Lieder zu schreiben.
"Wenn man dann in dieser großen Stadt in diesem Realgymnasium in den finstersten Klassenzimmern hockt, in denen es damals wie heute strengstens verboten ist, die Fenster zu öffnen, um nur ja nicht den faschistischen Mief rauszulassen, der dort seit Jahrzehnten produziert wird, dann sind das echte, fette Watschen. Wenn man schließlich Berufe ausübt, z. B. Musiker, Grafiker, Gammler, Spaßmacher, Schauspieler, Ehemann, Liedermacher - Watschen, nichts als Watschen", schrieb er auf der Rückseite seines ersten Albums "Dunkelgraue Lieder", das 1978 erschien.
Bis dahin war es noch ein weiter Weg. Eines seiner ersten Lieder bot er seinem bekannten Kollegen Kurt Sowinetz an. Der meinte nur, er solle es doch selbst einspielen. Also fertigte Hirsch ein Demo an, dass er Ende 1977 auf einer Party dem einflussreichen Manager Karl Scheibmeier in die Hand drückte. Der wiederum leitete es an den Chef des Radiosenders Ö3 weiter, Ernst Grissemann, der es am 1. Januar 1978 in seiner Sendung tatsächlich spielte.
"Sie hören jetzt jemanden, der vielleicht einmal ein großer Star wird. Oder sie hören nie mehr etwas von ihm ... Die 'Omama' von Ludwig Hirsch", kündigte Grissemann an, damals einer von Österreichs bekanntesten Moderatoren. Und Vater von Christoph, der seit den 1990er Jahren mit Dirk Stermann ein erfolgreiches Komiker-Duo bildet.
"Was zum Teufel singt der da?" dürften sich nicht nur Scheibmeier und Grissemann gefragt haben, sondern auch die Zuhörer. Ein Lied vom Enkel über die Beerdigung einer bösartigen Oma, die schlechte Knödel machte, den Opa denunzierte ("Für Führer, Volk und Vaterland, erschossen, aufghängt und verbrannt"), ein Bild von Adolf Hitler im Haus hängen hatte und schließlich auf dem Vergnügungspark am Prater an ihrem Gebiss erstickt war. Zum Schluss "ein guter Tip: Omama, nimm's Mutterkreuz net mit!".
Das alles vorgetragen mit tiefer, ruhiger, leicht schmunzelnder Stimme. Harter Tobak, selbst in einer Stadt, deren Bewohner für ihre sarkastische und morbide Ader bekannt sind. Scheibmeier war begeistert und zog nach einigen Mühen einen Vertrag beim Major-Label an Land. Polydor wiederum vermittelte Hirsch an Österreichs Produzentengröße Robert Opratko. Der bettete Hirschs Stimme und Geschichten in liebliche Arrangements, die eher wie Schlager mit Rock- und Klassikelementen wirkten als klassisches Singer/Songwritertum.
Der Erfolg war nicht durchschlagend, aber er kam. Im März 1979 stand "Dunkelgraue Lieder" auf Platz fünf der Charts, war insgesamt 50 Wochen gelistet und machte Hirsch auch in Deutschland und der Schweiz bekannt, trotz - oder dank - seines Wiener Slangs. In der aufkommenden, schrägen Austropop-Szene nahm er rasch seinen Platz als intellektuelle Größe ein, womit er sein Ziel erreicht hatte: "Ich will auf meine Art einige dieser Watschen zurückgeben. Deshalb habe ich diese Platte gemacht", so die letzten Zeilen des Textes auf der Rückseite.
Jedes Stück ein Klassiker - auf seine Weise. In "I Lieg Am Ruckn" stellte Hirsch sich vor, im Sarg zu liegen. "Was is'n des, des komische Krabbeln bei die Zehen da vorn? Jessas Maria, der erste Wurm! Du liegst da und kannst di net rühren, die Würmer krallen dir ins Hirn und sie dinieren". Beklemmend und lustig zugleich. Noch mehr bleibt einem das Lachen im Hals stecken beim netten, etwas schrulligen "Herr Haslinger", der sich im Beserlpark liebevoll um trockene Blumen und hungrige Tauben kümmert. Und Kinder gerne hat, "Lausbuben mit den kurzen Lederhosen ... Mäderln mit den süßen blonden Lockerln, mit weißen Schuhen, mit kurzen schwarzen Rockerln". Alles gut, bis ganz zum Schluss: "Es ist jetzt Nacht, der Beserlpark geschlossen, die Tauben satt, die Blumen sind gegossen. Unser Herr Haslinger, der begibt sich jetzt zur Ruh, unten am Fluß treiben zwei kleine weiße Schuh".
Drei Stücke, drei Schläge ins Gesicht. Die kriegt auch der "Blade Bua" ab, von der Mutter gemästet, bis er im Türrahmen stecken bleibt, von Vater und Nazi-Großvater misshandelt. "Es gibt Kinder, die kommen ohne Schutzengel auf d'Welt. und der Sandmann haut ihnen Reißnägel in d'Augen. Unterm Christbaum liegt jedes Jahr ein Packerl Tränen als Geschenk. Und ein Märchenbuch, wo der Teufel immer gwinnt.".
"Sehr nah am Ohr des Zuhörers, das war Ludwig Hirsch immer. Von der ersten Platte, vom ersten Auftritt als Musiker an. So musste er nicht laut werden und durch die leisen Töne stieg die Intensität. Unaufdringlich nah, aber ungemein präsent, direkt in den Kopf sprechend, singend, erzählend seine Texte im Hirn der Zuhörer verankernd. Da ging nichts beim einen Ohr rein und beim anderen wieder raus. Seine Musik war nie etwas fürs Radio in der Küche, keine Mitnahmemusik, sondern sie wühlte auf. Lud auch zum Schmunzeln ein.". So der Journalist Andy Zahradnik in seinem schönen Buch "I Lieg Am Ruckn", in dem er 2016 das Leben und Werk Hirsch liebevoll erzählte.
Hirsch verteilte auf seinem Debüt weitere Watschen. An die bigotten und abergläubischen Bewohner eines Dorfes, die den "Dorftrottel" zu Tode prügeln, weil sie glauben, dass er für den Tod eines Neugeborenen verantwortlich ist. An den Mob, der einer "Spur im Schnee" folgt, um die Ursache zu erledigen, und dann aber statt der "Bestie" "die Operettensoubrett'" entdeckt. An die untreue Freundin und an sich selbst, dem Trottel, in "Liebeslied".
Hirschs Herz schlug für diejenigen, die die Gesellschaft ächtet, für den alten, zahnlosen "Wolf" im Zoo oder den "Zwerg", der von seinem siebenjährigen Nachbarn vermöbelt wird. Selbst hinter einem harmlosen Titel wie "Spuck Den Schnuller Aus" gelang es Hirsch, "Gitterbett", "Windelstriptease", "Sodomisten" und "Pornohefteln" unterzubringen.
Die Verse "Ja, es wird höchste Zeit, dass mer's endlich treiben / Oder willst mit zweieinhalb noch a Jungfrau bleiben?" hören sich 30 Jahre später befremdlich an, waren in Zeiten sexueller Befreiung aber wohl eher ironisch gemeint. Wie natürlich auch der Titel des abschließenden Stücks, "Happy End", dessen letzte Zeilen lauten: "Es is a Schand, im Taxi fahrn wir jetzt zum Standesamt. Klane, so oft hab ich dich gwarnt vor mir, jetzt hast den Scherbenhauf mit mir."
Vielleicht waren sie sogar autobiographisch, hatte er doch in dieser Zeit die deutsche Schauspielerin Cornelia Köndgen geheiratet? Auf die Frage, ob seine Stücke wahr seien, pflegte Hirsch mit einem Reim zu antworten:
" So wahr eine Krone ein Hut ist, wo's reinregnet.
So wahr eine Raupe ein gepolsterter Wurm ist,
so wahr ein Dieb einer ist,
der was findet, was ein anderer gar nicht verloren hat,
so wahr sind meine Geschichten."
"Hirsch hat das Kunststück geschafft, ein damals noch recht farbloses Land mit seinem 'Dunkelgrau' - einer Mischung aus der blauen Donau und dem schwarzen Wiener Humor - bunter zu machen", stellt Zahradnik treffend fest.
Mit seinem zweiten Album landete Hirsch 1979 einen weiteren Volltreffer. Belustigt sang er die Geschichte seines Freundes Schurli, der sich als Geburtstagsgeschenk per Post seiner großen Liebe schickt. Das Paket ist aber so gut verschnürt, dass sie schließlich zur Axt greift. "Das war das Ende von mein Freund, dem Schurli-Bua".
In "1928" stellt er sich vor, wie Außerirdische auf die Erde kommen, um den Bewohnern Pillen gegen Traurigkeit zu schenken. Bei späteren Liveauftritten war es "für immer glücklich machende Musik". Egal, denn von der schönen Erde sind nur große, nackte Steine geblieben, mit einer fettigen, schwarzen Russschicht bedeckt. Alles, was sie finden, ist ein verbeulter Projektor mit einem Film von Micky Maus und Donald Duck. Und was war 1928 geschehen? Micky Maus wurde erfunden. Das einzige, was von der Menschheit übrig geblieben ist.
Wie das Debüt hört sich die Produktion 30 Jahre später etwas altbacken an. Wer sich auf Texte und Stimme konzentrieren möchte, dem sei der Mitschnitt "Dunkelgrau Live" von 1999 ans Herz gelegt, auf der sich Hirsch von Gitarrist Johnny Bertl begleiten ließ, der ab 1979 sein wichtigster musikalischer Gefährte war.
Zusammen gingen sie durch Höhen und Tiefen. Mit einem Vertrag auf Lebzeiten ausgestattet, produzierten sie 1982 gemeinsam ein imposantes wie sperriges Album über das Alte Testament ("Bis Zum Himmel Hoch"), erklommen 1983 mit "Gel, Du Magst Mi", einem Remake von Elvis Presleys "Love Me", die österreichischen Single-Charts und bestritten zusammen Tausende Konzerte. Auch als Schauspieler blieb Hirsch tätig. Vor allem am Theater. Rollen in "Das Boot" und "Kir Royal" schlug er Mitte der 1980er Jahre aus, im neuen Jahrtausend war er im Tatort und in "Kommissar Rex zu sehen. Da war sein Stern schon gesunken, auch wenn er nach wie vor die Konzertsäle füllte.
Sein herausragendes Lied war und blieb der Titeltrack seines zweiten Albums. "Komm Großer Schwarzer Vogel" hatte er für eine Bekannte geschrieben, die nach einem Unfall von Hals abwärts gelähmt war und erfolglos versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.
"Komm großer schwarzer Vogel, komm zu mir!
Spann' Deine weiten, sanften Flügel aus
und leg's auf meine Fieberaugen!
Bitte, hol' mich weg von da!"
Auch wenn Hirsch es nicht als Aufruf verstehen wissen wollte, sich das Leben zu nehmen, spielte es der ihm zugeneigte Sender Ö3 nicht nach 22 Uhr, sicherheitshalber. Ein Stück, das über Jahrzehnte Hirschs Konzerte beendete und um so verstörender wirkt, wenn man heute die letzten Zeilen liest:
"Auf geht's, mitten in den Himmel eine,
nicht traurig sein, na, na, na ist kein Grund zum Traurigsein!
Ich werd' singen, ich werd' lachen, ich werd' 'das gibt's net' schrei'n.
Ich werd' endlich kapieren, ich werd' glücklich sein!"
Gezeichnet von einer Lungenkrankheit, die ihm über die Jahre das Atmen und Singen immer schwerer gemacht hatte, beendete Hirsch am 24. November 2011 sein Leben, als er aus einem Fenster des Wiener Wilhelminenspitals stürzte. Einen Abschiedsbrief hinterließ er nicht. Dafür ein Vermächtnis aus Liedern für die Ewigkeit.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
7 Kommentare mit 4 Antworten
Schön, ihn durch die Rezi auch einer jüngeren Generation nahezubringen. Mein erstes Lied von ihm war auch "Komm Großer Schwarzer Vogel", dass die morbide Atmosphäre, die fast alle seine Lieder prägt, besonders kondensiert.
Es muss um 1982 gewesen sein, kurz bevor "die Birne" in Deutschland die Macht übernahm und den letzten Politiker (Helmut Schmidt) mit sowas wie einem teilbaren Anspruch an die Politik (Natodoppelbeschluss), in Rente schickte, da hörte ich Ludwig Hirsch zum ersten Mal. 1928 hies das Stück.
https://www.youtube.com/watch?v=nMFkqsBfK8Y
Was ein weiser Mann, schließlich ist heute alles Mickey Maus und täglich zündet irgeneine davon eine A-Bombe, zumindest viralvirtuell!
Man haben wir damals gelacht und doch ist es uns im Halse stecken geblieben. Genau das fehlt mir, dieser Zwiespalt der sich beim Hören auftut. Gibt es nicht mehr und somit wichtig das jetzt daran erinnert wird! Früher war doch alles besser!?
Gruß Speedi
Du bist sehr alt, Stephan!
@Speediconzal
Daumen hoch!
@Hochmoor
Was soll diese Trollerei hier wieder? Komplett unpassend.
(Hochmoor kapiert es nicht, wird vielleicht sogar wie so oft ausfallend und natürlich kommen seine Kumpels kommentieren in 3 .. 2 .. 1 .. )
Das Trolltriumvirat der Trolligkeit schläft noch denn das Leben der Privatiers ist ein süßes!
Wirst dich also noch gedulden müssen.
War mir neu. Hat Charme.
Bin da halt raus weil ich mit Dialekt beim Lieder machen überhaupt nicht klar komm
Das mit Abstand größte Album, das der sogenannte Austropop hervorgebracht hat. Ein Klassiker.
"Der Dorftrottel" und "Komm großer schwarzer Vogel" sind so dermaßen traurig und daramtisch. Und schlichtweg großartig.
Kleine Anmerkung: Es heißt "Die Wiama kräun da ins Hirn". Kräun/Kräulen = Kriechen. Nix für ungut. (Ich weiß, steht im Web fast überall falsch).
Hmm, bei mir im Booklet steht auch "krallen", obwohl es sich für mich auch nach einer "kriang"-Spielart anhört (Freudscher?).
Das Album hat mich ansonsten tief beeindruckt, am meisten gleich bei der Omama. Das besagte Ruckn-Lied, der alte, blede Wolf, der Dorftrottel, alles super. Schön auch das ganz unzynische "Happy End" - war fast ein bisschen erleichtert, nachdem der (großartige) Rest ja schon eher unversöhnlich daherkommt.
Eine Diskographie mehr zum nachträglich Entdecken - Danke!