laut.de-Kritik
Aufregende Hybride aus E- und U-Musik.
Review von Martin TenschertMartin 'Me' Raabenstein, Labelbetreiber von nonine recordings, beobachtete das Musikgeschehen der letzten Jahrzenhnte und eine darin stattfindende Revolution, die doch eher Evolution genannt werden muss. Die Vermischung der Stile, das Aufbrechen von Genre-Grenzen und das Verschmelzen von U- und E-Musik bilden die Eckpunkte dieser Entwicklung. Kombinationen moderner elektronischer mit klassischen Klängen liefern spannende Resultate.
Es gibt für diese Musik - zum Glück - noch keine Genre-Schublade. Deswegen nannte Raabenstein die von ihm zusammengestellte Compilation "XVI Reflections On Classical Music". Die Art, wie diese Stücke zusammen gefunden haben, mutet natürlich subjektiv an. Raabensteins Geschmack war Auswahlkriterium. Trotzdem gibt er gleichzeitig ein Statement ab und schafft eine repräsentative Übersicht für Laien.
Der große Klassik-Begriff, der von der Renaissance bis zur Moderne und neuen Musik reicht, umspannt die Künstler und die hier versammelten Stücke, wobei eine eindeutige Kategorisierung, wie gesagt, nicht möglich ist. Dieser Umstand macht die Tracks zu spannenden Klangforschungsfeldern, die vom Rezipienten genaues Hinhören und das Ablegen gewohnter tonaler und kompositorischer Prinzipien erwarten.
Lawrence aus Hamburg, House-Meister des Deepen, eröffnet die Entdeckungsreise mit "Daydream", das strukturell an klassische Musikprinzipien angelehnt ist, aber mit elektronischen Mitteln verwirklicht wurde. Ein ganz eigener, an William Orbit erinnernder, emotionaler Eindruck ist das Ergebnis. Freude und Melancholie wechseln sich gegenseitig ab, Lawrence steuert den Track exklusiv für diese CD bei.
Takeo Toyama überrascht im Anschluss mit "Lithium", einer knisternden Klangcollage, deren rhythmische Begleiter ein einlullendes Piano, hintergründige Flöten und verfremdete Sprachsamples darstellen. Bezaubernde Musik, die bestimmt auch Fans von Radiohead oder Apparat gefallen dürfte.
Hauschka mit seinem speziell präparierten Klavier übernimmt darauf den Taktstock. Als einer der wichtigsten Vertreter neuer Klaviermusik mit Nähe zu John Cage entwickelt er einen Track, der wiederum komplett analog mit klassischen Mitteln eingespielt wurde. Karnevalismus in der Musik, verkehrte Welt, die aber keineswegs reiner Selbstzweck ist, sondern im Dienst neuer Klänge und Angebote an den Hörer steht. "Zuhause" könnte man wegen seines Loop-Charakters durchaus im Club spielen, ist aber nicht erforderlich, das Stück steht für sich.
Gas aka Wolfgang Voigt aka Mike Ink ist mit dem epochalen "Zauberberg IV" vertreten. Voigts Vorgehen, Wagner zu samplen, sorgte einst für Entrüstung in der Klassik-Welt. Hier entwickelt er eine Stimmung zwischen Berghain Sonntag morgens und dem Spiegelsaal in Schloss Neuschwanstein. Unwirklich entrückt gehen Techno und dumpfe Sirenen auf dem Zauberberg eine Liaison ein.
Weitaus fröhlicher und vielstimmiger mutet "He Poos Clouds" von Final Fantasy an. Die Geigen klingen, obwohl in ein pop-affines Arrangement eingebunden, tatsächlich nach Vivaldi. Jetzt verwundert einen nichts mehr.
Falsch gedacht! Murcof aus Mexiko und sein Stück "Maiz" haben weniger mit dem Grundnahrungsmittel als mit Aphex Twin gemeinsam: digitale Drumloops kombiniert mit Pizzicato-Streichern und Sounds, die an eine springende CD erinnern. Unterschwellig dröhnt ein Kontrabass, langsam verdichtet sich dieses Klanggebilde. Von Geigen vorgetragene Motive schälen sich heraus, und was scheinbar atonal-chaotisch begann, endet in einer wohlklängigen Trackstruktur.
Philip Glass reiht sich als Protagonist der Minimalmusik in dies Sammelsurium spannender Klänge ein. "Symphony 4- Heroes" steht mit seinem repetitiven Charakter und langsamem Aufbau Pate für das Gros der heute produzierten elektronischen Musik. Elemente kommen und gehen im fließenden Wechsel, beinahe unmerklich passiert etwas, die Seele, der Groove wird jedoch immer am Leben erhalten. Die Sinfonie gerät packend, dramatisch und würde sich gut als Filmmusik eignen, wäre sie dafür nicht zu schade. Man sollte sich ihr mit allen Sinnen widmen und sie nicht zum Begleiter von Bildern degradieren.
"XVI – Reflections on Classical Musical" überlässt dem Hörer die Einordnung in Stile, Schubladen und Genres. Es gibt keine Vorgaben, der Hybrid aus elektronischer Musik und Klassik ist überraschend und aufregend. Martin Raabenstein, der diese Compilation verwirklicht und zusammen gefügt hat, zeichnet übrigens auch für das grafische Artwork verantwortlich. Er traf nicht nur eine exzellente Auswahl, sondern erfüllt einen visionären Auftrag, indem er uns diese "neue" Musik zugänglich gemacht hat.
In Kooperation mit Zero Inch verlosen wir unter allen, die uns bis zum 9. September 2009 eine Mail mit dem Betreff "Reflections" an gewinnen@laut.de schicken, 5x1 Album-Download sowie 1x2 Gästelistenplätze für das Launch-Event am 15.9. in der Yellow Lounge im Berghain in Berlin. Für die Berlin-Veranstaltung bitte den vollständigen Namen mit angeben.
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