laut.de-Kritik
Er hat sich nicht verändert, er hat sich gefunden.
Review von Sven KabelitzWenn Acts mitten in ihrer Karriere einem Album den eigenen Namen geben, dann steht dies meistens für einen Neuanfang. Schaut her, wir haben uns verändert. Dies ist unser neues Ich. Nicht so bei Michael Kiwanuka. Musikalisch ändert sich im Vergleich zum Vorgänger nicht viel. Stattdessen ist der Titel ein Hinwegwischen vieler Selbstzweifel. Er hat sich nicht verändert, er hat sich gefunden. Er ist "Kiwanuka".
Anfang des Jahrzehnts sah das noch ganz anders aus. Damals riet man ihm, doch bitte den Namen zu ändern. Mit Kiwanuka verkauft man doch keine Alben. Jeder wird denken, das sei irgendein Weltmusik-Gelersch. Wo wir schon dabei sind, könntest du dir nicht gleich eine andere Identität zulegen? Dass deine Eltern Flüchtlinge aus Uganda sind, das ist schon etwas zu viel Politik. Das muss ja nicht jeder wissen. Er war selbst kurz davor, diesen Stimmen zu glauben.
Sein noch stark vom Folk geprägtes Debüt "Home Again" verkaufte sich gut, doch fühlte er sich schnell wie in einer Zwickmühle. Als verrate er sich selbst und sein Erbe. Den bereits fertigen Nachfolger schrotte er komplett, setzte sich mit Danger Mouse und Inflo, der zuletzt Little Simz' "Grey Area" produzierte, zusammen. Heraus kam "Love & Hate" mit "Black Man In A White World" und dem Epos "Cold Little Heart".
Für "Kiwanuka" kooperierte Michael wieder mit den beiden. Ein Album, das den Faden des Vorgängers aufnimmt, jedoch neue Variationen des Themas spinnt. Ein Album, das auf diese Art "Home Again" so fern klingen lässt. Als sei das einst ein ganz anderer Künstler gewesen. Doch wo "Love & Hate" noch allgemeine Identitätspolitik war, geht der neue Longplayer für ihn da hin, wo es weh tut. Da, wo die Unterdrückung der Minderheiten auf unserer Welt ihn ganz persönlich traf und in eine tiefe Identitätskrise stürzte, aus der ihn letztlich er selbst als "Kiwanuka" führte.
"I won't change my name / No matter what they call me", singt er im zerschürften Intro zu "Hero". Ein Song, dessen Text er dem Black Panther-Bürgerrechtler Fred Hampton widmet, der mit gerade einmal 21 Jahren von der vom COINTELPRO, einem Programm des FBI, in seinem Apartment ermordet wurde. Nur zur akustischen Gitarre startend, steigert sich das Stück zu einer ergreifenden Klage. "Please don't shoot me down / I loved you like a brother / It's on the news again / I guess they killed another", singt er mit seiner warmen, unverwechselbaren Stimme zeitgleich anklagend und tröstend. Ein exzellente Fuzz-Gitarre und ausufernde Chöre lassen den Track ganz im psychedelischen Soul-Rock der späten 1960er und frühen 1970ern versinken.
Eben diesen verknüpft er im lebhaften Opener "You Ain't The Problem" mit Afrobeat. "Don't hesitate / Time heals the pain / You ain't the problem", richtet er zeitgleich an seine Hörer*innen und sich selbst. Die possierlichen "Problem"-Rufe lassen das Herz aufgehen. Dabei strahlt Kiwanuka in dieser überbordenden, sich mehrfach überlagernden Produktion Gelassenheit und inneren Frieden aus.
Verschworen reichen sich die vielseitigen Tracks die Hände, fließen immer wieder ineinander. Vom offensiv groovenden "Rolling" ("No tears for the young / A bullet if you run away / Another lost one / Like father, like son, we pray") zum traumhaften "I've Been Dazed" mit seiner Call-And-Response-Coda. Vom sich am Anfang von "Cold Little Heart" orientierenden, dann Pink Floyd mit Soul verbindenden Siebenminüter "Hard To Say Goodbye" ("Little butterfly without wings, how do you fly?") zu dem ungewohntem "Final Days". Hier gibt Danger Mouse Kiwanuka zaghaft mit elektronischen Percussions eine neue Richtung. Eines der schönsten Stücke des Albums, tragisch und mit einem an die frühen Massive Attack ("Unfinished Sympathy") gemahnenden Schlagzeug. "Lying on the ground / Feeling like a dyin' man / No reality / Fading memories / Following the crowd / Coulda been a stronger man / Plead insanity / I will die in these."
Mit von Orchester, Chören und einem weiteren seiner brillanten Gitarrensoli getragenen "Light", das sich wie wie ein Spaziergang an einem warmen Herbsttag anfühlt, endet "Kiwanuka" in Frieden. "All of my fears are gone." Michael Kiwanuka zitiert die Größten, findet die Essenz aus Bill Withers, Marvin Gaye, Curtis Mayfield und Stevie Wonder. Aber er verkommt nicht zu einer bloßen Kopie, zum Zitateaneinanderreiher. Sie werden Teil seiner eigenen Sprache, seiner Seele. Dabei ist jeder seiner Songs ebenso abwechslungsreich konzipiert wie makellos. Mit Leichtigkeit wechselt er von Soul zu Prog, von Folk zu Gospel. Auch auf seinem dritten Album auf einem so hohen Level, dass man ihn als einen der besten Künstler des nun auslaufenden Jahrzehnts bezeichnen muss.
13 Kommentare
Kiwanuka setzt Album für Album noch einen drauf. Klasse Album!
Ich mag den Retrovibe auf dem Album der nie zu einer bloßen Kopie verkommt. Ein wirklich großer Soulkünstler und eine perfekte Symbiose seiner vorherigen Werke.
Irgendwo zwischen 4/5 und 5/5, durch die unglaublich schönen Streicherarrangements tendiere ich eher zur vollen Punktezahl.
Läuft in Dauerschleife das Album. Großartige Musik. Finde nur, dass es musikalisch sich doch unterscheidet vom Vorgänger. Während der Vorgänger für mich tief im Blues verankert war, orientiert sich das Album nun eher am Rock n Roll der 60er und 60er Jahre.
Mir gefällt es noch ein Stück besser als der Vorgänger, da wirklich jeder Song sitzt und im Gegensatz zum vorherigen Album keine Songs herausstechen.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
I've Been Dazed und den ersten Teil des Piano Joints finde ich ein wenig schwülstig, ansonsten super Scheibe mit Hero und Final Days als Highlights. Drittes Album und zum dritten Mal wunderschön. Der Schlusssatz von wegen "einer der Künstler des Jahrzehnts" könnte tatsächlich gut hinkommen
Ich glaube, ich möchte dieses Alben heiraten und zwei Soul-Kinder bekommen.