laut.de-Kritik

Positive Vibes in Zeiten der Unruhe.

Review von

"Oh, I don’t wanna say I told you so, oh/ but I told you so, no". Aber, aber! Wer wird denn nachtragend sein? Denkt sich auch Miguel Jontel Pimentel, nimmt sein Herzchen an die Hand und kehrt dem politischen Irrsinn dieser Tage den Rücken. In der Wüste angekommen, zaubert er erst mal ein paar beeindruckende Dancemoves aufs sandige Parkett. Im Hintergrund steigen derweil Raketen in den dämmernden Abendhimmel und bereiten die Kulisse des nahenden Untergangs.

Panzer, Special-Forces, Riots, die amerikanische Flagge und der King persönlich, Martin Luther, komplettieren das Video zur vorab veröffentlichten Single "Told You So". Die Idee dahinter: Ist die ganze Welt erst am durchdrehen, warum sich nicht klammheimlich davonstehlen und das Hier und Jetzt feiern? "War & Leisure" verbreitet positive Vibes in Zeiten der Unruhe und beschwört Gelassenheit im Fieber der stündlich einprasselnden News.

Mit Marvin Gayes "Sexual Healing" im Gepäck ist der Anfang schon gemacht. In "Pineapple Skies" bringt er Gayes wohldosierten Charme mit der Laszivität eines Prince in Einklang. Das gut gelaunte "Banana Clip" weckt Sehnsucht nach Palmen und Strand, während Chemtrails den blassblauen Himmel in Stücke zerschneiden: "(Girl) M16 on my lap (on my lap)/ Korean missiles in the sky/ no matter where I go on the map (on the map)/ you got my protection (oh my love)"

Die Gefahr ist dabei der ständige Begleiter Miguels. Er stellt sich als idealer Wingman dar, was ihm doch erst die Ladys ranschafft. Die sehnen sich in Miguels Welt entweder nach einer sicheren Bleibe in Zeiten der Apokalypse oder wollen sich selbst wieder so richtig verboten fühlen wie in "Criminal" der Fall: "I know it’s dicey/ oh, it’s so good it feels criminal, ha/ this shit’s gotta be criminal, ha/ the way I keep killing you/ though I’m dangerous, ha, yeah." Subtiler geht er auch als großer böser "Wolf" nicht vor, der das nächste Opfer in der kopflosen Schafherde bereits ausgespäht hat: "See you can run, but you can’t hide/ scream for more, yeah alright, yeah." Der Ruf des Ladykillers nimmt er hier allzu wörtlich.

Dabei bedient er sich einer metaphernreichen Sprache, das andere Geschlecht von seinem Geschlecht zu überzeugen: "Put that pink starburst on my brain/ running through your candy lane" ("Caramelo Duro") Sollte der Schatz an Euphemismen für Schwanz entgegen aller Erwartungen doch einmal zum Versiegen kommen, wird in der zweiten Muttersprache einfach weiter phantasiert.

Musikalisch gibt sich "War & Leisure" dagegen weit abwechslungsreicher, wenn auch nicht mehr ganz so experimentierfreudig wie seine Vorgänger.
Besonders der psychedelische Einfluss wurde merklich heruntergefahren zugunsten eines zielstrebigen Pop-Sounds, der die Symbiose aus zeitgenössischen R'n'B, Soul und Funk eingeht.

Songs wie das extrem zurückgelehnte "Come Through And Chill", in deren Kiffer-Atmosphäre sich vor allem J. Cole bestens einzurichten weiß, oder das fragile "Harem" zeigen, dass Miguel nach wie vor zu den interessantesten Stimmen der neuen R'n'B-Generation gezählt werden muss. Besonders "Harem" überzeugt aufgrund der Reduktion auf Gitarre und Drums, ehe Synthies und heruntergepitchte Vocals ein halliges Soundbild erschaffen. Unter melancholischen Piano-Klängen taucht der Track schließlich ab und schließt hinter sich die Pforten des Harems.

Songwriterisch on top präsentiert er sich in "City Of Angels", indem er einen Seitensprung mit dem Zerfall seiner Stadt L.A. verquickt: "I was at Townhouse down in Venice Beach, oh no. Stealing Moments with you know who. We won the war but not a day goes by, that I don’t think I shoulda been with you." Eine einsame Fuzz-Gitarre eröffnet den Track, ehe mit den einsetzenden Drums die Stadt der Engel vor dem inneren Auge des Hörers zu Staub verfällt.

Mit "Now" wirft er einen Song ins Feld, der die Dringlichkeit, politisch aktiv zu werden, betont: "And it's time we talk about it/ Let's not waste our common ground/ We will fall for standing and watching, all in silence". Miguel befreit sich aus dem Klamer-Griff der momentanen Geliebten. Die schwer aufs Gemüt drückenden Sorgen - sie sind wie weggeblasen. Höchste Zeit also, Politik wieder mit Sinn und Verstand zu betreiben.

Trackliste

  1. 1. Criminal
  2. 2. Pineapple Skies
  3. 3. Skywalker
  4. 4. Banana Clip
  5. 5. Wolf
  6. 6. Harem
  7. 7. Told You So
  8. 8. City Of Angels
  9. 9. Caramelo Duro
  10. 10. Come Through And Chill
  11. 11. Anointed
  12. 12. Now

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