laut.de-Kritik

Vom Orsons-Feature zur lovely Drama-Queen.

Review von

Mine machte bisher vor allem als Feature-Gast von sich reden. Die charakteristische, alles durchdringende Stimme der Mainzerin prägte sowohl den Refrain der Samy Deluxe-Nummer "Offenes Herz" (auf "Männlich") als auch im letzten Jahr die "Wasserburgen" der Orsons ("What's Goes"), was ihr im Social Media-Leben ordentlich Likes bescherte.

Im echten Leben dürften sich nur Menschen wie ich wundern, die weder etwas von den genannten Kollabos, noch von ihrem Crowdfunding gestützten 2014er Debüt mitbekommen haben, wie lässig und abgebrüht die Sängerin Sprachbilder fern jeglicher Plattitüden in ein stilistisch breit gefächertes Soundkorsett einfügt.

"Anker" beginnt mit dem Sound einer Kirchenorgel, Mines ernste Stimme verstärkt den sakralen Charakter, dann zieht sie uns hinein in einen opulenten Synthie-Orkan, aber hey, uns kann ja überhaupt nichts passieren, denn: "Wir sind unsinkbar, Kapitän." Geil auch, wie nach extremer Tempodrosselung im Mittelteil plötzlich trockenes Studio-Drumming das Ganze nach vorne schiebt. Juchuu! Mehr davon. Und Mine liefert.

"Jetzt gibts Heckmeck" - Hui, Haftbefehl. Hatte sie mit dem auch mal was? Eigentlich nicht, nur mit Fatoni und Edgar Wasser, aber wer würde sich beschweren, einen Song wie "Essig Auf Zucker" eröffnen zu dürfen? Mit beeindruckendem Timing trägt Mine ihren verspulten Text vor, der zwar mehr Rätsel aufwirft, als Fragen beantwortet, was mir grundsätzlich aber lieber ist als der im deutschen Pop typische Kreuzreim-Horror oder die hundertste Story übers Verlassenwerden mit Floskelfaktor 1000.

In den staatstragenden 4 Minuten 40 von "Katzen" stimmt dann einfach alles, die Balance zwischen Reduktion und Bombast, zwischen programmierter Snare und synthetischer Wärme, Mines gedoppelter und gezehntfachter Drama Queen-Gesang, der Refrain mit dem H, dem Y, dem M, dem N und dem E. Das widerliche 80er Gitarrensolo am Ende löst gar den Wunsch in mir aus, die Gniedel-Verbrechen von Boston zu relativieren. "Ich bin Stahl und du bist Blei." Mega-Song.

Wie die deutsche Jenny Wilson wirft Mine alles, was ihr lieb ist, in den Tiegel, in ihrem Fall Folk, Soul, Hip Hop und Electronica, und schmilzt es ein, bis kaum noch Bestandteile erkennbar sind. Man kann ihr wahrscheinlich auch Poetry Slam-mäßig Beats hinwerfen, auf denen sie intuitiv und aus dem Stand heraus traumwandlerisch surft wie unsereins im Internet.

Ab und an erinnert der gedehnte Gesang und die prägnante, hallverstärkte Phrasierung an die Balladen der Heiterkeit ("Pusteblumenfeld"). Gleichzeitig ist sonnenklar, warum Mine auch auf den akademischen Indie-Pop von Everything Everything steht: Verästelte Songwendungen und irre Soundstapelei unter dem Diktat des Pop sind auch genau ihr Ding.

Ein weiteres Album-Highlight ist "Hinterher", wo sie Buena Vista Social Club-Chants mit Elektrobeats verquickt. Manchmal verzichtet sie auch auf Refrains und baut auf Trackmentalität, auf den Sog der Songstruktur, etwa wenn in "Findelkind" der Synthbass so lange regiert, bis es Zeit wird für Drum'n'Bass. Logisch, kam bisher ja noch gar nicht zum Zuge.

"Der Fliehende Robert" fungiert eher als Verschnaufpause vor dem großen Finale. Mine krönt ihr Album mit dem Titeltrack "Das Ziel Ist Im Weg", überlässt Fatoni und Dagobert die zweite Hälfte des Songs, und alle kommen sie zu dem Schluss: Es gibt nicht den einen richtigen Weg, es gibt nur Intuition und Glück, Fantasie und den Glauben an die eigene Kraft. Und wenn das Ziel dann doch mal wieder im Weg ist, muss man dem Schicksal eben auf die Sprünge helfen: "Ist nicht so schlimm, wenn du nicht singen kannst / Filter drauf, Instagram."

Mine geht ihren Weg vorerst ohne fragwürdige Hilfsmittel und kommt auf eine Streckenbilanz, von der sie als ehemalige Studentin der Mannheimer Popakademie wohl nur träumen konnte. In den Bestenlisten deutscher Pop-Produktionen 2016 sollte dieses Album weit oben stehen.

Trackliste

  1. 1. Anker
  2. 2. Essig Auf Zucker
  3. 3. Katzen
  4. 4. Pusteblumenfeld
  5. 5. Rot
  6. 6. Hinterher
  7. 7. Findelkind
  8. 8. Zuvielleicht
  9. 9. Der Fliehende Robert
  10. 10. Das Ziel Ist Im Weg

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2 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    Das Album "Mine" war mir nen Stück zu ruhig. Werde hier aber mal reinhören

  • Vor 8 Jahren

    Alter, ich werde nie verstehen, warum ihr so eine Scheiße so feiert.
    Nach dem ganzen Heckmeck und gehype um das Album habe ich es 3mal (!!!) gehört und dachte:"Hey, vielleicht werden die lächerlichen Kinderkeyboardklimperbeats bald besser und Sportfreunde Stiller Gedächtnis-Gesang und die pseudo-intellektuellen Texte auch."

    Nein. NEIN! Das kann doch nicht euer Ernst sein! Das ist ZweiraumwohnungMiaHelenfischer! In noch schlimmer!!

    Ich hasse das Review und ich hasse das Album. So doll!

    Ich zweifle jetzt an allem und warte auf Karate Andi und The Naked and Famous.

    Guten Start in die Woche.
    Ausser Michael Schuh. Ich hoffe du verkippst heute dein Club Mate in dein Macbook.

    • Vor 8 Jahren

      Time to confess: Kinderkeyboardklimperbeats sind meine Spezialität. Ansonsten netter Rant.

    • Vor 8 Jahren

      Muss sagen diese Kinderkeyboardklimperbeats sind ziemlich dope... Und wenn ich noch mal irgendwo pseudo-intellektuell lese muss ich weinen... Ich fande das Review sehr zutreffend...

    • Vor 8 Jahren

      Ich will nicht zanken. Das ist Geschmackssache. Manche Menschen mögen halt gerne Scheißmusik mit ätzendem Gesang. Die Sportfreunde Stiller haben daraus eine ganze Karriere gemacht.

      Also muss auch Mine Fans haben. Vielleicht könnt ihr ja mal zusammen mit Mia und Zweiraumwohnung eine scheißmusikparty feiern.

      Btw:
      Pseudo-Intellektuell.
      (Weine)

    • Vor 8 Jahren

      Tue ich... Wo bei Mine die gesanglichen Parallelen zu den Sportfreundestillern liegen verstehe ich zwar nicht und im Gegensatz zu Mia liegt ist Mine einfach viel Variabler und vielschichtiger. Ist ja ok wenn du auf andere Musik stehst aber man kann auch sachlich kritisieren... Einigen wir uns einfach dadrauf das Karate Andi dope ist!

    • Vor 5 Jahren

      Parallelen zu Zweiraumwohnung und Sportfreunde Stiller sehe ich hier null! Ich finde das hier geht eher in die Richtung Schmunzelpop, den man mit Stereo Total und Die Heiterkeit vergleichen kann.