laut.de-Kritik
Als sei er keinen Tag gealtert.
Review von Yannik GölzLiest man sich die Produzentenliste für "The Lost Tapes II", mag man glauben, Nas wolle der Rapszene direkt ins Gesicht spucken, dass dieses "Nas hat keinen Beatgeschmack"-Gerücht eigentlich haarsträubender Blödsinn ist. Musikalisch und in Sachen Beatästhetik fressen große Teile der Alben, aus deren Sessions diese Sammlung übrig gebliebener Tracks entstanden sein soll, Staub gegen die Tracks auf "The Lost Tapes II". Mit Instrumentals aus den Federn von Pete Rock, Alchemist, Pharrell Williams, DJ Dali, dem RZA und Kanye West liefert er hier einen seiner kohärentesten und treffsichersten Longplayer in diesem Jahrtausend ab.
Es ist klassischer Nas, an allen Fronten. Er eröffnet mit hungrigem Battlerap und Abrechnungen mit der Szene, mal auf einem wulstigen Knabenchor ("No Bad Energy"), mal auf einem extravaganten Jazz-Piano-Flip ("Jarreau Of Rap") und mal auf simplen, aber verdammt effektiven Soul-Samples ("Lost Freestyle"). Es geht um den Druck, der ihm als Szene-Veteran auf den Schultern liegt, und um die Zweifel an seinem Status, die sein wechselhafter Katalog immer wieder laut werden ließ. Dieser Nas hier ist reflektiert und hungrig. Es geht um Spitten auf höchstem Niveau, technisch versiert und nah an den Straßen New Yorks.
Trotzdem hängt die Mitte kurz durch, wenn Nas sich den typischen Schwächen seiner Diskographie aussetzt und Storyteller textet, deren Notwendigkeit er selbst nicht erklären kann. "Tanasia" mag zwar dank RZA-Produktion klanglich brillieren, aber allein die tragende Zeile im Refrain, "Tanasia, Tanasia / If you're not from Queensbridge, then you must be from Asia", strotzt nur so vor Exotismus und überkandidelt performter Objektivierung von Frauen, die nicht nur verstaubt, sondern hier ungelenk und etwas peinlich anmutet.
Auch die beiden darauf folgenden narrativen Tracks "Royalty" und "Who Are You" beeindrucken nicht gerade mit Dichte oder Feuer. Diese typischen Songs entstehen eher aus dem Impuls heraus, dass Storytelling als eine Insignie des Skills gilt. Man kann vermuten, dass Nas mit dieser Prämisse hier und da besonders tief gräbt, um irgendetwas zu finden, über das er erzählen kann. Doch gerade die inkohärente Geschichte über einen alten Nachbarn auf "Who Are You", der sich mit Bildung und Geld der "weißen Gesellschaft" anschließt, versandet ziellos und ohne klaren Imperativ.
Aber erreicht man den Mittelpunkt von "The Lost Tapes II", schaltet Nas spürbar in einen höheren Gang. Besonders die Barrage der letzten Titel kommt mit so viel Feuerkraft um die Ecke, das man sich zuweilen sogar bei der Frage erwischt, ob diese Nummern eventuell sogar mit dem Nas von Mitte der Neunziger mithalten können.
"Queensbridge Politics" bringt Pete Rock mit Keys so klassisch zurück, wäre dieses Instrumental 1993 erschienen, es wäre heute ein verbriefter Klassiker. Nas' Flow darauf ist so endlos, verschlungen und verwinkelt, das man bei dem gefühlvollen Tribut an Prodigy leicht denken könnte, er habe den Stift nach "Illmatic" nie abgesetzt.
"You Mean The World To Me" nimmt süße, heimelige Synth-Töne aus Kanye Wests MPC und zeigt einen einfühlsamen Nas mit einer tatsächlich interessanten Geschichte über Beziehungsdynamiken, klanglich so Lo-Fi, man spürt förmlich, wie in diversen YouTube-Streams Animemädchen dazu ihre Hausaufgaben erledigen. Dazu gibt es einen weiteren RZA-Track mit "Highly Favored", Bars-Massaker wie auf dem Alchemist-produzierten "It Never Ends" und einen optimistischen Closer mit "Beautiful Life".
Viele Treffer und ein paar durchschnittliche Songs also, und Nas zeigt mit dieser Sammlung an Tracks, dass, was Flow und Wortgewalt betrifft, immer noch kaum jemand an seinem Thron rüttelt. Trotzdem fühlt sich das Release nicht ganz so nachdrucksvoll an, wie zum Beispiel Jay-Zs "4:44" es getan hat. Vielleicht fehlt die Reifung, eine wirkliche Entwicklung als Mensch. So sehr Nas mit "The Lost Tapes II" auch musikalische Zweifel aus der Welt schafft, klingt er charakterlich und in Bezug auf sein Weltbild kaum weiter entwickelt als der zwanzigjährige New Yorker, der damals "Illmatic" in die Welt gesetzt hat. Er gibt sich etwas verbissen, teils konspirativ und ohne Kontext in der aktuellen Szene.
In diese Hinsicht ist es vermutlich Balsam für jeden, der sich um den Status des Handwerks 2019 gesorgt hat. Nas ist noch hier, und wenn er will, kann er noch rappen, als sei er keinen Tag gealtert. Er kann aber auch texten, als sei er keinen Tag gealtert. So bleibt "The Lost Tapes II" die musikalische Zeitkapsel, als die es vermutlich ohnehin intendiert war. Es ist kein neues Kapitel im Buch des Nasir Jones, aber es ist Wortsport auf allerhöchstem Niveau mit einem der hochkarätigsten Produzentenkader der Hip Hop-Geschichte. Wer genau das erwartet, kann hier eigentlich kaum enttäuscht werden.
11 Kommentare mit 4 Antworten
Schon wieder ne Sexismus-Schelle? Die Tracks sind doch teilweise was weiß ich wie alt
das sind keine "omg, ich bin empört, cancelt ihn"-kommentare, das sind "uff, das war gerade unangenehm anzuhören"-kommentare. I dunno, ich sag ja nich bei jedem "bitch" was, aber wenn er wie n keifender alter mann vor ner jungen frau klingt, ist das halt einfach n moment der mich rausnimmt wie jede andere wacke line.
"Trotzdem fühlt sich das Release nicht ganz so nachdrucksvoll an, wie zum Beispiel Jay-Zs "4:44" es getan hat."
Naja, es liegt vielleicht daran, dass es sich bei dem Release um nicht veröffentlichte Tracks handelt, die in den Jahren 2006-2017 entstanden sind. Daher finde ich nicht, dass man die Alben miteinander vergleichen kann. 4:44 war Mist und The Lost Tapes finde ich nur durchschnitt. So richtig warm werde ich mit dem Release nicht.
''Vielleicht fehlt die Reifung, eine wirkliche Entwicklung als Mensch.''
Alle meinten, JAY Z hätte nach 4:44 die Reifeprüfung angeschlossen. Das Einzige was abgeschlossen ist, ist der prallgefüllte Geldbeutel und mit den Jahren, die Zunahme an Präpotenz, Überheblichkeit und Arroganz. Das gilt für Jay Z, seit er, mit der noch überheblicheren Knowles zusammen ist.
Ich liebe Nas, aber auch das ist mal wieder nichts herausragendes, feier aber No Bad Energy und Lost Freestyle übertrieben.
3/5 wäre passender, gerade in Relation zu 21 Savage, Maxo Kream, Rotd3, JID oder auch Rico Nasty.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
"'Tanasia' mag zwar dank RZA-Produktion klanglich brillieren, aber allein die tragende Zeile im Refrain, 'Tanasia, Tanasia / If you're not from Queensbridge, then you must be from Asia', strotzt nur so vor Exotismus und überkandidelt performter Objektivierung von Frauen, die nicht nur verstaubt, sondern hier ungelenk und etwas peinlich anmutet."
Wirkt irgendwie, als hätte man hier die Nadel im Heuhaufen gesucht. Hätte er etwa eine Strophe aus ihrer Perspektive anfügen sollen? Finde ich etwas übereifrig interpretiert, zumal der Rest des Songtextes nicht für Exotismus und Objektivierung spricht:
"But since I'm feelin' what I'm feelin' and she feelin' what she feelin'
I'm willin', she's willin', we buildin'
Every man originated in Asia
One continent, Africa was a part of Asia
Here we are, in this Western Civilization
I believe that we was destined to make it"
Also da sind mir eher die Anti-Vaxxer-Lines auf "Nasir" ein Dorn im Auge.