laut.de-Kritik
Nun ist sie wirklich "Raw Like Sushi".
Review von Sven Kabelitz"The Cherry Thing" startet mit einem einsamen und prägnant groovendem Kontrabass. Ein zukünftiges Sample in seinem Ursprung, in Warteschleife. Es folgt eine intensive Free Jazz-Melange von Hip Hop, Punk und Trip Hop, mit Wurzeln tief im Soul.
Mats Gustafsson (Sax), Ingebrigt Håker Flaten (Bass) und Paal Nilssen-Love (Drums) gründen The Thing im Jahr 2000. Zu diesem Zeitpunkt liegt das letzte Album "Man" von Neneh Cherry bereits vier Jahre zurück. Nach drei erfolgreichen Longplayern hat sie sich aus der Pop-Welt zurückgezogen. Nur noch einmal, im Jahr 2007, meldet sie sich mit CirKus zurück.
Heuer nehmen die drei Jazz-Musiker die Dame galant bei der Hand und führen sie die steilen Stufen in einen verrauchten Jazzkeller hinab. Die Umgebung ist ihr nicht fremd. Der Jazz-Musiker Don Cherry, ihr Stiefvater, brachte sie bereits als Kind des öfteren hierher. Eben jener Don Cherry, von dessen Track sich The Thing einst ihren Namen entliehen.
Der Einstieg in die Niederungen von "The Cherry Thing" verläuft unkompliziert. Der Weg ist breit und warmes Licht drängt noch die Dunkelheit zurück. Das von Neneh Cherry geschriebene "Cashback" findet seine Quelle im Pop-Soul-Hip Hop der frühen 1990er und hätte in einer radiotauglichen Version auch auf einer ihrer frühen Soloplatten seinen Platz gefunden. Doch dann nehmen sich die Musiker immer mehr Raum. "Cashback" verlässt sein sicheres Flussbett und tritt über die Ufer. Mats Gustafssons Saxophon schreit voller Schmerz um Hilfe.
Die Suicide-Nummer "Dream Baby Dream" entledigen die vier Musiker ihres Synth-Pop-Kleidchens und stecken sie in den rauchigen Jazz einer Grand Dame wie Billie Holiday. Hypnotisch steigert sich der Song von einem lieblichen Traum voller Wolkenschafen und grüner Wiesen zu einem bösen Albtraum. Der Wolf im Schafspelz und seine lechzende Fratze. Doch zum Ende hin lullen uns Cherry und Konsorten wieder zärtlich ein. There and Back Again.
Trip Hop-geschwängert zieht sich der Basslauf durch "Too Tough To Die", während Band und Sängerin das Original von Martina Topley Bird von seinen Strukturen befreien. Neneh Cherry lässt ihre Stimme brechen, kippen, vibriren und jodeln. Für sie der wohl stärkste Moment auf "The Cherry Thing". In "Golden Heart" legt sich ihre Stimme geisterhaft und kalt über die Instrumente.
Von "Accordion", im Original von Madlib und MF Doom, bleibt bis auf die Lyrics nur wenig übrig, nicht einmal das namensgebende Akkordeon. Trotzdem sind die Hip Hop-Wurzeln allgegenwärtig. Neneh Cherry kippt zwischen Rap, Jazz und Soul. Um ihre Stimme schwirrt das Saxophon von Mats Gustafsson. Unterhalb lässt Paal Nilssen-Love das Schlagzeug brodeln. Wissentlich fahren sie mit Vollgas in eine Sackgasse, aus der es kein Entrinnen mehr geben wird.
Wie ein Urviech stampfen Neneh Cherry & The Thing durch den Schmutz von "Dirt". Der Klassiker von The Stooges wird gebeugt, bis er zum Ende in sich zusammen bricht. Nach acht Tracks endet "The Cherry Thing" in den letzten Atemzügen von "What Reason Could I Give" mit der einsamen Stimme von Neneh Cherry. Danach setzt Ruhe ein. Die Welt erscheint ein wenig leiser als zuvor.
Ich hatte Angst vor dieser Rezension. Angst vor der Anarchie und Unbarmherzigkeit, die "The Cherry Thing" umgibt. Angst, meine Worte könnten an diesem schmerzhaften Monolith scheitern. Seine Schönheit versteckt er zänkisch vor dem zu schnell vorbeirauschendem Publikum. Doch schlussendlich löst Neneh Cherry mit The Thing nur ein Versprechen ein, das sie vor 23 Jahren gegeben hat. Nun ist sie wirklich "Raw Like Sushi".
31 Kommentare
endlich ist dfie tochter des don mal langsam da, wo sie - vom niveau her betrachtet - längst hingehört.
Wirklich gelungene Melange aus warmen Soul und wilden Free Jazz. Ich hatte die gute Neneh immer etwas poppiger in Erinnerung gehabt, aber das hier ist sowohl gesanglich, als auch instrumental auf absoluten Top-Niveau.
ich muss sagen, die zwei clips, die ich auf youtube finden konnte (danke gema!), waren irgendwie komisch. relativ langsam und unterkühlt ohne richtige höhepunkte. aber ich werde es mir wohl mal in ruhe anhören. der erste eindruck kann täuschen.
@Bodenseenebel (« auf der anderen seite kann ich jeden verstehen, der mit dieser musik nichts anfangen kann. leicht zugänglich ist anders und man muss schon ein faible dafür haben. hat eben nicht jeder. »):
Soso ... @Bodenseenebel (« und neneh ist nur die stieftochter vom don. gene spielen daher bei der musik keine rolle. »):
Aber sie ist mit ihm aufgewachsen. Gene hin oder her, ihre musikalischen Infusionen hat sie von ihm. :smokcool:
"Bodenseenebel": "auf der anderen seite kann ich jeden verstehen, der mit dieser musik nichts anfangen kann."
Soso ...
"Bodenseenebel": "und neneh ist nur die stieftochter vom don. gene spielen daher bei der musik keine rolle. "
Aber sie ist mit ihm aufgewachsen. Gene hin oder her, ihre musikalischen Infusionen hat sie von ihm.
Die Zitierfunktion ist irgendwie komisch geworden. Man zitiert gar nicht mehr ...
Über den besten Song "Sudden Moment" schreibt Genosse Kabelitz gar nichts ...