laut.de-Kritik

Kölns Dylan in New Orleans.

Review von

Er war der Bob Dylan der Südstadt. Bevor Wolfgang Niedecken sich 1980 mit "nem schöne Jrooß" in der nationalen Rockszene zu Wort meldete, traf man den nuschelnden Wuschelkopf in der Regel mit Gitarre und Mundharmonika in den Kneipen des Kölner Severinsviertels an. Der Solokünstler Niedecken war es auch, dem 1979 der eigentliche Plattendeal vom Lokallabel Eigelstein Records angeboten wurde. Aus der Not wurde Tugend, aus "Wolfgang Niedeckens BAP" bald BAP. Beinahe vierzig Jahre später, da die Band abermals unter vorangestelltem Familiennamen agiert, zeigt Niedecken erneuten Willen zum Alleingang.

"Das Familienalbum - Reinrassije Strooßekööter" ist bereits das zweite Soloalbum in fünf Jahren. Monothematisch, wie er stets betont. Diesmal steht die Familie im Vordergrund. In 66 Minuten wühlt sich Niedecken durch Songs seiner Solo- und Bandkarriere, 14 Stücke, die die urkölschen Gene mütterlichseits, aber auch die Vergangenheit der väterlichen Winzerfamilie aus Unkel am Rhein behandeln. Statt jedoch am heimischen Ufer desselben zu flanieren, siedelt der Maestro dann kurzerhand am 8.000 Kilometer entfernt fließenden Mississippi an: Nach den Woodstock-Session für "Zosamme Alt" treibt es Niedecken diesmal ins jazzige Herz von New Orleans.

Begleitet von einem Kernquartett um Leonard Cohen-Bassist Roscoe Beck genießt Niedecken hier eine Freiheit, die Cohen selbst in seinen letzten Jahren zum dritten Frühling verhalf: Fernab jedes Bandleadertums darf der 66-Jährige einfach mal wieder nur Sänger und Gitarrist sein.

Gemeinsam mit zahlreichen vor Ort engagierten Musikern webt Beck ein fein gesäumtes Netz aus Slide-Gitarren, Bläsern, Mundharmonika und Flamenco-Einschüben, das ohne unnütze Überlagerungen auskommt. Der Minimalismus der "Zosamme Alt"-Platte schimmert dabei nicht immer durch – mit den behutsamen Schlagzeugeinsätzen würden Stücke wie "Frankie Un Er" auch auf dem jüngsten BAP-Album nicht überraschen.

Niedecken hat in den vergangenen Jahren schließlich immer wieder gezeigt, dass er gewillt ist, auch mit BAP musikalisch einen Gang zurückzuschalten. Braucht es also zwangsläufig eine weitere Americana-Aufbereitung von Stücken, die teils schon auf Kollaborationsalben mit der WDR Big Band, dem "BAP zieht den Stecker"-Album, diversen Liveplatten und der Unplugged-Version von "Radio Pandora" erschienen sind?

Zumindest heiligt der Zweck die Mittel. Dank der thematisch eingeschränkten Selektionmöglichkeiten versucht Niedecken seinen Anhängern natürlich nicht die zwanzigste Version von "Do Kanns Zaubere", "Kristallnaach" oder "Verdamp Lang Her" (trotz kurzer Anspielung) aufzutischen. Die Auswahl vergleichsweise unbekannterer Stücke und der gänzliche Verzicht auf Hits ist durchaus lobenswert. Vielleicht ist "Reinrassije Strooßekööter" aber auch eben darum in erster Linie ein Werk für (Kölsche) Die-Hard-Fans.

Ist man der kölsche Sprache einmal mächtig, gibt Niedecken schließlich nach wie vor einen erstklassigen Storyteller ab. Das zeigen nicht nur von Lokalkolorit ("Chlodwigplatz") und "Imagine"-Reminiszenzen ("Wie Schön Dat Wöhr") geprägte Stücke, sondern auch seine fragmentarisch-bildhafte Fotoalben-Erzählweise in Nummern wie "Chippendale-Desch".

Ein derartiges Interesse an den privaten Hintergründen des Kölschrock-Oberhaupts muss sich aber erst einmal entwickeln. Doch es ist die allgemeingültige Chronologie einer im Krieg zerpflückten Familie, die viele Urkölner in ihrer eigenen Vergangenheitsbewältigung auf sich beziehen können.

Und selbst wenn nicht: Die Lebensgeschichte von Vorbild Cohen hat Menschen aus aller Herren Länder in seinen Bann gezogen. Aber natürlich ist Niedecken kein Cohen. Kein Lebemann. Nur einer der würdigsten deutschen Geschichtenerzähler überhaupt.

Trackliste

  1. 1. Reinrassije Strooßekööter
  2. 2. Weißte Noch
  3. 3. Chippendale-Desch
  4. 4. Dä Letzte Winter Em Letzte Kreech
  5. 5. Chlodwigplatz
  6. 6. Bahnhofskino
  7. 7. Für 'ne Fründ
  8. 8. Jebootsdaachspogo (Jungs)
  9. 9. Suwiesu
  10. 10. Et Ess Lang Her
  11. 11. Wie Schön Dat Wöhr
  12. 12. Wann Immer Du Nit Wiggerweiß
  13. 13. Frankie Un Er
  14. 14. Et Ess Wie't Ess

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LAUT.DE-PORTRÄT Wolfgang Niedecken

Kölschrock-Urvater, Bap-Frontmann, Solokünstler, erfolgreicher Maler, Autor und engagierter Charity-Schirmherr – Für jemanden wie Wolfgang Niedecken …

6 Kommentare mit 13 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Der Bib Dolan der Südstadt. Oder Vorstadt. Oder sonst statt irgendwas. Sorry Bob! Kennen die sich eigentlich? "Verdamp etc." war ja noch irgendwie lustig. Ach nein, "Waschsalon" hieß das Ding. Oder so. Danach fand ich den immer mehr zum Kotzen. DREI Stunden hat der mich vor Unzeiten in Ravensburg live gequält. Mit EINEM Lied. Nich mal Herzinfarkt kann der richtig. Familie sicher a ned. Wer zur Hölle zieht BAP endlich den Stecker??? Ich warte auf das Duett mit Birne Helene. "Gnocchi on Heaven's Door gnadenlos durch die Nacht" böte sich an.

  • Vor 7 Jahren

    Man fragt sich halt, warum man nach New Orleans muss um seine eigenen ollen Schinken neu anzupinseln. Er kann sichs halt leisten, denke ich. Schade ist, dass das Establishment mit Alben ohne jegliche Vision trotzdem aller Orten immer noch Aufmerksamkeit bekommt. Nix gegen Wolfgang - Aber welcher Laut-Leser interessiert sich für diese Art Musik?

  • Vor 7 Jahren

    Bob Dylan ist ein Künstler, der in der Musikindustrie und dem anhängenden Medienverbund quasi freie Hand hat. Es ist immer mindestens bemerkenswert. Auch findet man regelmäßig Ausreden warum dieses oder jenes Album mal nicht die Qualität erreicht wie Glanztaten in den frühen Jahren. Auch ist es nicht erlaubt auszusprechen, dass Dylan größtenteils saumäßig singt. Auch sind auf nahezu allen alben schlechte-bis-sehr schlechte Songs enthalten. Je nach Güte des Albums mal mehr mal weniger. Aber das darf ja im Rahmen des Rudeljournalismus niemand schreiben. Das geht einfach nicht. Man hat Dylan einfach gut zu finden. Und nun schafft es Niedecken diesen Mechanismus auf den deutschen Markt zu übertragen. Sein soziales Engagement und seine linke Haltung sind da Wasser auf diese Mühlen. Die Frage wird sein, ob er es schaffen kann. Obwohl seine Songs im Schnitt nochmal ne Ecke schlechter und belangloser als die Dylans sind: ja. Warum? Weil die Medien überall gleich funktionieren. Und jeder findet dann das ein oder andere Lied um ins Schwärmen zu geraten. Und das muss doch reichen um das Lebenswerk eines außergewöhnlichen Künstlers zu huldigen.

  • Vor 7 Jahren

    "Was ist deine größte persönliche Errungenschaft?"
    "Das ist, dass ich es tatsächlich schaffe vom Geschichten erzählen zu leben."
    Grossen Respekt, das muss man erst mal schaffen!
    Ich bin kein Fan aber mit Bap grossgeworden. Kristallnaach hab ich irgendwann gehasst weil es ewig im Radio lief.
    Aber wenn ich das Konzert nicht mag gehe ich nach Hause. Wenn ich die Musik nicht mag stelle ich sie ab. Wenn mich die Reviews nicht wirklich interessieren lese ich sie nicht.
    Wie gesagt, als Kuenstler und Menschen verdienen Niedecken und Dylan grossen Respekt. Alles andere ist Geschmacksache.

  • Vor 7 Jahren

    tolle arrangiert von roscoe beck und co.
    sehr schön auch die version des "bahnhofskinos".

    dass in dieser besetzung ausgerechnet niedeckens kölsche version von "first we take manhattan" fehlt, wundert dann aber doch.

    • Vor 7 Jahren

      Und das ist ja nicht mal das Coolste. Chelsea Hotel und Famous Blue Raincoat gibts auch. Kennste?

    • Vor 7 Jahren

      nee, das ist an mir vorbeigegangen. sehr gute wahl. vom feeling her traue ich ihm das ja zu. das cover von "fairytale of new york" besser als im vorhinein erwartet.

      du bist echter bap-checker, eh? ich liebe ja "zweesche salzjebäck un beer" und "pik sibbe" sehr. da haben manche lieder eine dunkelheit in sich, die es auf anderen bapscheiben - soweit ich kenne - eher nicht gibt. so was wie "näher zo mir" oder "om nasse asphalt". und "paar dach fröher" ist sowieso eine der schönsten deutschsprachigen(?) balladen aller zeiten.

    • Vor 7 Jahren

      Na, die Heimat lässt einem keine Wahl. ;-) „Wat schriev mer en su nem Fall“ ist absolut fantastisch. Mit den Alben hast du recht, spielerisch finde ich sie trotzdem in der Post-Major-Ära besser. Deine Pandora-Kritik in den Kommentaren kann ich aber so halb nachvollziehen, hehe. Das Unplugged-Live-Album von 2014 hast aber gehört? Da kommt schon viel Feeling rüber.

    • Vor 7 Jahren

      ich muss bzgl der "unplugged" schon wieder passen. habe die in den letzten jahren etwas aus den ohren verloren.
      meine pandora-kritik? na, da haste ja nen komentar ausgegraben. das war kurz vor meinem einstieg als autor.

    • Vor 7 Jahren

      Den meinte ich :-D

  • Vor 7 Jahren

    ....Zossamme alt....gleiches Schema...man nehme einen neuen Song...und jage ihn mit altem Material einmal durch den "Pseudo Dylan" Americana Quirl...was kommt raus...Koooohle...clever ist er ja der Wolfgang...spätestens als er bei "Sing my Song" aufgetaucht ist konnte man die Identitätskrise förmlich spüren..weder diese Auftritte noch dieses Album braucht irgendjemand auf dieser Welt...Mensch Wolfgang warum kannst du nicht in Würde altern ?? Auch das letzte "BAP" Album...Ein desorientierter Niedecken und ein Musikleher (Gitarre) und Ehemann der bewährten Geigentante versuchen sich an Rock...tolles Experiment...die Abmischung Klang leider mehr nach glattgebügeltem Mainstream...eine Prise Helene konnte man schon erahnen...es gibt die Möglichkeit auch als Rockmusiker in Würde zu altern...wer die Rolling Stones in Hamburg gesehen hat weiß was ich meine..oder Neil Young...jetzt erst wieder neu Van Morrison...es gibt viele Beispiele...und ich hätte es mir so sehr gewünscht, dass der Wolgang das auch hinbekommt...ich bin im die ganzen Jahre gefolgt...als die Band nach der Major Ära erst so richtig gut wurde...Radio Pandora...was ein geniales Album.."Live und in Farbe" eine Band auf ihrem absoluten Höhepunkt....da war er seinem Anspruch und seinen eigenen Helden schon sehr nah..wenn ihm schon nichts mehr einfällt...vielleicht um noch mal die Roots zu spüren ein zweites Dylan Album ??...könnte ein Ansatz sein...weil das kann er und hat es auf "Leopardenfell" im bester Interpretation bewiesen...die Hoffnung stirbt zuletzt....er ist und bleibt einer meiner großen Helden....trotz alle dem...die letzten Alben von Cohen sollten ihm Inspiration sein :-)