laut.de-Kritik

Alles ist perfekt - bis sich erste Zweifel regen.

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"Frischer Wind für die Szene", kündigt Nina Chuba gleich zu Beginn an. Einst als schauspielernder Kinderstar in "Die Pfefferkörner" gestartet, sich dann der älteren ("Letzte Spur Berlin") bis ganz alten Zielgruppe ("Das Traumschiff") empfohlen, um ab 2020 mit zwei EPs die Rolle rückwärts ins jugendliche Musikfach zu vollziehen. Mit ihrer Platin-Single "Wildberry Lillet" stellte sie ihren offenkundigen Star-Appeal unter Beweis, der im übervorsichtigen Radio-Kosmos von 1 Live ebenso funktioniert wie beim abgeklärten Publikum von Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale". Mit "Glas" folgt nun ihr Debüt.

"Schmeiß' weg, was ich nicht mehr brauch'. Highspeed, keiner hält mich auf." "Mangos Mit Chili" mag das Energieniveau von "Alles Neu" verfehlen, doch die Haltung stimmt mit Peter Fox überein. Alle Zeichen stehen auf Neuanfang. "Ausgeschlafen und bestens gelaunt" wandelt sie mit "strahlendem Grinsen", Bass und Bläsern auf Seeeds Spuren. "Wildberry Lillet" klingt nach Strandbar vor der untergehenden Sonne, während sie nach den Sternen greift: "Ich will nach oben, ich will zum Mars." Ihre rundum positive Ausstrahlung muss im tristen Deutschland wohl bereits als Revolution durchgehen.

Nina Chuba schwebt "Solo" zum Dancehall oder lässt sich allein vom Hedonismus getrieben durch den "Freitag" tragen. Selbstbewusst nimmt sie sich in "Tracksuit Velours" all das, was ihrem Seelenfrieden zugute kommt: "Karma ist meine Bitch." Sie verkörpert vorbildlich das Gegenteil des gerade im Rap so beliebten Fatalismus. "Gerad' ist alles perfekt", stellt sie zufrieden in "Femminello" fest. Gestützt von Bläsern stampft sie mit dem "Glück in der Hand" beherzt vorwärts - bis sich erste Zweifel bei ihr regen: "Kann nicht glauben, dass das wahr ist. Ich suche nach dem Haken."

Den gesuchten Pferdefuß macht sie schneller aus, als es der heiteren Hörerschaft lieb sein kann. "Alte Bilder" schwelgt in den besseren Zeit des aus Zielgruppensicht wohl prähistorischen Jahres 2018. Ein Schleier der Melancholie legt sich über ihre Stimme, die vom grauen Asphalt und einer zurückliegenden Beziehung berichtet. Zumindest das Instrumental weicht der Stimmung aus. Zwar mag der Sound nicht vom Barhocker reißen, doch noch immer verweist er dezent Richtung Tanzfläche. In der schwermütigen Ballade "Glas" zieht sie hingegen die Produktion mit sich hinab in emotionale Tiefen.

"Jetzt nur noch im Rückwärtsgang", lautet das Kommando in "Neben Mir". Nina Chuba beweint ihre verstaubte "rosarote Brille" und ihren verlorenen Fokus, während die Streicher gedankenversunken mit ihr durch das knöcheltiefe Meerwasser waten. "Wann hab' ich mich verloren?" Majan stellt in "Mondlicht" gar die Sinnhaftigkeit der eingangs zelebrierten Lebensfreude in Frage: "Kann es vielleicht sein, dass wir tanzen? Oder drehen wir uns doch nur im Kreis?" Es drängt sich die Frage auf, ob der vorgeführte Weltschmerz letztlich nur ein Zugeständnis an den orientierungslosen Zeitgeist ist.

Ihr depressiver Zustand führt zu zwei besonders befremdlichen Songs. "Gestriegelt und faltenlos, gewonnen in der Gen-Lotterie. Und ich hab' das falsche Los, zieh' immer Nieten", heißt es von Neid zerfressen in "Ich Hass Dich". Mit biologistischen Bemerkungen verwandelt sich die sympathische Frohnatur erstmals in eine nervtötende Göre. "Ist mir alles scheißegal!", ruft sie wiederum in "Glatteis" aus, während sie mit 200 km/h über die vereiste Autobahn rast. Stimmlich und musikalisch fängt sie den Rausch treffend ein, aber das semisuizidale Szenario kollidiert massiv mit ihrer Figur.

Womöglich ist es sogar folgerichtig, dass "Glas" mit einem völlig negativen Resümee abschließt. "Hätt' nie gedacht, dass es klappt mit Musik. Sollt' eigentlich glücklicher sein, aber ich weiß, am Ende bleibt es alles gleich", singt sie mit "kiloweise Kummer" in der Stimme vom Rücksitz: "Früher in der U-Bahn, heute im Uber geweint." Ihre lebenslustige Autonomie weicht in "Alles Gleich". Nina Chuba stellt den Widerstand ein und versinkt in der eigenen Trübseligkeit: "Das Mädchen aus der Kleinstadt sucht nach Glück und findet keins." Es ist zum heulen.

Trackliste

  1. 1. Mangos Mit Chili
  2. 2. Wildberry Lillet
  3. 3. Alte Bilder
  4. 4. Mondlicht (mit Majan)
  5. 5. Neben Mir
  6. 6. Fieber
  7. 7. Glatteis
  8. 8. Sakura
  9. 9. Ich Glaub Ich Will Nicht Mehr Gehen (mit Provinz)
  10. 10. Femminello
  11. 11. Solo
  12. 12. Freitag
  13. 13. Tracksuit Velours
  14. 14. Lights Out
  15. 15. Glas
  16. 16. Ich Hass Dich (mit Chapo102)
  17. 17. Tinnitus
  18. 18. Alles Gleich

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