laut.de-Kritik

Tränen und Gefühle, das ist der Cowboy von heute.

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Oliver Tree ist ein Mann der Extreme, der die Grenzen zwischen Komik, Satire, Kunst und Realität derart gekonnt vermischt, dass es nahezu unmöglich ist, den Menschen hinter der Kunstfigur zu entschlüsseln. Gleichzeitig ist er auch unberechenbar. Dass sich sein vielfach angekündigtes Karriereende nach dem Release seines Debütalbums "Ugly Is Beautiful" nur als Köder herausstellte und es folglich zu einem Comeback kam, dürfte zwar nur die wenigsten überrascht haben. Ein Comeback in Form eines Country-Albums mitsamt neuem Cowboy-Gimmick und einer blondierten Mischung aus Bowl-Cut und Vokuhila kam dann allerdings selbst für Oliver Tree-Verhältnisse doch sehr unerwartet.

Mit der Ankündigung von "Cowboy Tears", das diesmal nun wirklich sein letztes Album sein soll, zementierte Oliver einmal mehr seinen Ruf als wandelnde Wundertüte. Der moderne Cowboy von heute war wie aus dem Nichts geboren. Während genau diese Unvorhersehbarkeit und Hingabe stets neue Sympathie und Bewunderung für den Kalifornier weckt, kann man das über seine Musik in diesem Anlauf dagegen kaum sagen. Noch dazu sorgten bereits die beiden Vorabsingles "Cowboys Don't Cry" und "Freaks & Geeks" für erste Zweifel. Ist das Album vielleicht überhaupt nicht so Country, wie Oliver zuvor über Wochen hinweg auf Social Media angeteasert und versprochen hatte? Die kurze Antwort: Natürlich ist es das nicht.

"Cowboy Tears" ist viel weniger Country als eine Fortsetzung seines Debütalbums, nur diesmal mit Akustik- anstatt E-Gitarren und deutlich weniger Produktionsspielereien. Während zudem die damals schon vorhandenen, repetitiven Song-Arrangements und Melodie-Pattern auf "Ugly Is Beautiful" noch durch die Vielfalt auf Seiten der Produktion kompensiert wurden, stellt die akustische Ausrichtung diese Schwäche auf "Cowboy Tears" schonungslos bloß, sodass das Album selbst mit kaum einem Song von einer Laufzeit über drei Minuten deutlich zäher wirkt als Olivers bisheriger Output.

Dabei birgt gerade der Einstieg in die LP noch eine Menge Potential. Mit der eingangs erwähnten Single "Cowboys Don't Cry" sowie den anschließenden Tracks "Swing & A Miss" und "Freaks & Geeks" liefert Oliver eine ganze Serie eingängiger Stücke, die wie so vieles auf der Platte nur zum Teil den versprochenen Country-Charakter beinhalten, aber dennoch Spaß machen. Wenig später folgt mit der Wohlstandskritik "Suitcase Full Of Cash", die sich als Equivalent zum "Ugly Is Beautiful"-Highlightsong "Cash Machine" entpuppt, der beste Song des Albums. Mit leichten Blink 182-Vibes, lebendigen Gitarrenmelodien, soliden Vocals, wahren und niederstreckenden Worten, aber auch der subtilen Portion Humor in Form von vereinzelten Polizeifunk-Durchsagen, zeigt Oliver all das, was ihn zu der besonderen Persönlichkeit macht, die er ist.

Während Olivers authentische, verletzliche und reflektierte Gedanken, die sich hinter der exzentrischen Kunstfigur verstecken, in der Folge auch bis auf wenige Ausnahmen ("Cigarettes") bestehen bleiben, baut "Cowboy Tears" hingegen musikalisch immer weiter ab. "California" erweist sich zwar als nette, tatsächliche Country-Hommage an Olivers geliebten Heimatstaat, gesanglich ist die jedoch an vielen Stellen nur schwer zu ertragen. "Get Well Soon" und "Playing With Fire" wollen mit Trap-Beat und krachenden 808s wiederum um jeden Preis das nächste "Old Town Road" sein und wirken so im Kontext des Albums völlig Fehl am Platz.

Glücklicherweise endet "Cowboy Tears" zumindest nicht auf dieser bitteren Note. Mit dem dreckigen und verzerrten Titeltrack "Cowboy Tears", aber vor allem dem bittersüßen "The Villain", hat sich Oliver zwei der besten Songs der Platte für einen ordentlichen Abschluss aufgehoben.

Dennoch wird "Cowboy Tears", unabhängig davon, ob es weitere musikalische Projekte aus der Feder des umtriebigen Tausendsassas geben wird oder nicht, definitiv nicht als Karrierebestleistung in Erinnerung bleiben. Gerade an den Stellen, an denen Oliver seine Stärke und sein Gespür für eingängige Melodiearbeit ausspielt, ist es aber trotzdem genug, um ein paar Tracks für die eigene Zwischendurch-Playlist zu finden. Auch die oftmals nachvollziehbaren und realitätsnahen Gedanken, die aus den Tiefen des Mannes hinter der Kunstfigur entspringen, bilden weiterhin die größte Stärke in Olivers musikalischem Arsenal. Umso bedauerlicher ist es jedoch, dass seine Songwriting-Fähigkeiten besonders in einem derart reduzierten Gewand schnell an ihre Grenzen stoßen und zu oft in immergleiche, recycelte Muster verfallen.

Trackliste

  1. 1. Cowboys Don't Cry
  2. 2. Swing & A Miss
  3. 3. Freaks & Geeks
  4. 4. Doormat
  5. 5. Suitcase Full Of Cash
  6. 6. Cigarettes
  7. 7. Balloon Boy
  8. 8. Things We Used To Do
  9. 9. California
  10. 10. Get Well Soon
  11. 11. Playing With Fire
  12. 12. The Villain
  13. 13. Cowboy Tears

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