laut.de-Kritik
Elegische Songs spenden Wärme: perfekt für den Herbst.
Review von Johannes Jimeno"A friend in need's a friend indeed." Mit dieser Zeile aus "Pure Morning" eröffnen Placebo ihre zweite Werkschau "A Place For Us To Dream". Die Alternative-Rockband war immer ein guter Freund und stand leidenden und missverstandenen Seelen treu zu Seite. In den 90ern fungierten sie mit ihrer ungezügelten Jugendlichkeit auf dem selbstbetitelten Debüt als Sprachrohr für die Teenage Angst. Molkos eindringliche Stimme gepaart mit leidenschaftlichen Gitarrenriffs berührten die schwelenden Adoleszenten ungemein.
Schon auf ihrem Zweitling "Without You I'm Nothing" kreierten Placebo einen frühen Meilenstein mit filigranen, ruhigeren Songs und kollaborierten sogar mit David Bowie. In der Folge legten sie quasi einen Genre-Eckpfeiler nach dem nächsten hin. Spätestens seit "Meds" gehören sie zur Elite der Rockmusik.
Danach jedoch verabschiedete sich mit Drummer Steve Hewitt leider auch das feinfühlige Schlagzeugspiel. Mit dem wilden Steve Forrest wurde es laut hinter Brian Molko. "Battle For The Sun" und "Loud Like Love" standen zwar immer noch für Melancholie und Verletzlichkeit, nur berührten sie nicht mehr.
Wer auf die Tracklist schaut, sieht schon früh einen ganz fremden Titel: "Jesus' Son". Die Single aus der separat erhältlichen EP "Life's What You Make It" überzeugt mit einem wunderbaren Gitarrensolo und einer sich aufbauenden Dramaturgie. Abermals fällt hier das Schlagzeug, das sich der Band besser anpasst – dank Matt Lunn, der seit 2015 die Knüppel in der Hand hält. Ansonsten wirkt die EP ereignisarm und beinhaltet mit zwei Live-Versionen von "Twenty Years" eigentlich den Song, der auf dieses Album gehört hätte.
Einer der bekanntesten Hits der Band, "Every You Every Me", findet sich auf dem Soundtrack zum Film "Eiskalte Engel". Mit der fiesen Grundstimmung, einem herrlich überlegenen Molko und dem überbordenden Ende schafft die Band eine schauerlich-einnehmende Atmosphäre.
Placebo hatten schon immer ein Händchen dafür, unaussprechliche Gefühle musikalisch darzustellen. "The Bitter End" zündet mit bittersüßer Melancholie inmitten metallischer Wände eine Kerze an: "From the time we intercepted / Feels a lot like suicide / Slow and sad, grown inside us / Arouse and see you're mine / See you at the bitter end."
Den schönen Gedanken, dass Seelenverwandte auch nach dem Tod für uns da sind, verpacken Placebo im intensiven und kraftvollen "Soulmates", dem Zwillingsbruder des berückenden und sensiblen "Sleeping With Ghosts". Somit besteht kein Grund zur Sorge: "Soulmate dry your eye / 'Cause soulmates never die."
Wenn man einen geliebten Menschen dem Abgrund entgegenlaufen sieht und man nichts mehr tun kann, dann ist es Zeit, Lebewohl zu sagen. "Song To Say Goodbye" reißt einem das Herz heraus mit unheilvollen Riffs, simplen Pianoklängen und Molkos schleichender Wut und Empörung, die im wehmutsvollen Refrain ihre Vollendung findet. In eine ähnliche Kerbe schlägt das sublime "Special Needs" voll elegischer Tristesse.
Von den 36 Songs sind lediglich vier davon keine Singles. "Breathe Underwater" in der 'Slow' Variante bekommt zu wenig Luft und ertrinkt im Vergleich zum treibenden Original, wohingegen "Broken Promise" mit den erdigen Vocals von R.E.M.-Frontmann Michael Stipe ein packendes Stück Musik darstellt: Noch am Anfang leise und sinister, reißt einen Molkos wütender Refrain voller Emotion aus der Traumwelt.
Das nur auf der US-Version von "Meds" erschienene "Lazarus" möchte man bitte dem nächsten Regisseur als Abspann-Song beilegen, tragen Violinen und die bissigen Textzeilen einen epochalen Touch. "I Know" vom Erstlingswerk kann man getrost als Blaupause für jeglichen Song der Band nehmen: Kratzbürstiger und auflehnender Refrain stehen einfühlsamen Strophen gegenüber.
Placebo betiteln ihren Rückblick nicht mit einem schnöden "Best Of" oder "Greatest Hits", sondern wählen mit "A Place For Us To Dream" eine nostalgische Metapher mit Selbstbezug. Die Zeile stammt aus "Narcoleptic" vom Album "Black Market Music". Das CD-Case entpuppt sich als eine zusätzliche Überraschung, weil es wie ein Poesiealbum gemacht ist. Im Cover und Buchrücken versteckt sich jeweils eine CD, die Seiten in der Mitte sind gespickt mit allerlei Bandfotos. Bereits die erste Werkschau hat mit "Once More With Feeling" einen schönen Titel vom Trio erhalten.
Diese Rückschau eignet sich perfekt für den Herbst. Eine Ansammlung hoch emotionaler Songs spendet Wärme, wenn es draußen langsam kälter wird, das Laub sich verfärbt und man nachdenklich wird. "Remember me through flash photography and screams / Remember me, special dreams."
4 Kommentare mit einer Antwort
Wo Placebo drauf steht ist Placebo drin. Was sonst.
Seit Gründung Fan und noch nie enttäuscht.
2. November 2016 in Köln.
Da bin ich auch dabei:-)
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
"WYIN" und "Black Market Music" zählen für mich zu Recht zu den Sternstunden alternativer Rockmusik, die sie mit "Sleeping With Ghosts" und "Meds" sogar noch toppen konnten, aber ohne Hewitt kamen Placebo für mich nie wieder in die richtige Spur.
Für eine Best-Of 4Sterne zu geben ist doch irgendwie Panne, oder?