laut.de-Kritik

Stakst durch die Tom Waits-Originale wie eine angeschickerte Bar-Dame.

Review von

La Bakken veröffentlicht ein Album voller Tom Waits-Interpretationen. Den kalifornischen Grantler zu covern, ist eine zweischneidige Sache. Die meisten Künstler scheitern an dieser Aufgabe, wie Springsteen an "Jersey Girl" oder Rod Stewart am "Downtown Train". Die norwegische Jazzdiva versucht sich nun an einer zugegeben hervorragenden Auswahl und setzt sich dabei doch derbe in die Nesseln.

Wer sich Waits nähert, muss sich dessen ultimativer Sinnlichkeit und der rückhaltlosen Liebe zu den Scheiternden, Aussätzigen, kleinen Gaunern und Kaputten bewusst sein, die doch im nimmermüden Kampf mit einer zutiefst ungerechten Welt nie den Mut verlieren und selten ihren Galgenhumor. Waits ist stets Clown, Romantiker und Chronist des Grauens in einem.

Diese kantige Leidenschaft muss man teilen und in die eigene Variation einfließen lassen, möchte man seine Kunst durchdringen. Rebekka Bakken jedoch hat für die Bombe Tom Waits kein eigenes Dynamit in petto. Musterschülerisch gibt sie die Bombenentschärferin und verwässert die Passion seiner Lieder, statt ihm das Wasser zu reichen. Das Ergebnis ist eine makellos polierte, zutiefst leblose Mainstream-Angelegenheit für ein Bürgertumpublikum, das Onkel Tom zwar nicht versteht, aber prinzipiell nichts gegen Cocktails und Krabbensalat im Foyer hat. Die Platte passt genau ins Regal zwischen Gwildis und Cicero.

Die Liste ihres Harmlosigkeitsterrors ist lang und degradierend. "Downtown" schwitzt im Original nur so vor räudigem Sex, schummrigen Kaschemmen und blauer Nacht. Bakken macht daraus eine lahme High Society-Nummer, die man lieber "Uptown" nennen möchte. Eine der intensivsten und schönsten Waits-Balladen - "Broken Bicycles" (von "One From The Heart", 1982) - versteckt das Wahsinnsthema des Pianos samt tieftraurigen Liebesleids unter einem Gesang, der nur sich selbst präsentiert, ohne die unerlässliche Tragik zu transportieren. "Summer is gone, but my love will remain / Like old broken bicycles out in the rain."

So geht das in einer Tour weiter. "Just The Right Bullets" singt der Teufel persönlich ("The Black Rider", 1993). Das diabolische Element der Urversion schwankt stimmlich zwischen lockender Schmeichelei und totaler Verachtung für die Menschen. Bei Bakken gibt es nur eine angeschickert wirkende Barroom-Chanteuse und ein leicht verstelltes Saloonklavier. Zu wenig Spirit für eine echte Alternative. Kein Wunder, dass der Titelsong "Little Drop Of Poison" (aus dem ersten "Shrek"-Film) brav und ideenlos das Waits-Arrangement übernimmt.

Höhepunkt der eitlen Beliebigkeit ist "Yesterday Is Here" ("Frank's Wild Years", 1987). Als komplettes Missverständnis richtet sie den bei Tom von jedweder Sehnsucht desillusionierten Refrain mit pseudoromantischem Vokalgeturne hin. Das Timbre Bakkens hebt sich unpassend träumerisch, doch die Stimmung sinkt. Einzig bei der "Christmas Card From A Hooker In Minneapolis" kommt ein Hauch Flair auf. Doch auch hier schlüpft die saubere Sängerin keine Sekunde glaubhaft in die Rolle der heruntergekommenen und drogensüchtigen Nutte, deren Weihnachtsbotschaft an der Realität ihres verpfuschten Lebens zerschellt.

Bakkens Band ist keine Hilfe. Alles professionell arrangiert und virtuos gespielt, aber ohne den rechten Kick einer spröden Seele. Eher wie ein betuliches Fernsehorchester, dass brillieren möchte, ohne das eigene Publikum zu fordern. Sicher: Es muss nicht immer Bukowski sein. Dennoch: Solange es großartige Waits-Variationen gibt, wie etwa die Überlebensexpertin Marianne Faithfull mit "Strange Weather", sind solche gelackten Produktionen einfach nur überflüssig.

Trackliste

  1. 1. Broken Bicycles
  2. 2. Please Call Me, Baby
  3. 3. Little Drop Of Poison
  4. 4. Downtown
  5. 5. Hang On St. Christopher
  6. 6. Bad As Me
  7. 7. Christmas Card From A Hooker In Minneapolis
  8. 8. Just The Right Bullets
  9. 9. I Can't Wait To Get Off Work
  10. 10. I Wish I Was In New Orleans
  11. 11. Time
  12. 12. San Diego Serenade
  13. 13. Yesterday Is Here
  14. 14. Saving All My Love For You
  15. 15. If I Have To Go
  16. 16. What's He Building?

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24 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    "Bakken macht daraus eine lahme High Society-Nummer, die man lieber "Uptown" nennen möchte."
    Haha sehr gut Herr Anwalt, so eine kantenlose Spießerveranstaltung hat der Tom nicht verdient.

  • Vor 10 Jahren

    Ein typisches Problem im Jazz - diese Unfähigkeit, sich der Essenz des Originals zu nähern oder diese gar zu übertreffen. "Verwässern" trifft's gut.

  • Vor 10 Jahren

    Ich schätze, das mit der Big Band war keine gute Idee in diesem Zusammenhang und bei dieser Titelauswahl ... manchmal ist weniger einfach mehr. Das Schlimme ist ja eigentlich, daß ich Rebekka Bakken durchaus zutraue, einige Perlen aus Tom Waits' Fundus vernünftig zu interpretieren ...
    Gruß
    Skywise

  • Vor 10 Jahren

    "Ich zweifel nicht an, dass das ein großer Künstler ist, aber nur weil einer schräg spielt ist es noch lange keine Kunst."
    Stimmt, das können auch andere. Aber Tom Waits macht das vor allem deshalb, um seinen Liedern eine zusätzliche Ebene einzuräumen. Das, was eine zarte Ballade sein könnte, wird herausgeblafft und wird auf diese Weise mit Spott überzogen. Das, was ein Liebeslied sein könnte, wird lallend vorgetragen und somit unglaubwürdig. Das, was eine Szenenbeschreibung von der Straße ist, wirkt hoffnungsloser, gebrochener, rauher. Insofern ist die Stimme Mittel zum Zweck, nicht die eigentliche Kunst.

    "Nur denke ich man verlangt da von der Sängerin zu viel zwischen Inhalt und Darbietung Verbindungen herzustellen oder gar Sprachbilder neu zu zeichnen und mit inhaltliche Klischees neu zu reflektieren."
    Wer mit Wolfgang Muthspiel einerseits und mit Ludwig Hirsch andererseits zusammengarbeitet hat, verfügt definitiv über so viel Köpfchen und Fingerspitzengefühl, sich mit Texten auseinanderzusetzen und sich über eine Interpretation Gedanken zu machen.

    "Ausdrucksmitteln. Frau Bakken hat es versucht, die Kritik ist auf anderen Portalen trotz berechtigter Einschränkungen überwiegend positiv und so sollte man auch wohlwollen urteilen"
    Hatten wir in Deutschland nicht so etwas Nettes wie Meinungsfreiheit? Warum sollen Rezensenten nicht ihre Meinung schreiben dürfen, selbst wenn sie von der Allgemeinheit nicht geteilt wird?

    "[...] aber man hat zumindest von der anderen Seite her die Hand gereicht und ein Statement abgegeben zum vermeintlichen Gossenkind und Werbung in Sachen Tom Waits gemacht. Gute Werbung wie ich finde. Und dafür müssten wir Schon immer, jetzt wieder oder jetzt erst recht Tom Waits Fans doch eigentlich dankbar sein, oder nicht?"
    Hm. Wenn Du eine Serie von Schwarz/Weiß-Fotografien anfertigst von (halb)nackten Menschen in gestrengen Posen vor alltäglich wirkenden Hintergründen - ist das dann eine gute Werbung in Sachen Helmut Newton, wo Du Dich doch seiner Inhalte und Herangehensweise bedienst?
    Gruß
    Skywise

  • Vor 10 Jahren

    Ich kann nichts dafür, ich hab zwei Ohrwürmer, die mich sogar in den Schlaf verfolgen. Nein eigentlich ist es nur einer. Bestehend aus dem Refrain von "Downtown" mit dem von "Yesterday is here" Wem soll ich jetzt huldigen? Tom Waits als Autor oder Frau Bakken weil sie es mir nahe gebracht hat. Oder soll ich Frau Bakken böse sein, weil sie es (noch) nicht geschafft hat Tom Waits oder dessen Hörerschaft intellektuell herauszufordern, oder das "Spießertum" zur Zügellosigkeit und exzessivem Lebensgenuss zu therapieren der sich vor allem in Alkohol und Drogenkonsum und promiskem Sexualverhalten manifestiert. Es gibt nur Musik. Schablonierte Denkweisen über die unterschiedlichen Kasten der Hörerschaft sind unbedeutend. Es sei denn es wird ein politischer Auftrag verfolgt aber das ist heute weder beim algerischen Rai eines Cheb Khaled, noch bei dem Antiapartheid Township Afro Rock der Nachfahren eines Fels Kuti und schon gar nicht bei den Punk Rockern der britischen Arbeiterklasse der Fall. Das Beispiel aus der Fotografie ist nicht ganz so gut gewählt, da wir in der Kunst der Musikdarbietung weit mehr Inhalte verstauen können, durch die Sprache des musikalischen Ausdrucks, durch Mimik und Körpersprache es Vortrages und letztendlich durch die Texte als solche, die viel mehr Informationen implizieren. In der Fotografie beschränkt man sich vornehmlich auf eine Hommage, man kopiert den Stil von Feininger oder Cartier Bresson. Ahmt Technik und Bildgestaltung nach. Mir fallen keine Sujets ein wo Fotografen gesagt haben ich interpretiere jetzt die Arbeiten von Man Ray oder Leni Riefenstahl komplett neu. Erstens ist das aufgrund der Zeitmotive nicht möglich und zu groß auch das Bestreben in der Fotografie eigenes zu kreieren.

    Hier mal eine ganz interessante Seite wo eins zu eins Gegenüberstellungen mit Cover Versionen zu finden sind. http://www.whosampled.com/Tom-Waits/covere…

    und hier noch was wo diese musikkritisch besprochen werden, wobei ich nicht genau blicke ob Tom Waits der Auto ist oder der Kritiker
    http://www.emptymirrorbooks.com/features/t…

    eine Version von "Yesterday is here"

    https://www.youtube.com/watch?v=9FB3ht7z8W0

  • Vor 10 Jahren

    Das klingt schon sehr nach einem enttäuschten Tom Waits Fan und als ob die Platte, getrennt von den eigenen Erwartung, keine Chance hatte. Ich selbst finde sie auch nicht berauschend, einen Stern empfinde aber als übertrieben hart.

    • Vor 10 Jahren

      die fairnes misst sich ja vor allem am künstlerischen gehalt und ausdruck des originals.
      objektiv hat es "right bullets" auf seinem black rider geschafft, wie jener teufel zu klingen, von dem er handelt. also steht der maßstab im raum: reduziert der nachahmer das bereits gesagte und macht es flacher? oder findet er einen e i g en e n ausdruck, eine e i g e n e handschrift, den inhalt der zeilen zu transportieren? das ist baken null gelungen.
      deshalb ja der hinweis auf faithfull am schluss. auch andere waren super. scralett johanson hätte mir ganz eigenen idee, waits zu bringen auch 4 punkte von mir bekommen.
      nur dieses routiniert-gesichtslose gedudel ist doch.....ne?