laut.de-Kritik

Vergesst "Black Summer": Die funky dad monks zurück in alter Form.

Review von

"Unlimited Love" im Kurzzeitgedächtnis, ein Blick aufs Cover-Artwork und dann dieser Albumtitel: Selbst als Fan fragt man sich 2022 unweigerlich, was genau an dieser Band mal so toll war mit ihren 30 Liedern über Kalifornien und einem 60-jährigen Bassisten, der offenbar die Kleider seiner Kinder aufträgt. Die Antwort darauf lautet prinzipiell immer John Frusciante, so dachte jeder normale Mensch jahrzehntelang, eben bis zur Veröffentlichung von "Unlimited Love".

Interessanterweise hat sich letzte Woche Ex-Gitarrist Josh Klinghoffer zu Wort gemeldet. Von Natur aus ein zurückhaltender Bursche, der niemandem etwas Böses will, untätowiert. Aber so angenehm ist eine Ausbootung nach zehn gemeinsamen Jahren nun auch nicht, als dass man alle unschönen Details verschweigen müsste. Er habe von Anfang an versucht, genau das Gegenteil dessen zu machen, was Frusciante an der Gitarre immer gemacht hatte, in der Hoffnung, starre Muster aufzubrechen. Dies sei im Kompositionsprozess jedoch nicht immer wahnsinnig gut angekommen, resümierte Klinghoffer. Wen wundert's: Er hatte sich die erprobte Erfolgsformel 'Chili Peppers being Chili Peppers' als Endgegner auserkoren, und es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass sich die Rückkehr derselben mit dem Original auf "Unlimited Love" auch nicht als Heilsbringer erwiesen hat.

"We've only just begun / Funky monks are on the run": Anthony Kiedis blendet wie immer alles aus, hebt an zu seinen schon von ihm selbst plagiierten Kiedis-Raps und beschwört einmal mehr die Kraft jenes Kollektivs, das uns "Give It Away" und "Californication" kredenzte. Wenn dann noch Chad Smith die Fills ausrollt wie bei "Can't Stop" - was soll schiefgehen? Und das Schöne ist: Es geht über die gesamte Albumstrecke so weiter. Vergesst "Black Summer", das Quartett hat sich eingespielt und ist endlich wieder "ready for the natty dread, a pocket full of talking heads", wie sie im Frühjahr schon behaupteten.

"Return Of The Dream Canteen" startet mit ansteckenden Parliament-Vibes, eine Band, die auch nur noch funky Dad-Monks zitieren. Später bringen sie noch Hall And Oates im Text unter, wieder uramerikanische Ikonen, und es macht Sinn: Die Lücke zwischen George Clinton und den "Maneater"-Songwritern, zwischen den Polen Funk und Pop, haben die Chili Peppers so erfolgreich besetzt wie keine andere Band.

Was wie gesagt auch zum Problem werden kann. Den etablierten Sound dieser etablierten Gruppe spannend zu halten, aus dieser Sackgasse wollte Klinghoffer mit unorthodoxen Ideen entkommen. Frusciante hat's gut, er muss gar nichts, er ist die DNA dieses Sounds. War "Unlimited Love" aber eher das schablonenhaft wirkende Erinnern an die glorreiche Vergangenheit, ist man jetzt eingespielt und es wird geliefert. Ob gefühlig balladesk ("Peace And Love", "Bella") oder stürmisch ("Reach Out", "Bag Of Grins"): Wie schon auf "Stadium Arcadium" 2006 hat man durchweg das Gefühl: Ja, ich kenne den Song, ich kenne auch die Stimmung, aber der Trip ist neu.

So erinnert "Roulette" im Refrain leicht an "Bastards Of Light", gut abgehangener Adult Alternative Rock, extrem melodiös und beileibe nicht der erste Peppers-Track dieser Art, aber dann setzt der C-Teil ein ("When I drove her to Villanova ..."), der die komplette Nummer auf ein neues Level hievt. Später glänzt Frusciante noch mit einem atemberaubend abgehackten Funk-Solo, für das er mal wieder ferne Galaxien anzapft
und mit für uns Sterbliche fremden Groove-Wesen kommuniziert. Doch es ist immer noch nicht Schluss, Flea übernimmt die Staffel von John, muckt akzentuiert vor sich hin, lehnt den Bass dann aber auch an die Wand, um der Rhythmusmaschine namens Chad Smith die Bühne für einen völlig uneitlen Abgang zu überlassen. Transzendierender Shit. Von Beginn an steht man mittendrin zwischen den Musikern im Proberaum.

Kiedis wirkt auch irgendwie gelöst, macht sich keinen Kopf mehr, reimt Marlon Brando auf San Fernando, und kommt durch mit Refrains wie "La la la la la la la la / La la la la la la la la / La la la la la la la la / La la la la la" oder "My my my my my my my my cigarette". Solche Späßchen muss einem ein musikalisches Fundament selbstverständlich erst mal erlauben. "My Cigarette" ist auch exemplarisch für den soften und minimalistischen Pop-Vibe der Platte, kein Biegen und Brechen mehr, just let it flow. John steuert abgefahrene Synthsounds bei, die dem Song erst den Stempel aufdrücken, bevor Flea ein grandioses Saxofon-Solo abliefert.

"Eddie" kannte man ja schon und schürte bereits die Erwartung auf Großes: "Please don't remember me / It's only 1983", schmachtet Kiedis in der schönsten Fortsetzung von "Other Side", spricht dabei aber nicht vom Gründungsjahr seiner eigenen Band, sondern erinnert an den verstorbenen Eddie Van Halen. "Bella" startet als entspannte Funk-Fingerübung und blüht in einem dieser mehrstimmigen "By The Way"-Refrains auf, mit denen Kiedis und Frusciante vor 20 Jahren die Beach Boys adelten.

Eine große Stärke der Platte ist die Unberechenbarkeit der Tracks: Zwischen all den mehr als soliden Trademark-Tracks schieben die Peppers Songs wie "Handful", angejazzte Dreamscapes, die Kiedis mit verletzlichen Zeilen eines Mannes schmückt, der sein Leben reflektiert und wenig mehr braucht als eine "handful of love when it's time to get older". Noch intimer wird er im erwähnten "La La La La La La La La": "I wanna spend my life with you", schwärmt er seiner Liebsten vor, und findet unübliche Vorschläge für romantischer Abende: "Tell me how it feels for you / to order happy meals for two". An den Strand geht man nicht mehr zum Surfen, sondern zum Plastik auflesen, das aber in gegenseitigem Einvernehmen ("You'll be Chong and I'll be Cheech"), man ist eben keine 20 mehr: "Every day's the same but new / even when it's old, that's cool."

Es folgt der schnell konsumierbare, cheesy Pop-Track "The Drummer" und die ordentliche B-Seite "Bag Of Grins". Gegen Ende bäumen sie sich nochmal auf: "Carry Me Home" verbindet Balladenmelancholie mit brachialen 70er-Rockriffs, "In The Snow" beginnt doch tatsächlich mit der legendären Roland TR-808 und ist trotzdem der düsterste Song der Platte. Aber aber aber, dürfte es jetzt wieder heißen, so geil abgedreht wie in den 80ern sind die Typen halt nicht mehr, stattdessen altersweise. Alle Hater bitte direkt "Fake As Fu@k" anhören bzw. das Uplift-Mofo-Irrsinnsbreak ab 2:30 mit feinstem Blech-Porn sowie Bass-Superturbo von Flea.

"Return Of The Dream Canteen" zeigt ein erstaunliches Songwriting-Level, auf dem sich diese vier Herren nach all den Großtaten nach wie vor bewegen. Es beinhaltet also das, wonach Künstler*innen mit jahrzehntelanger Diskografie so oft vergeblich lechzen: Stilistische Unverwechselbarkeit, der Markenkern des eigenen Erfolgs, mit frischer Inspiration dargeboten. Depeche Mode und The Cure dürfen diese Reihe gerne fortsetzen.

Trackliste

  1. 1. Tippa My Tongue
  2. 2. Peace And Love
  3. 3. Reach Out
  4. 4. Eddie
  5. 5. Fake As Fu@k
  6. 6. Bella
  7. 7. Roulette
  8. 8. My Cigarette
  9. 9. Afterlife
  10. 10. Shoot Me A Smile
  11. 11. Handful
  12. 12. The Drummer
  13. 13. Bag Of Grins
  14. 14. La La La La La La La La
  15. 15. Copperbelly
  16. 16. Carry Me Home
  17. 17. In The Snow
  18. 18. The Shape I'm Takin'

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