laut.de-Kritik
Das verlorene Italo-Disco-Album - trotz "Vamos A La Playa".
Review von Michael Schuh"Vamos A La Playa" - "Oh - ohoo - ohoo." Da weiß gleich jeder Bescheid, rümpft die Nase, schenkt sich nach, feiert, entkleidet sich, oder wippt angesichts der infektiösen Melodie zumindest lässig mit den besockten Sandalen. Vier Worte, ein kinderliedreifer Refrain, simpel bis zur Schmerzgrenze, damit katapultiert sich das unbekannte Duo Righeira 1983 in den internationalen Pop-Orbit, droppt mal eben "la bomba espagnol".
Eine Ode auf den Sehnsuchtsort Strand, die überall sofort mitgesungen wurde, in völliger Unkenntnis des eigentlichen Textinhalts. In Wahrheit singen Righeira nämlich von "la bomba estalló" und schmuggeln dem vor Lebensfreude strotzenden Beach-Sommerhit eine Geschichte über einen Nuklearschlag unter. "Die Bombe explodierte, die Strahlung färbt alles blau", heißt es da nicht ohne metaphorischen Charme, wenn man mal annimmt, dass eine Vielzahl der nicht spanisch-stämmigen Party-Rezipienten die Nummer erstmals im Sommerurlaub verstrahlt am Tresen hörte.
Dabei sind die Macher hinter dem "Macarena" der 80er Jahre, Stefano Rota und Stefano Righi, gar keine gewitzten Spanier, sondern Italiener - das Phänomen Italo-Disco nimmt dank ihnen mächtig Fahrt auf. Überrumpelt und begeistert von ihrem Volltreffer reüssieren sie anschließend gleich noch mal in der Fremdsprache mit "No Tengo Dinero". Schon 1983 stand damit fest: Mailand oder Madrid - Hauptsache Italien!
Dass Righeira bis heute wahlweise als Two- oder One-Hit-Wonder klassifiziert werden, verwundert nicht, da sie für die breite Öffentlichkeit nie ein Album aufgenommen haben. Zumindest listet Spotify ausnahmslos Best Ofs und Compilations, von denen man sich die Albumtracks von "Righeira" nur mühsam selbst zusammen picken muss ("Disco Volante" ist gar nicht verfügbar). Auch Nicht-Streamer schauen in die Röhre - auf CD und LP ist das Album längst out of print. Es ist die irrwitzige Krönung der an Irrwitz nicht armen Righeira-Story, dass vorliegendes Debüt nun eine Art "lost album" darstellt, ein geniales Produkt seiner Zeit, für die Nachwelt eingeschmolzen auf zwei Hits.
Ein gemeinsames Interesse für Kunst und Grafikdesign, Kraftwerk und DAF, bringt die beiden Turiner Rota und Righi drei Jahre vorher zusammen. Vor allem der Düsseldorfer Einfluss ist dem düsteren 1981er Demo von "Vamos A La Playa" deutlich anzuhören. Wie viele andere Synthie-Pop-Bands der frühen 80er setzen Righeira die DIY-Ästhetik des Punk auf günstigen Analog-Synthesizern um. Mit "No Future" wollen sie allerdings nichts zu tun haben - im Gegenteil: Sie sehen sich als postmoderne Futuristen (im "Vamos A La Playa"-Video sieht man sie in mikrofonierte Armbanduhren singen) und nennen sich Johnson und Michael Righeira. Die Produzenten Carmelo und Michelangelo La Bionda ("I Wanna Be Your Lover") hören von den zwei Freaks und erkennen das Potenzial.
In ihrem Mailänder Studio wird sechs Monate an der Nuklear-Dystopie herumgedoktert. Es ist davon auszugehen, dass die chartserprobten La Biondas ihren anarchischen Zöglingen das poppige Sound-Update von "Vamos A La Playa" mit dem Gedanken schmackhaft machten, Apokalypse und Dancefloor zu assimilieren. Gerade textlich unterscheiden sich die beiden Hits deutlich vom bisher bekannten Synthie-Funk, der der amerikanischen Hi-NRG eines Bobby Orlando nachempfunden ist: Statt über zarte Romanzen oder tiefergehende erotische Fantasien ("Passion", The Flirts) singen Righeria über Nuklearunfälle und akuten Geldmangel ("No Tengo Dinero"). Oder eben über Jazz Musik".
Gleich zwei Songs in deutscher Sprache befinden sich auf "Righeira". Integrieren sie auf "Tanzen mit Righeira" noch ihren bekannten Style lautmalender Gesangspartikel ("He oh aaah ha"), ist "Jazz Musik" ein anderes Kaliber. Schon weil der Song komplett auf deutsch getextet ist. Urheber: Hermann Weindorf. Die guten Kontakte der Brüder La Bionda in die Disco-Town München machen sie auf die Weryton Studios in Unterföhring aufmerksam, wo "Righeira" im Spätsommer 1983 den Feinschliff erhält. Studio-Besitzer: Berthold Weindorf. Bruder Herrmann ist eigentlich Arrangeur, hinterlässt mit seiner Dada-Komposition "Jazz Musik" bei den Italienern aber offenbar Eindruck. Zeilen wie "Wir wollen lieber schwitzen / durch den Quintenzirkel flitzen / mit Jazz Musik" belegen eindrücklich die bizarre Seite der Italo-Disco.
Pet Shop Boys-Sänger Neil Tennant formuliert es 1985 so: "Italienische Discomusik zählt zu den großen unerforschten Gebieten. Es ist brillant, weil es wie Punk ist. Es ist voller dummer und verrückter Ideen und es hat diese wunderschönen traurigen Melodien, unterlegt mit einem Discobeat." In erster Linie assoziiert man Italo-Disco zudem mit schiefem Englisch und 4/4-Beats aus dem TR-808, bei Righeira dominieren dagegen die Sounds des seinerzeit brandneuen Sampling-Synthesizers Fairlight CMI, dazu gesellen sich Songs in vier Sprachen. Nah an Tennants Beschreibung kommt dagegen das wunderschön traurige "Kon Tiki", der überlebensgroße Album-Closer, der obendrein wie eine Blaupause für spätere PSB-Balladen klingt. "Gli Parlerò Di Te" zieht seine Faszination aus der Verbindung von italienischer Folklore mit Disco-Schmalz - ein weiterer Höhepunkt. Und natürlich die Upbeat-Hymne "Disco Volante" - eines jeden 80s-Film-Soundtracks würdig, in deren Credits immer Harold Faltermeyer genannt wird.
Das Phänomen Italo-Disco, 2021 in der Arte-Dokumentation von Alessandro Melazzini mit Diskokugelglanz beleuchtet, verglühte schnell, und wurde ab den späten 1990er Jahren analog zur Huldigung der Pioniertaten von Giorgio Moroder wieder en vogue. Righeira profitieren davon nicht mehr in größerem Ausmaß. Schon 1983 holpert es: Kurz nach dem Durchbruch werden die jungen Popstars zum Militärdienst eingezogen und müssen um Ausgangsgenehmigungen betteln, etwa wenn Thomas Gottschalk anruft.
2007 veröffentlichen sie nach 15 Jahren noch einmal ein Album, um sich danach wieder zu trennen. So bleiben sie - abseits von "Vamos A La Playa" - ein schräges Insider-Thema für Pop-Nerds, ähnlich wie die amerikanischen Sparks. Es wäre dem Duo zu wünschen, zu Lebzeiten noch ein Re-Release ihres Debüts zu erleben. Carmelo La Bionda ist im November 2022 gestorben.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Wie geil ist denn "Tanzen mit Righeira" bitte? Ansonsten nur noch Leidenschaft für das Album übrig, trotz "Vamos A La Playa".
… So bleiben sie - abseits von "Vamos A La Playa" - ein schräges Insider-Thema für Pop-Nerds…..
Für einen Meilenstein auf Laut reicht es aber. Wie wäre es denn mit einer Einführung einer neuen Kategorie namens „zu Recht vergessen?!“
Da hätte es gut reingepasst.
… Es wäre dem Duo zu wünschen, zu Lebzeiten noch ein Re-Release ihres Debüts zu erleben. Carmelo La Bionda ist im November 2022 gestorben.…
Ja gut, dann wird’s eng
RIP!
Aber „zu Recht vergessen“ ist echt zu hart, mois!
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Mit „Disco Volante - 1981 Original Demo Version“ kann man unter Sp**ify seine Playlist dem Album annähern. Besser als nichts.
diese Leichtigkeit eines Synthi Beats, dazu diese eingängige Melodie. Schon nett. Aber die gleiche Wertung wie Dark Side of the Moon?
Sind eben andere Genres…
Da sind solche Wertungen schwierig zu vergleichen.
Alle „Meilensteile“ bekommen glaub' ich auch diese Bewertung, ist eher sowas wie „läuft außer Konkurrenz“, was ja für DSotM auch gilt, ein Album oder „Meilenstein“ außer Konkurrenz.