laut.de-Kritik
Ecken, Kanten und Querschläger.
Review von Jan EhrhardtDie Hauptstadt elektronischer Musik? Schwierig. Berlin, möglicherweise. Oder Chicago? Auch denkbar. Detroit? Kann sein. Aber München? Eher nicht.
Gut, Detroit und Berlin stehen für Techno. (Ja, Techno entstand Anfang der 70er in Düsseldorf, Kraftwerk sei Dank. Auf heute bezogen gilt trotzdem eher Berlin als der europäische Hotspot.) Chicago steht für House. München bestenfalls für Isar-Romantik, Oktoberfest-Blasmusik und Schickimicki-Clubs, die ihre besten Tage bereits hinter sich haben. Möchte man meinen.
Aber es gibt sie doch, die fähigen Künstler, DJs und Produzenten, die die Fahne digitaler Musik in der bayerischen Landeshauptstadt in die Höhe halten. Viele sind es nicht, doch sie sind da. Schlachthofbronx gehören eindeutig dazu. Mit ihrem vierten Studioalbum "Haul & Pull Up" präsentieren Bene und Jakob, wie die zwei produktiven Köpfe hinter der grotesk anmutenden Kollektiv-Bezeichnung heißen, eine reife und abwechslungsreiche LP, die durchweg überzeugt.
Lediglich der Opener "Electone" wirkt mit seinem zurückhaltenden Grundton und stark fokussierter Melodie etwas deplatziert. Er hätte sich als Closer eindeutig besser gemacht. Spätestens aber mit dem düster verzerrten "Goodbye" ist der Weg für "Haul & Pull Up" geebnet. Das anschließende "Pump Drop Wine" wirbt mit Soca-Rhythmen für sich, "Copper And Lead" mit einem Grime-Drum'n'Bass-Gemisch. Der britische MC Riko Dan steuert zusätzlich die passenden Lyrics bei.
"Double Dub" und "Blurred Vision" dominieren derart starke Bassläufe, dass ein Live-Erlebnis dieser beiden Stücke mehr Muskeln als jede Thai-Massage auflockern dürfte. Das Happy End gibt es in Form von "Man Down" und "U Mad" direkt dazu. Zweiteres avanciert mit seinem langen Spannungsbogen und kraftvollem Drop zum Highlight des Albums.
Electro, Heavy Bass, Dancehall, Hip Hop, Techno: Die Liste an Genres, die Schlachthofbronx in ihren Produktionen vermischen, ist lang. Dabei entsteht ein erfrischender Klang, der sich irgendwo zwischen treibenden Club-Beats und sphärischen Stil-Hybriden einpendelt.
"Haul & Pull Up" enttäuscht fast nirgends, im Gegenteil: An nahezu jeder Ecke hält die LP Neues bereit. Ecken, Kanten, Querschläger, die erst bei mehrmaligen Durchläufen so richtig hervorstechen. Im positiven Sinne.
Ist nun aber deshalb München ab sofort die Hauptstadt elektronischer Musik? Wahrscheinlich noch immer nicht. Aber man kann es dennoch mit Warrior Queen aus "Killer" halten: "Munich? It ah mi rrras-clat place!" Das reicht doch völlig.
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