laut.de-Kritik
Zurückhaltung, Demut, Bescheidenheit? Nix für Seeed!
Review von Alexander CordasEigentlich kann man bei Seeed-Alben davon sprechen, dass die Studio-Aufnahmen lediglich als Steilvorlagen für die fantastischen Live-Auftritte dienen. So richtig ab geht die Post nämlich erst, wenn der Elfer auf der Bühne steht. Dort nimmt er sich der Aufnahmen in sehr spielerischer Art und Weise an, verfremdet diese, arrangiert sie um und formt so eine ganz neue Seeedlichkeit.
Logische Folge, dass jetzt endlich die Live-Performance auch auf CD und DVD zu haben ist. Perfektionistisch wie die Berliner nun einmal veranlagt sind, musste das dann ein absolut stimmiges Teil sein. Einfach einen Auftritt auf Silberling zu bannen, war ihnen anscheinend zu schnöde. Der Fan musste sich deshalb in Geduld üben, ehe er die schlicht "Live" betitelte DVD, bzw. CD in Händen halten darf.
Die Schlichtheit beschränkt sich jedoch nur auf den Titel. Zurückhaltung, Demut, Bescheidenheit, all diese Eigenschaften werden im Allgemeinen als Tugenden anerkannt. Nicht so bei den Berlinern von Seeed. Schließlich ist für das Reggae-Kollektiv ein großspuriges Auftreten mit dicker Hose quasi das sprichwörtliche Salz in der Suppe. Gut so, denn die Qualitäten der elf Mann starken Combo müssen ja auch lautstark in die Welt hinaus posaunt werden.
Den Vogel in Punkto Selbstinszenierung schießen die Berliner schon zu Beginn des Konzertfilmes ab. Ein Intro leitet das Kommende ein. Ein roter Samtvorhang versperrt zunächst noch den Blick auf die Bühne, steigert somit die Spannung der Zuschauer noch weiter, ehe der Stoff mit dem ersten Tönen von "Ding" in die Höhe gezogen wird. Dass ebendieses Stück dann doch nicht als Opener des Gigs ertönt, liegt an oben genannter Spielfreude mit den Originalvorgaben der Alben.
Vor einer Wahnwitz-Kulisse von gefühlten 100.000 Zuschauern bringen sie das Konzertgelände von 'Das Fest' in Karlsruhe samt dazugehörigem Hügel förmlich zum Explodieren. Eine einzige Wand aus schwitzenden und tobenden Leibern brodelt vor der Bühne; das Kultfestival in Deutschlands Süden ist der ideale Auftrittsort für eine Combo vom Schlage Seeeds.
Das Hauptkapitel der DVD lautet "Live And Backstage". Der Zuschauer bekommt daher auch keinen kompletten Gig der Berliner am Stück serviert. Ob das jetzt glücklich gewählt ist, liegt beim Betrachter selbst. Den Rezensenten stört's in keinster Weise, da der Film durch die eingespielten Interview- und Dokumentations-Szenen eine Auflockerung erfährt. Eventuell hätte man aber eine Wahlmöglichkeit anbieten sollen, um beide Parteien zufrieden zu stellen.
"Wir sehen uns als rollende Disco, als mobilen Club. Wir reiten in deine Stadt, wir spielen zum Tanz auf und wenn wir spielen, muss einfach eineinhalb Stunden lang die Kuh fliegen" - so bringt Pierre Baigorry aka Enuff aka Pete Fox im Interview die Seeed-Philosophie kurz auf den Punkt. Das Selbstbild der Band ist mit der genannten Großspurigkeit und der überdicken Hose jedoch nur unzureichend beschrieben. Die Ironie hinter diesem Auftreten offenbart sich nicht zuletzt auch auf der DVD, wenn Frank Dellé aka Eased davon schwadroniert, dass die Band nicht komplett wäre, wenn auch nur einer der elf fehlt. Passend dazu bekommt man einen Live-Ausschnitt der Music Monks-Tour zu sehen, in dem sich der Sänger ganz ungalant auf den Arsch legt, kurzerhand von der riesigen Open Air-Bühne fällt und im Anschluss Probleme hat, wieder hoch zu klettern.
Die Auswahl der Songs ist ganz sicher Gegenstand heftiger Diskussionen. Mir persönlich fehlt ein "Papa Noah", wohingegen das schluffige "Slow Life" jetzt sogar in den Rang einer Single gehoben wurden. Dass "Fire The Hidden" in der Publikumsgunst regelmäßig durchfällt, ist auch eher schade. Aber selbst wenn einem die Songs selbst nicht so zusagen, die Darbietung derselben ist über alle Zweifel erhaben.
Die Bonus-Sektion zeichnet die Seeed-Geschichte mittels der Making Ofs der bislang veröffentlichten Videos nach. Hier ist ebenso Kurzweil garantiert wie bei den Clips selbst. Wer noch nicht in den Genuss einer internationalen Version der Seeed-Songs gekommen ist, darf sich hier überzeugen, dass die Tracks selbst ohne deutsches Idiom hervorragend funktioniert. Moment. Stopp! Was war das denn jetzt? Seit Erscheinen von "New Dubby Conquerors" wunderte man sich darüber, dass Reggae und Dancehall auch auf deutsch funktionieren ... Seeed haben eben die Hörgewohnheiten verändert. Schön das. Mindestens genauso schön wie "Live".
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