laut.de-Kritik
Operation gelungen, Patient tanzt.
Review von Sven KabelitzAb nach draußen mit euch! Raus mit den Sonnenschirmen, den Sandförmchen und den Piña Coladas. "If you like making love at midnight / In the dunes on the cape." Der Sommer beginnt 2017 bereits am 10. Februar. Ganz egal, wie düster uns unsere Umwelt auch zeitweise erscheinen mag, Sinkane läutet ihn mit "Life & Livin' It" unwiderruflich ein.
Wie beim Vorgänger "Mean Love" sollte man sich beim Hören des Longplayers einen besonders hohen Lichtschutzfaktor gönnen. Aus sämtlichen Melodiebögen brutzelt die Sonne, als gebe es kein Morgen. Sänger und Multiinstrumentalist Ahmed Gallab erhöht den Afrobeat-Anteil in seinen Songs noch einmal deutlich und vereint ihn mit Soul, Funk, Reggae, Disco und Indie Rock-Einflüssen.
Experimentierte er auf seinem Debüt "Color Voice" noch mit Krautrock und Free Jazz, spielt er nun auf der Klaviatur der Lebensfreude. Seine Texte kommen ohne politische Aussage aus. Der von seiner Falsettstimme durchzogene, hoffnungsvolle Global-Pop zeigt jedoch in jeder Minute, dass Grenzen nur Narben auf dem Gesicht der Erde darstellen.
Waren die Vorgänger immer eine Ein-Mann-Show des sudanesisch/amerikanischen Sängers, steht der Name Sinkane auf "Life & Livin' It" erstmals wirklich für eine Band. Der Longplayer trägt die Energie der durch zwanzig Länder gezogenen "Mean Love"-Tour in sich: in 166 Shows zusammengewachsene Harmonie.
"Won't you play my favorite song?", fragt Gallab in Dauerschleife im erfrischenden "Favorite Song", und man kann sich gar nicht entscheiden, welches der neun Stücke des Albums er nun meint. Die vor Energie strotzende Disco-Kugel "Telephone" mit ihren glitzernden Synthesizern, dem funkenden Bass und Antibalas an den Tröten? Den psychedelischen Blaxploitation-Reagge "The Way"? Den Curtis Mayfield-Soul "Fire"?
Oder doch das von Ethiojazz, Funkgitarren und einem zarten Saxofon umschlungene "U'Huh"? Das "Heile, heile Gänschen" des Jahres 2017. "Everything is fine / We're all gonna be alright." Egal, wie schlimm es auch aussehen mag, am Ende wird alles wieder gut. Ein Ohrwurm, der in der "Kulu shi tamaam"-Refrainzeile gipfelt. "'Kulu shi tamaam' ist Arabisch und bedeutet: 'Alles ist wunderbar!' Ein alltäglicher Begriff, den alle dauernd benutzen. Der Ausdruck war lange Zeit Teil meines Lebens, und ich wollte ihn mit allen teilen", erklärt Ahmed Gallab. Heile, heile Mausespeck, in hundert Jahren ist alles weg.
"Life & Livin' It" dient als Trostreim für all die Schmerzen und Nackenschläge, die wir erleiden. Egal, wie düster und miesepetrig du auch schaust, dieser Longplayer bringt dich zum Lächeln. "Dieses sorgenfreie, leichte und freudige Gefühl, das ich beim Schreiben hatte, sollte auch jeder haben, wenn er die Platte hört", beschreibt Gallab die Arbeit am Album. Operation gelungen, Patient tanzt.
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