laut.de-Kritik

Tanz die Scheiße raus, mate!

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Stell dir vor, Großbritannien geht unter und zwei englische Dudes beherrschen die Welt. Ein bisschen übertrieben? Provozierend und laut? Ja, bitte, denn das ist das Programm der Sleaford Mods-Performance. Sie sind die Stimme ihrer Generation, aber auch der Nachwuchs profitiert von der rotzigen Poesie.

Inflation, Pandemie, Brexshit, ein totales Irrenhaus aka Parlament. Und dann stirbt auch noch die Queen, die Scheiße überflutet die Insel. England ist am Arsch, das Shithole wächst, und Sleaford Mods sind nicht mehr aufzuhalten. Mit ihrem zwölften Album "UK Grim" setzen sie wütend wieder einen drauf. Für Jasons Songtexte gibt es massenhaft Stoff, und auch Andrew perfektioniert immer wieder seinen Motz-Sound.

Wenn die Politiker schon nicht zuhören und auf die Menschen eingehen, dann wenigstens das Duo aus Nottingham, das weiß, was Arbeiter und Arbeiterinnen bewegt. Die Texte schmettert Jason geradezu raus, da geht man erst mal lieber in Deckung. Unschlagbar die musikalische Begleitung, die Andrew an den Reglern zaubert.

Die minimalen Beats, die eingängige Melodie und vor allem die Gäste entfachen eine erneute Mods-Euphorie. Waren es auf der letzten Platte "Spare Ribs", Billy Nomates oder Amy Taylor die begeisterten, wartet "UK Grim" erneut mit gesanglichen Überraschungen auf.

Erstes Highlight: "Force 10 From Navarone" mit Florence Shaw von Dry Cleaning. Abgesehen davon, dass diese Post-Punkband 2022 auf dem Primavera Festival in Porto für viele eine echte Neuentdeckung war, harmoniert ihre Stimme perfekt mit Jasons verbaler Poesie. Düster, melancholisch und immer wieder harmonisch besessen.

Perry Farrell von Jane's Addiction ist zu Gast bei "So Trendy" und tritt mit Jason in eine Art Vocal-Battle. Hier sei auch das hervorragende Video erwähnt von John Minton, der auch schon für Portishead gearbeitet hat. Er setzt auf eine Retro-Future-Game-Perspektive und visualisiert damit die Message des Songs: Das ständige Glotzen auf das Smartphone. Das Leben in der modernen Welt zwischen Passwörtern und Gesichtserkennung. Man kann den Song aber auch mit individuellen Bewegungen versehen. Jason zeigt das in den sozialen Medien mit einem geposteten Homevideo. Wie immer sehr unterhaltsam, auch wenn seine Hunde zufällig ins Bild laufen. "So Trendy" ist also nicht nur akustisch, sondern auch virtuell ein dauerhaftes Vergnügen.

Die erste Singleauskopplung "UK Grim" eröffnet das wütende Mods-Paket. Der Song haut gleich alles raus: "This is UK GRIM, put it in the fuckin' bin." Da ist sie wieder die dynamische Parole, die immer funktioniert. Energie von zwei Duracell-Hasen, die scheinbar niemals aus der Puste kommen.

Bei "Tilldipper" rastet der Beat förmlich aus und man fühlt sich zurückversetzt in die 1990er. Andrew goes Techno, wa? So als wäre man auf der Loveparade dabei gewesen. Etwas ruhiger, aber nicht weniger dynamisch schreitet "Right Wing Beast" durch die Sounddecke: "You're all getting mugged by the aristocracy. But what's gone on, what can I see? You're all getting mugged by the right wing beast, yeah."

Manche saßen apathisch während des Lockdowns in ihren Zimmern herum, andere waren komplett gestresst und überfordert. Wieder andere nutzten die Zeit und entwickelten neue kreative Kräfte. So auch Sleaford Mods, die 2021, mitten in der Zeit des Wahnsinns, neue Songs aufnahmen. Gespaltene Gesellschaften, rechter Druck und die Reichen werden immer reicher. Die Welt ist kaputt, aber wir nutzen die Ängste, das Unvorhersehbare, die Krankheit als Weg zu neuen musikalischen Exzessen. Zwischen Punk, Elektronik und Hip Hop-Elementen drücken die Mods noch mal mehr Stimme und Beats in die Wunde und treten ordentlich nach. Selbstreflexion, über den eigenen Tellerrand schauen, anpacken und die komplette Scheiße, die da gerade überall passiert, in großartige Songs verpacken.

Die verbalen Schläge in den sozialen Medien nehmen zu, umso wütender muss ein Motz darauf antworten. Jason legt sich mit einigen Menschen im Netz an, darunter auch Mitglieder diverser Punkbands. Nur weil er jetzt ein wenig Geld verdient, lässt er sich noch lange nicht als Arschloch beschimpfen. In "D.I.Why" heißt es: "Not another white bloke aggro band, oh yeah we're all the fucking same, let's not kid's ourselves".

Es gibt nicht nur Überraschungsgäste auf "UK Grim", sondern auch immer kleine Extras in den einzelnen Stücken, wie zum Beispiel die Klaviermelodie in "Apart From You". Das muss man einfach lieben. Bis zum letzten Song "Rhythms Of Class" genießt man die unterschiedlichen Produktionen und denkt sich automatisch eine passende Choreografie aus. Getanzt wird demnächst auch wieder in vielen Städten auf der Welt. Vor und auf der Bühne.

Den Obermotzi Mark E. Smith von The Fall haben wir leider verloren, aber mit Sleaford Mods eine Band gewonnen, die ebenso kritisch hinter die britische Kulisse blickt. Mit viel Wut im Bauch, aber auch jeder Menge Humor und Leidenschaft. Es gibt mehr als die kunterbunte Welt der Brit Awards. Während die Gallagher-Brüder sich immer noch die Hölle heiß machen, brillieren Jason und Andrew konstant mit Intellekt, Engagement und rotzender Attitüde. Bitte weitermachen. Tanz die Scheiße raus, mate!

Trackliste

  1. 1. UK Grim
  2. 2. D.I.Why
  3. 3. Force 10 From Navarone
  4. 4. Tilldipper
  5. 5. On The Ground
  6. 6. Right Wing Beast
  7. 7. Smash Each Other Up
  8. 8. Don
  9. 9. So Trendy
  10. 10. I Claudius
  11. 11. Pit 2 Pit
  12. 12. Apart From You
  13. 13. Tory Kong
  14. 14. Rhythms Of Class

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