laut.de-Kritik
O du Traurige...
Review von Manuel BergerIch gebe zu, die erste Reaktion auf Tarjas "From Spirits And Ghosts" war ein vehementes Sträuben dagegen. Weihnachtsalben sind an sich schon schlimm genug, aber dann auch noch Gothic-Versionen draus machen? Puh... Der erste Vorgeschmack "O Come, O Come Emmanuel" zwei Monate vor den Festivitäten fühlte sich an wie Lebkuchen zu Halloween. Das passt einfach nicht. Räumt man "From Spirits And Ghosts" jedoch die Zeit ein, die es verdient und vor allem: hört man die Platte am Stück, um sich auf die Atmosphäre einzulassen, sieht es mit der Reaktion ganz anders aus.
"Amazing Grace" als Boten der Apokalypse haben sicher die wenigsten von euch schon einmal gehört. Tarja steuert mit im Ansatz freundlicher Intonation gegen die düsteren Bläser an und sorgt so für gelungenen Kontrast. Dabei konzentriert sie sich – wie überhaupt auf dem gesamten Album – auf ihre klassische Ausbildung. Wer erwartet, die ehemalige Nightwish-Frontfrau würde hier gelegentlich auch in Rock- und Metal-Gefilde wandeln, hört bitte weg. Die Instrumente, die Tarja begleiten, sind im Orchester zuhause. Und auch das einzige Original der Platte – "Together" – hebt sich stilistisch nicht von den restlichen Stücken ab.
Statt überladene Kaufhauskitsch-Arrangements zu gestalten, setzt Tarja Streicher, Bläser und Metallophone lieber sparsam ein. Ihre Stimme steht klar im Mittelpunkt. Bei "God Rest Ye Merry Gentlemen", ist sie erst a capella mit einem Background-Chor zu hören, dann tut sich ein orientalisch angehauchtes Percussion-Bett auf, das sich jedoch im Hintergrund hält und viel Platz für die nun solo singende Tarja lässt. Oft beginnt ein Stück sehr verhalten, um dann später in einen erhabenen Klimax zu brechen. "Amazing Grace" dient hier wieder als Paradebeispiel.
Auffällig ist außerdem "O Tannenbaum". Tarja singt auf Deutsch und verwandelt den totgehörten Klassiker in eine gespenstische Ode. Der "Fluch der Karibik"-Walzer gen Ende ist zwar etwas befremdlich, sorgt aber zweifellos für Würze. Hat man beim Hören bis zu diesem Track geschafft, dient dieser außerdem als Indikator, ob Tarja mit "From Spirits And Ghosts" die eigene Toleranzgrenze in Sachen Pathos und Weihnachtskitsch überschreitet. Mich hat sie überzeugt, allerdings dürfen Skeptiker "O Tannenbaum" ihren Kumpels belustigt als Beweis dafür vorspielen, welche Grütze die Finnin hier fabriziert hat.
Denn die Dramatik der Goth-Lady ist sicher nicht jedermanns Sache. Ihr werdet kaum ein populärmusikalisches Weihnachtsalbum finden, das weiter vom "Jingle Bells"-Lala entfernt ist. Zum Familienessen am Feiertag ist "From Spirits And Ghosts" der absolut falsche Soundtrack – es sei denn, ihr wollt gemeinsam sehnsuchteln und trauern.
Tarjas "We Wish You A Merry Christmas" klingt mit seinen Dissonanzen jedenfalls eher nach Trauermarsch als Birthday-Party. Naja, vielleicht fühlten sich Maria und Josef ja genau so, als sie der Legende nach in einem dreckigen Stall ihr Kind zur Welt bringen mussten.
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