laut.de-Biographie
Tate McRae
Eine Geschichte rund um Liebeskummer führt zu Tate McRaes Durchbruch. Sie ist 16, die Welt im Lockdown, April 2020, die Leute haben andere Sorgen. Aber die verletzliche, kindliche – und vor allem – schöne Stimme lässt aufhorchen. "You Broke Me First" heißt der Hit.
Tates Lieder klingen groß und majestätisch, egal ob zarte Ballade ("slower"), Dance-Pop (die meisten Nummern) oder Remix. Dance-Pop darf man in diesem Falle über elektronisch angehauchte Musik hinaus verstehen, nämlich ganz wörtlich: Tanzmusik, Tate ist Tänzerin.
Ihren YouTube-Kanal hatte Tate bereits mit acht Jahren gestartet und sich eine breite Followerschaft aufgebaut, das ihre Tanzfiguren ansah. 2011, als sie damit loslegte, waren 'Influencer' und 'Bedroom-Pop' noch unbeschriebene Phänomene. Nun kam Tate Rosner McRae keineswegs als geborenes telegenes Medien-Genie auf die Welt, am 1. Juli 2003. Sondern wuchs als Tochter einer Tanzschulen-Inhaberin auf.
Mit sechs fängt sie selbst an zu tanzen. Vor virtuellem YouTube-Publikum scheint ihr das besonders Spaß zu machen. Schnell entwickelt sie sich angefeuert von den Followern zur besten und jüngsten Nachwuchs-Tänzerin der USA. Ein Preis in New York wird quasi ihr Geschenk zum 10. Geburtstag, eines, das sie sich hart erarbeitet hat und das dennoch überrascht, weil sie kaum Wettkampferfahrung mitbringt. Es gibt die Kategorien 'Mini', 'Junior' und ‚'Teen', sie gewinnt als 'Mini'. Ballett, Jazz, Stepptanz, Musical und Hip Hop lauten die Disziplinen, in denen sie in Mamas 'Drewitz Dance Productions' auch danach weiter Kurse nimmt.
Dass gute Tanz-Moves in Nordamerika Begeisterungsstürme auslösen, führt zu jener Zeit die "Pitch Perfect"-Filmreihe unterhaltsam und eindrucksvoll vor Augen. Acapella-Wettbewerbe mit sportlichem Hip Hop-Tanz in kreativer Gruppen-Choreographie auffrischen – in den Slapstick-Drehbüchern steckt viel Liebe zur Musik, und diese Filmserie (Teil 1 in 2012, Part 2 in 2015, 3 in 2017) entwickelt sich recht schrittsynchron mit Tates Karriere. Auf ihren Lernetappen im Ballett verschlägt es die Teenagerin 2015 auch für ein paar Wochen nach Berlin. Wohin sie später als Sängerin zurückkehrt, als sie kurz vor Corona das erste Mal in Deutschland ein Konzert gibt.
Der Weg ins Pop-Geschäft: Die junge Kanadierin begleitet ihren Landsmann Justin Bieber im Sommer 2016 auf dessen "Purpose"-Welttour. Warum also nicht gleich Songs aufnehmen und auch welche schreiben? Bisher hatte sie 'Tanz' gezeigt, doch es folgen Singer/Songwriter-Aufnahmen aus ihrem Kinderzimmer. "One Day" erreicht ab Oktober 2017 satte 36 Millionen Aufrufe. Das Video ist unterbelichtet, das Lied, Tates Beschreibung nach, in einem kurzen Schreibrausch von einer Stunde Dauer entstanden.
Die Schnitte sind chaotisch, die Kameraführung wackelt wie ein Achterbahnwagen, die Akustik ist grauenvoll, Tate schaut beim Singen irgendwo schräg neben die Kamera und begrüßt uns an ihrem E-Piano. Hinter ihr eine holzgetäfelte Wand. Der Erfolg dürfte sich der sehr schlichten Lyrik, dem Evergreen-Thema 'unglücklich verliebt' und Tates Innigkeit verdanken. Der magischen Konzentration, die sie in dem Clip ausstrahlt. Und ja, dann ist da die Stimme, der man absolut nicht ausweichen kann, wenn man ein Herz für simplen, aber doch berührenden Pop hat.
Tate nimmt ihre Gefolgschaft äußerst geschickt mit auf ihre Reise in die großen Star-Sphären und berichtet im Frühjahr 2018 auf ihrem Kanal von der enormen Aufregung vor ihrem ersten Bühnenauftritt mit diesem Song. Sie hat sich eine Erkältung eingefangen, lächelt aber tapfer in die wackelnde Handykamera. Sie outet sich als Teetrinkerin, zeigt woran man alles denken muss: Haarzöpfe, crémeweiße Fingernägel, Make-Up, Bluse, die richtigen (natürlich weißen) Turnschuhe, aber – und das ist very special Tate-Style - sie bricht das alles ironisch, indem sie den perfekten Dingen nicht mehr Raum gibt als dem Gurgeln wegen ihrer Erkältung.
Ein Karaoke-Kanal räumt mit dem Song "One Day" in sechsstelliger Klickzahl abr. Ein mysteriöser Channel namens "England", mit nur einem einzigen Upload, rollt die Lyrics von "One Day" aus und gibt nochmal Futter für 33 Millionen Views. Vom Klavier-Tutorial übers Ukulele-Cover bis zur polnischen Übersetzung: Der Hit geistert in zig Versionen durchs Netz. RCA, Teil des Sony-Konzerns, kann nicht widerstehen und nimmt Tate im August 2019 unter Vertrag, sie ist gerade 16 geworden.
So folgt die schnelle Hype-Kaskade, ein Steinchen kickt das nächste an, und flugs schreibt Tate sogar einen Song zusammen mit der (anderthalb Jahre älteren) Billie Eilish.
2020 setzt sich "you broke me first" erst im Radio und auf YouTube, dann auch bei TikTok und schließlich bei MTV durch. Nie stand eine weibliche (Solo-)Künstlerin länger am Stück an der Spitze der Billboard-Charts: Über ein halbes Jahr! Der Song erzielt über eine Billion Streams. Eine Billion sind eine Million Millionen, davon gut 60 Prozent aus Spotify, 9 Prozent aus YouTube. Der Rest strömt von A wie Amazon bis T wie Tidal. Gesamteindruck: Eigentlich bräuchte diese Newcomerin wohl keine Plattenfirma.
Aber wer weiß ... Da gibt's ja z.B. dieses lästige Problem der Nachahmer. Im März 2021 grätscht eine Cover-Sängerin namens Robine mittenrein und aktiviert auf YouTube eine Anzeige mit ihrer Version von "You Broke Me First" – ein paar Stunden, bevor Tate ihren wohl poetischsten Song loslässt: "slower".
Das Lied sinniert über den Umstand, dass man sich in eine Momentaufnahme eines Menschen verliebt. Mit 18 oder 19 wird dieser Mensch aber vielleicht ganz, ganz anders als mit 17 sein – die Sprünge in dieser Lebensphase können gewaltig ausschauen. Besser, man geht alles eine Stufe "slower" an. Das gilt natürlich nicht für Tates Karriere.
Als Tochter eines kanadischen Soldaten ist sie es seit der frühen Kindheit gewohnt, sich plötzlich an neue Umgebungen anzupassen. Von der Zeit, als sie vier bis sieben Jahre alt war, wohnte sie im Oman am Persischen Golf. Heute liegen ihr große Teile der von Spotify erschlossenen Welt zu Füßen: In Malaysia, Singapur, Australien und fast allen europäischen Ländern platzierte sich Tate schon in den Top Ten.
Zum Release des ersten Albums "I Used To Think I Could Fly" modelt die zu diesem Zeitpunkt 18-Jährige für eine vegane Lippenstift-Produktlinie. 'Vinyl Ink' verspricht den Glanz einer Vinylscheibe auf den Lippen, und zwar den ganzen Tag lang. Tate veröffentlicht LP Eins sowohl als 33 1/3 RPM als auch auf Audiokassette.
Die Release-Party findet in einer 'augmented reality' in einem virtuellen 3D-Flughafen via Metaverse-App statt. Auch das Cover-Artwork fordert die räumliche Orientierung des Teens heraus, Tate sucht ihre Flug- oder Landebahn. Am Erstling wirken mehrere (männliche) Ko-Autoren und Producer mit, wie im Perfektions-Pop üblich geworden. Einer davon ist Charlie Puth. Weniger üblich zeigt sich der meist un-digital wirkende Sound von "I Used To Think I Could Fly".
Den Nachfolger kündigt die fleißige Ballett-Trainierte mit Teilen von Songtiteln an. Ihre Follower sollen auf Instagram die richtigen Track-Namen erraten und bekommen dafür im Spätherbst 2023 zwei Wochen Zeit. "Think Later" verspricht schon im Vorfeld eine weitere Abrechnung mit Ex-Lovern.
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