laut.de-Kritik

Üppige Box zum Jubiläum.

Review von

Der Weg nach oben war hölzern. Das gilt sicherlich für die meisten Künstler im Musikbereich, für die von The Band aber ganz besonders. Bevor sie sich auf ihren endgültigen Namen einigten, hatten sie sich Jahre lang als Begleitmusiker abgerackert, erst für den kanadischen Rocker Ronnie Hawkins, dann für Bob Dylan. Der Name war dann Programm: The Band, in Erinnerung an ihren Werdegang und als Würdigung des Kollektivs im Gegensatz zu einzelnen Mitgliedern.

Ihre Auftritte an der Seite Dylans in den USA und Europa 1965 bis 1966 hatten sie international bekannt gemacht. Jedoch nicht auf die Art, wie man sie sich wünscht, schließlich begleiteten sie das Aushängeschild wider Willen der Anti-Establishment-Bewegung bei seinem Übergang vom Folk- zum Rocksänger. Was bei vielen - Zuschauern wie Journalisten - nicht gut ankam. Die ständigen Anfeindungen führten zu Verschleiß. Gleich zwei Schlagzeuger stiegen auf Tour aus, selbst Dylan schien sich seiner Begleitung nicht ganz sicher, wie er nach den ewig langen Aufnahmen zum Album "Blonde On Blonde" äußerte.

Dylan nutzte eine Motorradunfall im Juni 1966, um sich vom Scheinwerferlicht zu verabschieden. Er zog von New York City ins ländliche Woodstock, kümmerte sich um seine Familie und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Seine Begleitband zog samt Ursprungsdrummer ins benachbarte Saugerties, verdingte sich als Begleitung lokaler Musiker und verkabelte den Keller des Hauses, in dem sie gemeinsam wohnte. Dort entstanden die Aufnahmen mit Dylan, die als "Basement Tapes" rasch Kultstatus erlangten, offiziell aber erst 1975 auf den Markt kamen. Und ihr Debütalbum "Music From Big Pink", (1968) in Anlehnung an die Farbe der Fassade ihres Hauses.

Der kommerzielle Erfolg hielt sich in Grenzen, doch schlug es bei Musikerkollegen ein wie eine Bombe. Alles war anders als gewohnt: Keine endlosen Sessions in einem sterilen Studio, sondern kreatives musizieren im Kollektiv. Keine von vornherein festgelegte Rollen, sondern Zusammenarbeit in einem familiären Umfeld. Eine Vorgehensweise, die Schule machte.

Dennoch sollte der Nachfolger traditionell entstehen. Als sie bei den Sessions in New York nicht mehr weiter kamen (dort entstanden "Up On Cripple Creek", "Whispering Pines" und "Jemima Surrender"), flog ihr Label sie nach Los Angeles, mietete eine Villa von Showmann Sammy Davis, Jr. in den Hollywood Hills, verkabelte das Poolhaus, und ließ die Band, die sich seit "Big Pink" tatsächlich The Band nannte, gewähren.

Es war die richtige Entscheidung. Zwar sollte sich Robbie Robertson, auf der Bühne der Gitarrist, um die Texte kümmern, doch alles andere entstand in Poolhaus. Frauen und Kinder lebten auch auf dem Anwesen, um die Küche kümmerte sich die Robertsons Mutter. Eine harmonische Umgebung, die die Kreativität aufblühen ließ. "Wir rebellierten gegen die Rebellion", bezeichnete Robertson das Leitmotiv der Band, was bedeutete: Während Beatles, Jimi Hendrix und die meisten anderen ihrer Musik immer neuere Nuancen hinzufügten, besann sich die Band ihrer kanadischen und US-amerikanischen Wurzeln und schuf somit das Genre, das später Americana heißen sollte, eine Mischung aus Folk, Country, Soul, Rock, Rhythm And Blues.

"Im Gegensatz zu anderen Gruppen hassten wir unsere Eltern nicht. Wir waren seit acht Jahren zusammen, hatten so ziemlich alles erlebt und wollten uns nicht wie Kinder aufführen. Das wollte ich in die Lieder einfließen lassen. Wir ließen uns sogar Bärte wachsen, um älter auszusehen. Das ist alles in der Musik zu hören" so Robertson 50 Jahre später.

Bezeichnenderweise wurde "The Night They Drove Old Dixie Down" zum bekanntesten Stück des Albums. In ihm thematisierte Robertson die letzten Tage des Sezessionskriegs und schuf so einen Traditional, mit dem Joan Baez 1970 einen ihrer größten Erfolge feierte.

Doch wäre es unfair, Robertson allzu sehr in den Mittelpunkt zu stellen, denn das Album war das Ergebnis eines Kollektivs, das zu jenem Zeitpunkt keine Konkurrenz fürchten musste. Levon Helm (Schlagzeug), Rick Danke (Bass), Garth Hudson (Orgel) und Richard Manuel (Klavier) wechselten sich am Mikrophon ab und hatten auch sonst keine Berührungsängste, griffen zu den Instrumenten, die gerade rumlagen oder auf die sie Lust hatten, und spielten los. "Zu behaupten, dass wir einen Riesenspaß hatten, wäre eine Untertreibung. Wir waren alle in einem Zimmer und machten Musik", so John Simon, der "Big Pink" produziert hatte, diesmal aber eher beratend tätig war und Blasinstrumente beisteuerte.

Auch 50 Jahre später macht es noch Spaß, den fröhlichen "Across The Great Divide" und "Rag Mama Rag" zu lauschen und sich bei der Ballade "Whispering Pines" zurück zu lehnen. Zumal sich zwei Meister wie Bob Ludwig und Bob Clearmountain um das Remastering kümmerten mit dem Ergebnis, dass man nun das Gefühl hat, mit im Poolhaus zu sitzen.

Die Super Deluxe-Ausgabe bietet zusätzlich reichlich Material zum Schmökern, darunter ein Essay im Booklet (das eher ein Buch ist) und viele Großaufnahmen von Elliott Landy, der das Coverbild erstellte und die Band bei den Aufnahmen begleitete. Wer Vinyl mag, findet das Album auf zwei Scheiben in 45 rpm und eine Faksimile-Nachpressung der Single "Rag Mama Rag / The Unfaithful Servant". Wer es silbern bevorzugt, wird auf CD und Blu-Ray fündig. Alles schön verpackt in Schuber und Leinen.

Als Bonus gibt es neben alternativen Tracks, von Robertson persönlich ausgesucht, auch eine CD mit dem Auftritt der Band in Woodstock. "Wir warteten die ganze Zeit auf Dylan, aber er kam nicht", lässt sich die Stimmung zusammenfassen. Dennoch ein gelungener Auftritt, der in Vergessenheit geraten ist, weil er aus rechtlichen Gründen nicht für den erfolgreichen Kinofilm und den Soundtrack berücksichtigt wurde. Dass er hier zum ersten Mal offiziell auf den Markt kommt, ist eine kleine Sensation.

Ein bisschen wehmütig macht das Album trotz aller Spielfreude . Zu Beginn der 1970er Jahren war The Band auf dem kreativen und kommerziellen Höhepunkt, dann entwickelten sich interne Spannungen, beflügelt von den üblichen Drogen- und Alkoholgeschichten. Robertson kristallisierte sich zum Anführer heraus, was den anderen nicht passte. Nachdem sie 1976 auseinander gingen, wie Martin Scorseses in "The Last Waltz" dokumentierte, machten die anderen in den 1980er Jahren mit schwindendem Erfolg ohne Robertson weiter. Den traurigen Tiefpunkt bildete Richard Manuels Tod, der sich 1986 nach einem Auftritt im Bad seines Hotelzimmers erhängte.

1969 war The Band von all diesen Dramen noch weit entfernt. Da passten sowohl der Bandname als auch der Albumtitel noch vorzüglich.

Trackliste

  1. 1. Across The Great Divide
  2. 2. Rag Mama Rag
  3. 3. The Night They Drove Old Dixie Down
  4. 4. When You Awake
  5. 5. Up On Cripple Creek
  6. 6. Whispering Pines
  7. 7. Jemima Surrender
  8. 8. Rockin' Chair
  9. 9. Look Out Cleveland
  10. 10. Jawbone
  11. 11. The Unfaithful Servant
  12. 12. King Harvest (Has Surely Come)

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