laut.de-Kritik

"Baby, you left me sad and high."

Review von

"I'm under the gun again", klagt The National-Sänger Matt Berninger im neuen Track "I Need My Girl". Vielleicht half diese Zeile der Band beim Verarbeiten der Erwartungen an sich selbst. Der Vorgänger "High Violet" verkaufte sich schließlich 600.000 Mal. Dennoch gaben sich die New Yorker vor dem Release ihres neuen Werks gelassen. Man müsse sich nicht länger beweisen, meint Berninger. Damit hat er recht, The National hätten im Jahr 2013 wohl auch ein mittelgutes Album abliefern können und wären trotzdem gefeiert worden. Doch "Trouble Will Find Me" positioniert sich spielend locker auf Augenhöhe mit den Glanzmomenten der Band-Vergangenheit.

Der nahezu warme, versöhnliche Sound des Vorab-Tracks "Demons" ließ das erahnen – und doch sind es genau diese dreieinhalb Minuten, die noch an die vorigen Alben erinnern. Bereits der Opener "I Should Live In Salt" stellt die dezente Überlegung an, orchestrale Elemente wie Streicher und Bläser im Hintergrund zu belassen und durch gläserne Synth-Sounds an selber Stelle zu imitieren. Über die gesamte Spieldauer vertiefen die Musiker diese Praxis, gerade in den Momenten gegen Ende eines Songs, in denen der Eis-Mantel um die fünf Bandmitglieder bricht, ihre Silhouetten zu einem einzigen, fesselnden Musik-Genius verschmelzen.

Offensichtliche Trauer kleidet die subtile Schönheit – das war schon immer das Rezept der Band und konsequent verfolgt sie es weiter. Sei es im ersten Melancholie-Höhepunkt, der Ballade "Fireproof", in der Berninger zum ersten Mal die fragil-verzweifelte Seite seiner Stimme anklingen lässt. Oder im ersten etwas aufwühlenden (Ist das noch Indie-Rock?)-Track "Sea Of Love". Jedenfalls gibt es raue Gitarren und pochend-präzises Drumming von Trommel-Künstler Bryan Devendorf auf die Ohren: "Hey Joe, sorry I hurt you, but they say love is a virtue, don't they?" Das berührt und hat ein ums andere Mal einen griffigen, weil repetitiven Song-Part zu bieten.

Vergeblich wünscht man sich an diesen Stellen, dass Bryce Dessner und seine Lead-Gitarre einfach weiter ausbrechen, den Pfad des Unkonventionellen weiter beschreiten. Auch Matt Berninger schreit bei Konzerten seine ergreifenden lyrischen Botschaften oft geradewegs heraus. Neuerdings produzieren The National weitaus glatter. Die emotionale Intensität der Platte leidet jedoch zu keiner Zeit darunter.

Zum Einen liegt das schlicht am Songwriting: Balladen wie "Heavenfaced" packen einfach, steigen tief hinab in die dunkle Seelenlandschaft der Hörer. Gleichzeitig erleichtern die vielen hymnenhaften Stellen auf "Trouble Will Find Me" den Zugang. Zum anderen lassen sich The National im Jahr 2013 kaum noch vergleichen oder einordnen - nährt sich ihr Stil im Endeffekt immer aus sich selbst. The National vergolden die eigenen Referenzen vergangener Alben.

Während vielen Bands genau das zum Verhängnis wurde, nutzt Songwriter Aaron Dessner diesen schmalen Grat, als wäre er eine mehrspurige Straße: "This Is The Last Time", das mit mürrischer Gitarre und Gesang beginnt, sich schließlich in die absolute Emotion steigert, weckt das Gefühl des "Cardinal Song" vom 2003er-Album "Sad Songs For Dirty Lovers". Das Reim-Monster "Graceless" mit seiner Post-Punk-Attitüde, dunklem Bass und gruseliger Gitarre wirkt hingegen wie eine Fortentwicklung des Stücks "Available" vom selben Langspieler.

Folglich ist klar, dass der heimliche Höhepunkt des Albums nicht einfach so in die wohlige Atmosphäre platzt. Schwebende Klänge und Erzähler Berninger leiten "Humiliation" ein: Im Ernst, diesem blauäugigen Typen würde man einfach jedes Märchen abkaufen! Allein für seine Artikulation und den Teint seiner Stimme. Nun hat Berninger glücklicherweise immer etwas Geniales zu erzählen, schwankt stets zwischen Intellektuellen-Stories über Alkohol und Mädchen und Zynismus. So versetzt der Song schnell in Trance, in Träume von einer besseren Welt, in der man ein Leben lang The National zuhören darf. Berninger trifft es auf den Punkt: "Tunnelvision lights my way."

Dass Größen wie Richard Reed Parry, Sufjan Stevens und Annie Clark Freunde der Band sind und auf dem Album mitwirken, zeugt davon, dass The National inzwischen zur Indie-Institution herangewachsen sind. Die Anfangs-Vierziger haben sich ihren Szene-Status auch hart erarbeitet – und ihn mit "Trouble Will Find Me" einmal mehr beklemmend großartig untermauert. "High Violet" bleibt als Meisterwerk also nicht allein.

"Trouble Will Find Me" wird die Band ihren Melancholie-Marsch über den Globus munter fortsetzen. Frei nach Matt Berninger in "This Is The Last Time": "The National, baby, you left me sad and high."

Trackliste

  1. 1. I Should Live in Salt
  2. 2. Demons
  3. 3. Don't Swallow the Cap
  4. 4. Fireproof
  5. 5. Sea of Love
  6. 6. Heavenfaced
  7. 7. This Is The Last Time
  8. 8. Graceless
  9. 9. Slipped
  10. 10. I Need My Girl
  11. 11. Humiliation
  12. 12. Pink Rabbits
  13. 13. Hard To Find

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39 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Alben dieser Band kann man blind kaufen. Damit kann man sogar das gute Wetter momentan ertragen..

  • Vor 11 Jahren

    Das Album kommt nie an die 2 letzten ran. Mittelmäßiger Songbrei und dieser typische (Berninger) Stil gerät langsam an die Grenzen des Haltbarkeitsdatums. Da müssten die Songs schon wie bei HV mit Gewalt gegenhalten, aber das können sie nun wirklich nicht mehr. Schade drum, aber dem Hype wirds keinen Abbruch tun.

  • Vor 11 Jahren

    @unrk: Seh ich anders. Für mich ist es ihr stärkstes. Wo ich dir jedoch recht geben muss, dass die Band beim nächsten Album vielleicht mal einen anderen Weg einschlagen sollte. Die Kopien alter Songs werden irgendwann mehr als nur sowas wie Fireproof (ADA), auch wenn es gut ist.