laut.de-Kritik
Musikfernsehen, das in seinen Bann zieht.
Review von Daniel StraubSie verstehen sich seit ihrer Gründung Mitte der 70er Jahre als die Sandkörner im gutgeschmierten Getriebe der Popkultur-Industrie. Unbeirrt verfolgen The Residents seither ihren Weg und haben trotz der mächtigen Augäpfel auf ihren Köpfen nie den klaren Blick verloren. Der befähigte sie, 1980 einen Longplayer aufzunehmen, der seine eigentliche Absicht für jedermann leicht ersichtlich im Titel mit sich führte.
"Commercial Album" überschrieben The Residents ihre 40 Pop-Tunes, die das Verhältnis zwischen künstlerischem Produkt und formatgerechter Werbung in Form einer ironischen Gratwanderung zum Thema machten. Werbemusik und doch gleichzeitig auch Popmusik wollten die Kalifornier also aufnehmen. Aber wodurch zeichnen sich Songs aus, die Jingles im Fernsehen untermalen oder aus dem Hintergrund sachte auf den kauffreudigen Supermarktbesucher niederrieseln?
Für The Residents kann der typische Werbe-Pop-Song auf seine beiden Charakteristika Strophe und Refrain reduziert werden. Das bringt ihn auf eine maximale Spielzeit von einer Minute. So wird aus einem Popsong en miniature ein vollwertiger Werbe-Jingle. Das Salz in der Suppe des modernen Amerika, wie The Residents meinen. Also haben sie sich hingesetzt, 40 bekannte Werbesongs zuerst zurecht gestutzt und diese sodann in bester Residents-Manier mit einem guten Schuss Surrealismus verfremdet.
Für die jetzt veröffentlichte "Commercial Album"-DVD beauftragten The Residents Video-Künstler aus allen Erdteilen damit, die 40 Songs des Albums zu bebildern und so den geschichtlichen Nachschlag zu den vier seinerzeit von den Residents selbst produzierten Videoclips zu liefern. Die liegen heute in irgendeinem Archiv des Museum of Modern Art in New York, schließlich waren Musikvideos 1980 noch eine Sache der Avantgarde und somit Kunst per definitionem.
Wie nah The Residents damit dem Puls der Zeit kamen, sollte sich schon im Jahr darauf zeigen, als in den USA der Fernsehsender M-TV seinen Betrieb aufnahm und 24 Stunden am Tag Musik-"Commercials" in den Rang eines eigenständigen Sendeinhalts erhob. Kunst war das nur noch in Ausnahmefällen zu nennen, was M-TV über die Mattscheibe schickte. Aber für Kunst sind nun mal The Residents zuständig, und die erforschen auf "Commercial Album" die modernen visuellen Künste zwischen Animation, Film, Zeichentrick und Collage.
Wer sich für Verstörendes ("Picnic Boy"), Schräges ("Medicine Man"), Unterhaltsames ("When We Were Young"), Lustiges ("Love Leakes Out"), Neues ("Easter Woman"), Interessantes ("The Talk Of Creatures"), Emotionales ("Phantom"), Schönes ("Phantom"), oder schlicht Lebendiges ("In Between Dreams") interessiert, der wird sich gerne in die interaktive, Benutzeroberfläche des "Commercial Album" begeben. Dort wird er von Raum zu Raum schlendern, sich von den verschiedenartigen Bildwelten in den Bann ziehen lassen und danach mit anderen Augen auf M-TV schauen.
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