laut.de-Biographie
Ulver
Bands, die sich einmal neu erfinden, gibt es viele. Combos, die ebendies permanent und von Album zu Album beherzigen, nicht. Solche wie Ulver, die Wölfe.
Bereits mit 16 Jahren gründet Kristoffer Rygg das Rudel anno 1992 als Black Metal-Kapelle. Das Genre liegt dem Klassik-Fan. Neben gesanglichen Einsätzen für Genregrößen wie Borknagar oder Arcturus findet er die richtigen Musiker, um die Musikwelt aus den Angeln zu heben. Bereits das Debüt "Bergtatt" stößt auf positives Echo in der Metalpresse und gilt später als Meilenstein des Genres.
Doch genau solche Schubladen nerven die norwegischen Freigeister beträchtlich. Folglich gilt für die Zukunft nur eine Grundregel: Musik ist etwas Ganzheitliches und lässt sich nicht in ein System pressen. Im Gegenteil: Sie muss sich aus den Genres als neue Form herauskristallisieren.
Wer einmal die Büchse der Pandora aufmacht, bekommt sie so schnell nicht wieder zu. Seit den glorreichen Anfangstagen klingt kein Album wie das andere. Zuerst integrieren Ulver Industrial und Ambient in ihr Biotop. Mit "Kveldssanger" liefern sie ein reines, wenn auch unreif klingendes Klassik-Album voller Kantaten und Kammermusik ab.
Um den Jahrtausendwechsel herum entdecken die Skandinavier den Trip Hop für sich. Besonders die LP "Perdition City" aus dem Jahre 2000 gilt als bei Fans und Kritikern gleichermaßen hoch angesehenes Juwel.
In den nächsten Jahren folgen minimalistische Soundtrack-Collagen für diverse Filme sowie die Einbindung typisch norwegischen Elektro Jazz' à la Landsmann und Vorbild Nils Petter Molvaer. Mittlerweile steigen die ehemaligen Düstermetaller längst zu erhabenen Elder Statesman anspruchsvoll dunkler Freestyles auf. Doch diesen künstlerischen Genie-Bonus haben sie sich redlich verdient.
2011 erscheint ihr mittlerweile achter Longplayer "Wars Of The Roses". Das Album markiert sogar für Ulver-Verhältnisse einen Höhepunkt. Erstmals schafft eine Ex-BM-Band die Quadratur des Kreises und nimmt sich souliger Songstrukturen an. Daneben bleiben alle weiteren genannten Stile vorhanden, und zwar simultan. Aus diesem Sammelsurium brauen sie die typische Ulvermasse, die trotz fröhlicher Zutaten im Ergebnis, wie immer, metallisch misantropisch klingt.
Trotz des ewigen Lobs allenthalben sind Ulver nicht glücklicher über den Zustand der Musikwelt als über jenen der Menschheit. "Wir müssen uns weiter verändern. Wir wissen genau, was es bedeutet, Alben aufzunehmen. Und in dieser Hinsicht hat Musik ein beschissenes Geschäftsklima. Die geschäftliche Seite von Musik ist in wirklich schlechtem Zustand. Also muss man kreativ sein, und das passt zur Evolution von Ulver."
Nichtsdestotrotz schnappen sich die Wölfe 2012 noch einmal den britischen Multi-Instrumentalisten und Stimmungsmagier Daniel O'Sullivan. Letzterer hat bereits dem Rosenkriegsalbum einen leichten Weichzeichner im Sound verpasst. Für das ungewöhnlich (für Ulver-Verhältnisse nahezu bahnbrechend) poppige "Childhood's End" verpasst er den 16 Liedern einen psychedelischen Stonermantel, der sich gewaschen hat. Die Songs selbst bilden eine Hommage an die Sixties und covern diverse zeitgenössische Perlen.
Das Konzept geht künstlerisch derart homogen auf, dass sogar die ungewohnte, den gemeinen Ulverfan zutiefst verstörende Eingängigkeit keine Sekunde irritiert. So langsam wird es ab 2013 für Mastermind Kristoffer Rygg nicht mehr ganz einfach, jenseits der chinesischen Oper noch etwas zu finden, das für Ulver (getreu dem eigenen Konzept des Nichtwiederholens) neu wäre.
Tatsächlich findet Rygg aber einen Weg, um erneut zu überraschen, ohne zu enttäuschen. Zusammen mit Sunn O))), den Paten des Drone-Metal, bringt er zum Frühling 2014 eine Art Ambient-Drone-Sinfonie heraus, die alle Stärken beider Bands perfekt bündelt und potenziert. "Terrestrials" heißt das gemeinsam produzierte und über das hauseigene Sunn O)))-Label vertriebene Album. Ein weiteres Beispiel dafür, wie Ulver sich immer wieder neu erfinden.
Parallel zu "Terrestrials" entsteht ein weiteres ehrgeiziges Projekt. Ihre 2013/14er-Gigs zeichnen hohe Spielfreude und der Drang zur Improvisation in Richtung Krautrock aus. Viele dieser Parts funktionieren ebenso hervorragend als eigenes Stück wie als Annex im Konzert.
So reift der Plan, mithilfe dieses Materials ein komplett neues Album zu erstellen. "ATGCLVLSSCAP", ein Wechselbalg aus Studiokonserve und Livemitschnitt, erscheint zu Beginn von 2016. Hernach wenden sich die Künstler wieder neuen Ufern zu. "The Assassination Of Julius Caesar" markiert 2017 den wohl heftigsten Kurswechsel der Bandgeschichte seit dem 1998er "Themes from William Blake's The Marriage Of Heaven And Hell". Zur Überraschung vieler führen sie diese Eingeschlagene Richtung auch auf dem 2020 erscheinenden "Flowers Of Evil" fort.
Mittlerweile sind die Wölfe nicht mehr bloßer Underground. Auch der verschlafenste Feuilletonist hat diese komplett aus Facetten bestehende Urgewalt inzwischen entdeckt.
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