laut.de-Kritik
Sci-Fi-Elektro im Mars-Modus mit eingebauter Hirnspülung.
Review von Ulf KubankeGitarren züngeln sich schlangengleich. Ein massives Riff packt zu, hält fest, treibt vorwärts. Der Dschungel in Rock erwacht, erwächst zum kolossalen Track. Jedes Instrument zieht seine Show ab, bis sich alles unentrinnbar im peitschenden Drumgewitter vereinigt, nur um kurz darauf zu entschwinden ("Cromagnosis"). "Some to heal and some to kill." Für das Haus Ulver mithin lediglich ein ganz normaler Track mit eingebauter Hirnspülung. Für die Musikwelt ist "ATGCLVLSSCAP" ein echter Glücksfall.
Sogar für die personifizierte Wandlungsfähigkeit Ulver stellt diese Platte konzeptionell eine Besonderheit dar. Ein wuchtiger Homunculus aus Live-Album und Studioprodukt voller Psychedelic Rock, Krautrock und organischem Ambient. Zwischen Can, Ash Ra Tempel und dem 70er Miles Davis erobern sie erneut eine Nische im Soundkosmos und machen alles zu Ulver, was sie vom Wegesrand klauben. Die ganz alte Frankenstein-Schule.
Als Fundament dienen den Wölfen Improvisationen aus mehr als einem Dutzend Gigs. Im Studio wurden diese erweitert, umgeschnitten und dramaturgisch in einen neuen Zusammenhang gesetzt. Das Ergebnis ist eine mächtige Suite, die mit jedem Durchlauf mehr in seinen Bann zieht. Es klingt ein wenig, als spiele man diverse Ulver-Scheiben gleichzeitig ab.
All ihre Stärken türmen die Norweger hier aufeinander und heben diese auf eine LSD-kompatible Ebene. Als Korrektiv geben sie eine Spur Metal, Klassik und Elektronik hinzu. Hier eine Prise Drone und doomende Schwere. Dort ein bisschen Sci-Fi-Elektro im Mars-Modus. Jeder einzelne dieser 12 Song-Bausteine ist eine abgeschlossene Short Story. Gesang nutzen sie nur auf drei Songs.
Als Klammer fungiert erneut ihr Sonnenanbeter-Ansatz: Alles muss sich durch die Finsternis seinen Weg ins Licht bahnen, bis hin zum sonnendurchfluteten Finale "Solaris". Pharao Echnaton wäre zu Tränen gerührt. Klackende Drumsticks stehen im Zentrum von "Moody Stix", während ein dramatischer Synthie mit einer ganzen Horde marodierender Lava-Gitarren auf der Klangbildfläche erscheint.
"Om Hanumate Namah" ist ein erfrischend körperloses Mantra samt Sitar und wundervoller Sologitarre als Beigabe. Nicht nur hier lohnt es, dem Wahnsinn, den Ivar Thormodsaeter an den Trommeln entfesselt, ein besonderes Ohr zu leihen. "Desert/Dawn" klingt, als würden Tangerine Dream in einer schwarzen Messe landen und nach dem Ritual mit dem Raumschiff hinfort gleiten. Neben der Sakro-Blutorgel packen Ulver hier einen wundervollen Synthesizer aus, der irgendwo im Niemandsland zwischen John Carpenter-Thema und Warnblinkleuchte nistet.
All das mündet im elegischen "Ecclesiastes (A Vernal Catnap)": Schon die stoische Piano-Hook ist aller Ehren wert. Kristoffer Rygg wechselt nach anfänglichem Spoken Word hin zu einem anmutigen Nachtigall-Vortrag - einer der besten Songs ihrer Karriere. Ulver bleiben neben Anathema die unangefochtenen Meister der eklektischen Innovation.
2 Kommentare
Diese repetitiven Drones brauchen ihre Zeit, sind aber sehr hörbar auf dem Album.
Höre in letzter Zeit wieder vermehrt Ulver und finde, dass "Shadows Of The Sun" ja einen Meilenstein verdient hätte. Diese Art von Platte, wenn man zu Hause ankommt und sich darauf freut, endlich wieder anständige Musik hören zu wollen. Eick an der Trompete- absolut genial und das Tüpfelchen auf dem i.
"Perdition City" kommt wahrscheinlich danach, lebt aber sehr von seiner kühlen Großstadtatmosphäre und Geheimfavorit ist "Nattens Madrigal". Der Moment- endlich wieder geiler Black Metal.
Die "Messe" gefällt mir wegen seiner elegischen Klassikarrangements und dem Kraurockvibe aber auch außerordentlich.
ja, das sehe ich auch so. sots und pc sind absolut rubriktauglich. ersteres noch mehr als letzteres.