laut.de-Kritik

Mehr als nur Tränen und Geplänkel.

Review von

"Was passiert mit all den Songs?", fragte Peter Maffay, der seinen 75. Geburtstag in der Sendung "Sing meinen Song" ein paar Monate im Voraus feierte. Im Laufe einer Staffel der VOX-Show covern pro Folge sechs verschiedene Artists subjektiv ausgewählte Songs der siebten teilnehmenden Person, die dazu selbst noch ein, zwei Stücke ihres Repertoires vor der Kamera performt.

Am Ende treten die Künstler:innen dann noch in Duetten auf. Alle, die mitmachen, stammen traditionell aus Deutschland und reisen für die Show nach Südafrika. Häufigster Teilnehmer war bis dato Johannes Oerding, der auch den elften Jahrgang des Tauschkonzerts moderiert. Folgerichtig gibt es diesmal eine Ausnahme: Seine Songs werden nicht gecovert, dafür die seines Kumpels Maffay, für den er etliche Liedtexte in den vergangenen Jahren verfasst hat. Somit ergeben sich am Ende 52 Coverversionen. Die Antwort, die Maffay auf seine Eingangsfrage erhielt: All die Tracks landen auf CD.

Die Triple-CD "Sing Meinen Song - Das Tauschkonzert Volume 11" umfasst naturgemäß Fassungen, die man genau ein Mal über sich ergehen lässt. Doch es gibt auch Gutes zu vermelden. Der erste Befund: Man kann anscheinend aus allen möglichen Vorlagen einen heißen Soul oder wenigstens smarten R'n'B auf Deutsch machen. Das belegt Emilio Sakraya mit seiner Interpretation des sägenden Gitarrenstücks "Verdammte Stille" der Broilers, aus dem er atmosphärischen und atemlosen Urban Soul zaubert.

Eko Freshs souveräne Fassung des Bendzko-Liedes "Keine Maschine" auf pulsierenden Synth-Bässen und in souligen Schlenkern gesungen, lebt nicht nur von seinen halb gerappten autobiographischen Anteilen, auch die dezente Offbeat-Komponente passt. Bendzko selbst verwandelt Julis "Geile Zeit" in eine gemächlich treibende Ballade, die an den Charme von Simply Red erinnert. Die gitarrenfreie Zone, die er hier aufmacht, strahlt die Eleganz erhabener Jazzsoul-Coolness aus. Toll gelöst!

Joy Denalane injiziert stets German Soul und zieht ihren Stil durch. Sie vermag es, aus "Ist Da Jemand?" von den Broilers Trip Hop-Vibes herauszukitzeln. Auf ihre Inszenierung von Tims "Hoch" müsste sogar Curtis Mayfield stolz sein - schon allein aufgrund des Original-Seventies-Afrosoul-Arrangements. "Oh mein Gott", kreischt jemand am Ende in der Abblende.

Aus Maffays "So Bist Du", ein Nummer eins-Hit von 1979 und damals Schlager, köchelt Joy ein süßes, leichtes, warmes Philly Soul-Süppchen mit Gospel-Touch: anrührend und dank ihrer Stimme eine lebendige Darbietung. Hier wird auch deutlich, dass die Aufnahmen Live-Einspielungen aus den TV-Performances sind. Sie wirken insofern klanglich nicht ganz so rund: Es gibt zuweilen mehrere Sekunden Stille, bevor die Musik einsetzt, abgerissenen Applaus am Ende oder Zwischenrufe, etwa, wenn Joy ihre Blechbläser dirigiert und anfeuert.

Der zweite Befund: Nicht nur Tim Bendzkos Musik kann erstaunlich viel besser klingen als in den Original-Produktionen. Nein, auch seine Texte bekommen bisweilen mehr Content, stehen sie in einem anderen Kontext. So löst Eko Fresh das abstrakt philosophische "Keine Maschine" aus der betulichen Ernsthaftigkeit der Vorlage und erzählt stattdessen die konkrete Geschichte eines Gastarbeiters, der in der Fußgängerzone Schuhe putzt und am Fließband seine Schicht herunterreißt: "Mit der Familie in Gedanken tret' ich morgens den Dienst an".

Was im Original wie Grönemeyer light wirkt, wird bei Eko zu einem Stück Europa-Zeitgeschichte in der Tradition von Advanced Chemistry, deren Art zu rappen er hier mal wieder beerbt. Kann man anachronistisch finden, ist jedenfalls ein überraschendes Cover und demonstriert, wie viel Sinn diese Show ergeben kann, wenn Lied und Künstler einander befruchten. Sammy Amara scheitert bei Bendzkos "Ohne Zurückzusehen" am Aufschwung ins allzu hohe Tonspektrum, schiebt den Seicht-Pop aber ein wenig in Richtung Düster-Helden wie Unheilig oder Joachim Witt - zumindest ein neuer Aspekt.

Eva Briegel wiederum gelingt mit ihrer Yoga-mäßig in sich ruhenden Slow-Mo-Version von Tims "Trag Dich" ein hypersensibler Vortrag, der auf jeden Fall die messerscharfe Lyrik aufwertet: "Ich komm' nicht von dir los / du umgibst mich wie Nebel / trag' dich mit mir rum (...) hängst an mir wie nasse Kleider / ziehst mich in die Tiefe / Erinnerung wie Treibsand / du bist wie ein Schnitt in meiner Seite / dass ich nicht verblute, heißt nicht, dass ich verheile." Ich habe Eva von Juli noch nie so gut singen hören.

Emilio fügt dem Allerwelts-Hit "Nur Noch Kurz Die Welt Retten" die Geschichte eines beruflich sehr eingespannten Dads hinzu, der irgendwo die Welt rettet, aber keine Zeit für seine Familie hat. Auch wenn die Tempowechsel im Cover ein bisschen krampfig wirken, verändert Emilio das Stück doch recht radikal, kürzt es auf ungefähr die Hälfte des ursprünglichen Texts zusammen und bewahrheitet das alte Jazz-Standards-Motto 'It's the singer, not the song.' Kleinere Textänderungen gibts auch anderswo, etwa, wenn Sammy aus den Gummistiefeln in "Fette Wilde Jahre" Doc Martens macht oder Joy in Maffays "So Bist Du" den Text zum Besseren feintunet.

Der dritte Pluspunkt: Man sieht, welche kreative Kraft Deutsch-Rap selbst bei seinen softesten Vertretern entfaltet. Eko und Emilio flechten autobiographische Geschichten ein und geben den Lyrics so einen neuen Spin. Lobenswert sind Eko Freshs Version des Juli-Tracks "In Unseren Händen" sowie seine Neu-Dichtung des Denalane-Songs "Niemand" als gefühlvolle Anti-Rechtsruck-Hymne. Okay, ein bisschen platt mögen die Formulierungen sein, aber sie kommen erkennbar von Herzen, enthalten Selbstkritik und zeichnen ganz gut das Stimmungsklima in der Ampel-BRD. Zudem setzt er das Stück musikalisch erstklassig um.

Schließlich muss man einräumen, dass die Band Juli eine Institution der deutschen Rock-Pop-Landschaft war und dazu beigetragen hat, mehr deutschsprachige Musik in den hiesigen Radio-Wellen zu platzieren. Die elfte "SmS"-Staffel war nebenbei auch eine Würdigung der Band, gleichwohl ihre Songs rückblickend recht simpel gestrickt sind.

Leider bleiben die üblichen Schwächen des Sendekonzepts bestehen: Karaoke-verdächtige Singalongs, die niemand braucht, siehe Tim Bendzkos peinliche Darbietung von "Nicht Alles Endet Irgendwann" (Broilers). Billige Plug-Ins-Akkumulation, mit der aus Musik Robotik wird, Beispiel: Emilios Cover "Wir Beide/Immer So Bleiben" (ursprünglich von Juli). Die Songs aus Emilios Repertoire bleiben alle schrecklich unmusikalisch, gleichgültig, wer sie interpretiert. Oerdings Gesangskunst mutet in ihrer aalglatten Routine an wie ein Non-stop-Verkaufsvortrag im Home-Shopping-TV.

Was Eko Fresh geritten hat, Maffays "Schwarze Linien" als aufgesetzten Gypsy-Eurodance herunterzukloppen, ist genauso wenig nachvollziehbar wie Oerdings Trance-Dance-Schrott, den er dem Hit "Perfekte Welle" abtrotzt. Eva leiert in der Duett-Fassung bei diesem grausamen Arrangement höchstpersönlich mit.

Im einzig guten Duett tritt Sammy Amara Bendzko für "Nicht Alles Endet Irgendwann" ins Gesäß: Eine schwungvolle Wohlfühl-Hymne, sogar das ist trotz Tims Dauer-Jammer-Modus möglich. Insgesamt war die elfte "SmS"-Staffel ein konstruktiver Ansatz, um aus dem an sich guten Showkonzept mehr herauszuholen als Tränen und Geplänkel. Die Compilation enthält etliche hörenswerte Tracks, die weit mehr können als die Originale.

Trackliste

CD1 - Juli

  1. 1. Perfekte Welle
  2. 2. Dieses Leben
  3. 3. In Unseren Händen
  4. 4. Wir Beide/Immer So Bleiben
  5. 5. Geile Zeit
  6. 6. Fette Wilde Jahre

Tim Bendzko

  1. 1. Hoch
  2. 2. Keine Maschine
  3. 3. Ohne Zurückzusehen
  4. 4. Nur Noch Kurz Die Welt Retten
  5. 5. Trag Dich
  6. 6. Wenn Worte Meine Sprache Wären

Broilers

  1. 1. Nicht Alles Endet Irgendwann
  2. 2. Verdammte Stille
  3. 3. Nach Hause Kommen/Zurück Zu Mir
  4. 4. Die Beste Aller Zeiten
  5. 5. Ihr Da Oben
  6. 6. Ist Da Jemand?

Peter Maffay

  1. 1. Über Sieben Brücken Musst Du Gehen
  2. 2. So Bist Du
  3. 3. Tiefer
  4. 4. Nessaja

CD2 - Peter Maffay

  1. 1. Wenn Wir Uns Wiedersehen
  2. 2. Schwarze Linien
  3. 3. Ich Fühl Wie Du
  4. 4. Wann Immer

Emilio

  1. 1. Ausmacht
  2. 2. Touché
  3. 3. Roter Sand
  4. 4. Feuer
  5. 5. Winter
  6. 6. Bisschen Allein

Eko Fresh

  1. 1. Das Wird Schon
  2. 2. Geh Raus
  3. 3. Stärker Als Gewalt
  4. 4. 1994
  5. 5. Du Bist Anders
  6. 6. Was Ist Mit Der Welt Passiert

Joy Denalane

  1. 1. Put In Work
  2. 2. Mit Dir
  3. 3. Zwischen Den Zeilen
  4. 4. Niemand
  5. 5. Zuhause
  6. 6. Be Here In The Morning

CD3 - Duette

  1. 1. Hoch (Bendzko/Denalane)
  2. 2. Was Ist Mit Der Welt Passiert (Oerding/Eko)
  3. 3. Fette Wilde Jahre (Amara/Briegel)
  4. 4. Perfekte Welle (Briegel/Oerding)
  5. 5. Bisschen Allein (Eko/Emilio)
  6. 6. Feuer (Bendzko/Emilio)
  7. 7. Zwischen Den Zeilen (Briegel/Denalane)
  8. 8. Nicht Alles Endet Irgendwann (Bendzko/Amara)

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